17.5.2009

Eine Widmung für die Teuerste

Es manchmal schon erstaunlich, welche bibliophilen Schätze bei privaten Sammlern im Verborgenen schlummern. Tucholsky hatte 1921 bereits verraten, dass es von der Erstausgabe seines Rheinsberg-Büchleins eine limitierte Sonderausgabe von 30 Exemplaren gegeben hatte, und »weil wir es unsern Damen schenken mußten, die im Verhältnis 29:1 unter uns aufgeteilt waren, malten wir in alle Exemplare eine schöne 1, damit es keinen Ärger gäbe«. Der Tucholsky-Forschung waren bislang nur die Nummern 4, 14 und 28 bekannt (womit auch bewiesen wäre, dass Tucholsky etwas geflunkert hat). Doch nun ist überraschenderweise eine tatsächliche Nummer eins aufgetaucht: Gewidmet dem realen Vorbild der Claire, der Medizinerin Else Weil, Tucholskys erster Ehefrau. Dazu ist das Büchlein noch mit einem Widmungsgedicht versehen.

Kein Wunder, dass der Besitzer, der das Exemplar nun verkaufen will, dafür den stolzen Preis von 10.000 Euro verlangt. Ebenfalls kein Wunder, dass das Rheinsberger Tucholsky-Museum dieses Buch unbedingt haben möchte. »Das ist quasi die ideelle Gründungsurkunde unseres Museums«, sagte Museumsleiter Peter Böthig zur Begründung. Das Problem für Böthig: Sein Museum hat nur einen jährlichen Ankaufetat von 1300 Euro. Daher bittet er nun um finanzielle Unterstützung, um das Buch dennoch erwerben zu können. Die Märkische Allgemeine berichtete ausführlich über den Spendenaufruf. Und wies dabei darauf hin:

Das Buch wäre nicht nur wegen seiner Seltenheit wertvoll für das Museum. Böthig erarbeitet derzeit eine Ausstellung über Else Weil. »Frauen in Preußen und Brandenburg« ist das Thema des Kulturland-Jahres 2010, dazu passt das Schicksal der promovierten Ärztin und zeitweiligen Ehefrau von Tucholsky. […] 50 Dokumente und 20 Fotos hat Peter Böthig bereist zusammengetragen – und das Buch wäre das Highlight der Ausstellung.

Und anschließend des Tucholsky-Museums.

Mögliche Spender können sich beim Tucholsky-Museum melden: Telefon: 033931/3 90 07, E-Mail: mail@tucholsky-museum.de. Das Museum vergibt selbstverständlich Spendenquittungen.

9.5.2009

Der kleine Peter Pan(ter)

Für ein Spiegel-Sonderheft Wissen hat sich Renate Nimtz-Koester mit der schwierigen Kindheit von Literaten beziehungsweise Künstlerkindern beschäftigt. In ihrem Artikel »Wie das Ich entsteht« nimmt die familiäre Situation Tucholskys einen breiten Raum ein:

Kurt, das Kind aus gutbürgerlich-jüdischer Familie wurde, wie seine Geschwister, von der unerbittlichen Mutter malträtiert. »Ich könnte wie ein Gott in Frankreich leben, hätte ich die verfluchten Bälger nicht.« Als schreiende, übellaunige Tyrannin beherrschte die Frau ihre beiden Söhne und Tochter Ellen. Anerkennung oder gar Liebe gab es niemals: »Wir waren ein Nichts«, schrieb später Ellen.

Der geliebte, vielbeschäftigte Vater hatte auf das häusliche Leben wenig Einfluss, der 15-jährige Kurt musste dessen qualvollen Syphilistod miterleben und auch, wie die Mutter dem Sterbenden das Morphium verweigerte.

Das trifft alles durchaus zu und ist hinreichend bekannt. Es ist zu vermuten, dass Tucholsky-Biograf Michael Hepp dies das der Autorin sagte. Sagte? Ist Hepp nicht im September 2003 bereits gestorben? Dann kommt einem diesem Passage aber merkwürdig vor:

»Da betrieb einer öffentlich Psychoanalyse«, sagt Tucholsky-Biograf Michael Hepp, »sezierte seine eigenen Leiden und Empfindungen.«

Aber »sagt Tucholsky-Biograf Michael Hepp« klingt eben viel aktueller und persönlicher als »urteilt Michael Hepp in seiner 1998 erschienenen Tucholsky-Biografie«, wo sich das Zitat auf Seite 110 und der Hinweis auf das Peter-Pan-Syndrom an anderer Stelle findet.

29.4.2009

Google fürs Herz

Wenn es noch eines Beispiels bedurft hätte, um den Erfolg von Google-Anzeigen zu erklären, dann liefert ihn folgende Tucholsky-Seite.


Dass es im Zusammenhang mit Arnolt Bronnens Oberschlesien-Roman O.S. gar nicht so abwegig ist, den geneigten Leser auf nicht-literarische Gedanken zu bringen, zeigt eine Passage aus Tucholskys Rezension:

Ich muß gestehn, seit langem nichts so Unappetitliches gelesen zu haben wie dies Kapitel, das in gar keiner Beziehung zum sonstigen Inhalt steht – man fühlt förmlich, wie sich der Dichter gesagt hat: Ja, und nun mußt du den Freikorpslesern doch noch was fürs Herz bieten. Fürs Herz …? so hoch gehen seine Aspirationen gar nicht. Es wird da ein trübes Feuerwerk der Schmutzerei abgebrannt, aber was dieser von allen guten Geistern verlassene Patriotenclown nicht weiß: es gehört Kraft dazu, so etwas zu schreiben. Um eine erotische Situation bis in die medizinischen Einzelheiten zu gestalten, muß man die Stärke etwa von James Joyce besitzen, was aber Bronnen gemacht hat, ist blanke Pornographie. Wenn dies Literatur ist, dann ist das Tagebuch der Josefine Mutzenbacher ganz ausgezeichnete Literatur.

Da stehen Google ja noch einige Werbemöglichkeiten offen.

Vielen Dank an Jutta P. für den Hinweis.

8.3.2009

Sudelblog-Spezial: T.U.

In den vergangenen Wochen hat es eine medieninterne Debatte über die Zukunft des Agenturjournalismus gegeben. Meist geht es dabei um die Frage, ob der Agenturriese dpa sein Konzept gegen die Konkurrenz der kleineren Wettbewerber in Deutschland wie ddp, AFP oder AP durchhalten kann. Nur wenig bekannt ist dagegen, wie sehr sich die Arbeitsweise der heutigen Agenturen von denen der Vorkriegszeit unterscheidet. Einen Eindruck über den alles andere als unabhängigen Agenturjournalismus der Weimarer Zeit vermittelt der folgende Text, der in der Weltbühne vom 5. Juni 1928 erstmals erschien.

T.U.
Von Konrad Bolz

Unsre Kontrakte geben uns das Recht, die Zeitung ganz nach unserm Ermessen zu redigieren und sowohl die Haltung als die Parteistellung des Blattes selbständig zu handhaben …
Gustav Freytag, Die Journalisten

Lieber Zeitungleser, kennst du die Telegraphen-Union?

Du kennst sie nicht. Denn, mittlerer Bürger, der du bist, Abonnent einer mittelparteilichen Zeitung, die Kunst und Wissenschaft pflegend berücksichtigt, auch im Unterhaltungsteil laut Prospekt »auf Niveau« hält, bist du zufrieden, daß dein Blatt für Locarno ist, ohne die nationale Ertüchtigung zu vernachlässigen, für den gesunden Fortschritt, ohne das gesunde Alte darüber zu vergessen. Beim Überfliegen der politischen Depeschen wirst du dir kaum jemals Gedanken gemacht haben, was die mysteriösen Buchstaben in der Klammer hinter dem Datum wohl bedeuten. Das ist nämlich der Name des Nachrichtenbureaus, das die Meldung geliefert hat. Denn ich muß dir die optimistische Vorstellung rauben, als würde die Zeitung auch wirklich in der Zeitung gemacht. Das war so zu Zeiten meines seligen Großvaters. Heute fliegt der Inhalt buchstäblich ins Haus. Artikel, Informationen, politische und unpolitische Entrefilets, alles wird in Spezialbureaus fabriziert und geht von dort dann an die abonnierenden Blätter. Ganz besonders trifft das auf die Nachrichten zu. Denn ein Netz von eignen Korrespondenten über Nah und Fern zu breiten, ist nur einigen wenigen großen Blättern vorbehalten. Da das Publikum aber vom Zeitungswesen Begriffe hat, die schon der selige Gustav Freytag als veraltet abgelehnt hätte, so überwiegt noch immer die Meinung, daß Tatsache Tatsache bleibt, daß das Ereignis: »Zaglul Pascha in Kairo gestorben« oder »Demission eines belgischen Ministers« eindeutig ist und bleibt, einerlei, ob der Draht, der es übermittelt, zum »Vorwärts« oder zur »Kölnischen Zeitung« führt. Dem ist nicht so. Jede Nachricht von einiger Bedeutung unterliegt einer Appretur. Nicht erst die Glossierung in der Redaktion macht die Färbung, gewöhnlich wird sie schon in einer Form gedrahtet, die die redaktionelle Glossierung vorwegnimmt oder maßgebend bestimmt. Der Redakteur ist der Sklave der Nachrichten. Nicht allzuviele sind es, die wissen: Aha, an dieser Stelle ist falsch abgetönt worden, hier ist in die Tatsache gleich ein Werturteil hineingewirkt worden. Wenige Außenstehende nur ahnen, mit welcher Geschwindigkeit die Arbeit eines Redakteurs abrollt, wie wenig Zeit bleibt, um zu prüfen oder Nuancen gebührend herauszuholen.

Was wird nun, wenn ein paar hundert Zeitungen verschiedenster politischer Richtungen, die sich an grundverschiedene Leserkreise wenden, alle aus einem kolossalen Nachrichtentrog gespeist werden, der die Etikette trägt: Überparteilich …? Die größte unsrer Nachrichtenagenturen ist das Wolffsche Telegraphen-Bureau (W.T.B.). Es ist offiziös, also der jeweiligen Regierung zur Treue verpflichtet. Diese Treue dauert, wenn es sich um eine Rechtsregierung handelt, oft übers Grab. W.T.B. durch flotteres Tempo und Schlankheit der Form überlegen und deshalb von Blättern aller Richtungen gleich begehrt, ist die T.U. (Telegraphen-Union, Internationaler Nachrichtendienst, G. m. b. H., mit einer Anzahl von Zweigabteilungen). Die T.U. hat im Laufe der Jahre viele Herren kommen und gehen sehen. Ihre Existenz war nicht ohne Zwischenfälle. Ihre Qualität aber immer sehr hoch. Ihr heutiger Machthaber ist Herr Alfred Hugenberg.

Zur Zeit tobt zwischen W.T.B. und T.U. ein kleiner Pressekrieg, dem nachzugehen lehrreich ist. Beide Bureaus bombardieren ihre Kundschaft mit Erklärungen. Die T.U. ist furchtbar wütend, weil W.T.B. wieder auf ihre Geschäftsmethoden und ihre Propaganda hingewiesen hat. Die T.U. hat nun einen längern Schreibebrief an ihre Kundschaft losgelassen, der in seiner Selbstgefälligkeit für sich selbst spricht. Aber in diesem T.U.-Brief findet sich ein höchst interessanter Satz, den man doch nicht vorenthalten darf. Es heißt da nämlich: »Jeder Nachrichtenfachmann weiß, daß auch eine Nachrichtenagentur es bei Wahrung strengster Objektivität niemals allen Leuten recht machen kann…« Wie interessant! »Auch bei Wahrung strengster Objektivität?« Und diese interessante Feststellung wird von den Geschäftsführern der Firma getroffen, deren Aufsichtsratsvorsitzender Herr Geheimer Finanzrat Alfred Hugenberg und deren Aufsichtsratsdelegierter Herr Generaldirektor Ludwig Klitzsch vom Scherlverlag ist! Schulbeispiel für die Methoden des Hugenbergschen Propagandaapparates! Unter der Flagge der Neutralität wurde ein Nachrichtendienst mit großer Resonanz geschaffen, der sich nach außen als »unabhängige und neutrale nationale Agentur« anpreist, in Wirklichkeit aber nur ein Glied, oder besser nur eine Abteilung der von Hugenberg vollkommen abhängigen deutschnationalen Firmenkonstruktion Telegraphen-Union ist; zu der auch der seinerzeit aufgekaufte Dammertverlag und der harmlos klingende Patriaverlag gehören, wo ein paar Korrespondenzen mit mehr oder minder deutschnationaler oder besser Hugenbergscher Richtung erscheinen. Über allem schwebt als Geist Gottes Herr Hugenberg über den Wassern respektive die von ihm abhängige Geschäftsführung, die sich nicht nur juristische oder verlegerische, sondern auch direktoriale Befugnisse beilegt und auch ausübt.

Das alles wurde sehr hübsch durch einen Prozeß erhärtet, den der von Herrn Hugenberg gemaßregelte Chefredakteur der T.U., oder wie in der Gerichtsverhandlung so schön formuliert wurde: des Nachrichtendienstes der T.U. gegen die Telegraphen-Union angestrengt hat. Dieser Prozeß hat eine eigenartige Vorgeschichte. Der Chefredakteur soll vor mehr als zwei Jahren abfällige Bemerkungen über die Geschäftsführung der T.U. gemacht haben.. Wie der Kläger ausführte, sind diese angeblichen, von ihm übrigens energisch bestrittenen Äußerungen jetzt plötzlich ausgegraben worden, um ihn abzuhalftern, weil er politisch unbequem geworden war und man sonst keine Möglichkeit sah, den noch anderthalb Jahre laufenden Vertrag mit 2400 M. Monatsgehalt abzubiegen. Der Chefredakteur selbst hatte vor bald zwei Jahren, als ihm Andeutungen zu Ohren kamen, diese Dinge der Geschäftsführung gemeldet und eine Untersuchung gefordert, die ihm damals abgelehnt wurde, »weil es sich ja doch nur um Klatsch und Rachegelüste ihm feindlich gesinnter Leute handle«. Doch jetzt, da es grade vor den Wahlen war, brauchte man einen Grund und entließ den Chefredakteur fristlos. Dieser Chefredakteur hat eine ebenso energischen wie aussichtslosen Kampf gegen die redaktionelle Bevormundung durch Herrn Hugenberg und seine Beauftragten geführt. Vor Jahresfrist, kurz nach Erwerb der Ufa durch Hugenberg wurde dem Chefredakteur die Verbreitung einer reinen Interessentenmeldung (zu Gunsten der Hugenbergschen Ufa) zugemutet, obwohl ihm, wie im Prozeß ausgeführt wurde, vertraglich seine redaktionelle Unabhängigkeit von jeder parteipolitischen oder sonstigen Bindung ausdrücklich garantiert war und obwohl die T.U. doch bekanntlich sich selbst immer wieder als »unabhängige neutrale Telegraphenagentur« bezeichnet. Die Weigerung des Chefredakteurs, diese Nachricht zu verbreiten, trug ihm eine »Rüge wegen eigenmächtiger Durchkreuzung einer von der Direktion gegebenen Anordnung« ein. Auf seinen Widerspruch wurde ihm schriftlich von der »Direktion« eröffnet, daß »diese mit Befremden feststelle, daß er immer noch nicht zur Einsicht gelangt sei; die Tatsache der mit dem Vorstand abgeschlossenen Verträge ergäbe automatisch die Unterordnung der Chefredaktion unter diesen; es sei aber ungehörig, daß der Chefredakteur die Rüge, die ihm die Direktion leider nach Lage der Dinge habe erteilen müssen, zurückweise«. Im übrigen wurde ihm angekündigt, daß »die Direktion sich nicht in der Lage sehe, derartige Ansichten und sich daraus ergebende Handlungen weiter zu dulden!«

Aber nicht nur diese interessante Tatsache wurde im Prozeß erwiesen, sondern auch noch die eigenartigen Propagandamethoden der Telegraphen-Union, die sich doch jetzt wieder in dem Rundschreiben gegen das W.T.B. als unabhängige Nachrichtenagentur aufspielt. Der gemaßregelte Chefredakteur hatte nämlich nicht nur gegen die Verquickung seines vertraglich neutral zu haltenden T.U.-Dienstes mit der deutschnationalen Firma gekämpft, sondern ebenso gegen die Aspirationen der zu der Firma gehörenden deutschnationalen Korrespondenzen der vorher genannten Verlage Dämmert und Patria. Deren Herren machten sich die Namensübereinstimmumg zwischen Firma und T.U.-Dienst zu Nutzen und gerierten sich so, daß man sie als Chefredakteure (dort gibt es nämlich nur Chefredakteure!) der T.U. behandelte. Die Folge war, daß der Nachrichtendienst nur parteipolitisch gefärbtes Material dieser »Fachredaktionen« erhielt, ohne sich dagegen wehren zu können. Wer erinnert sich nicht des Vorfalls vor vier Jahren, als einige Redakteure aus der T.U. austraten, nur weil sie sich keinem Gewissenszwange aussetzen wollten! Damals verbreitete die T.U. die Erklärung, daß sie niemals eine parteipolitische Pression bemerkt habe. Ja, so dumm sind Hugenbergs natürlich nicht. Wozu braucht man eine Redaktion zu drücken, wenn sie das »Material, auf das es ankommt«, auf die viel harmlosere redaktionelle Methode durch »zuverlässige«, also deutschnationale Informatoren angedreht bekommen kann. Das Wichtigste ist eben, daß man die Kanäle kontrolliert, die das Material heranschaffen, das dann als »neutral« — sicherlich in gutem Glauben — von der Nachrichtenredaktion verbreitet wird. Dieses System hatte der gemaßregelte Chefredakteur durchschaut und abgeändert, indem er eine eigne Organisation für den Nachrichtendienst der T.U. aufgebaut hatte.

Der Chefredakteur Doktor Belian gab sich begreiflicherweise mit seinem Hinauswurf nicht zufrieden, sondern strengte Klage an. Beim Landesarbeitsgericht stieß er auf einen Richter, Herrn Landgerichtsdirektor Samuel, der für Hugenbergs Interessen großes Verständnis zeigte, alle Beweisanträge des Klägers ablehnte und ihn schließlich abwies. Der Öffentlichkeit den Fall klar zu machen ist außerordentlich schwierig. Wir haben es hier mit einer maßlos verschachtelten Konstruktion zu tun, die zu übersehen fast unmöglich ist. Die Firma »Telegraphen-Union« ist das Dach für den »T.U.-Dienst«, der »neutral« die Zeitungen beliefert, aber er läuft neben einer Reihe andrer Bureaus, die ausgesprochen im Sinne der deutschnationalen Partei wirken, und diejenigen Stellen, die den Rohstoff liefern, sind ebenso gerichtet. So kommt ein Nachrichtendienst zustande, der unbedenklich auch von Linksblättern verwendet wird, weil er gut gemacht und seit Jahren eingeführt ist. Hugenberg getarnt, Hugenberg überparteilich maskiert, sichert sich so ein Monopol auch im Nachrichtenwesen. Die Einzelpersönlichkeit verschwindet in einem System, das neben seinem Riesenkörper auch noch seine unsichtbaren Ausläufer hat. Wer, wie jener Chefredakteur, den Mut findet, auf seine kontraktlich zugesicherte Unabhängigkeit zu pochen, wird auf trockenem Wege erledigt.

Die Kölner Pressa zeigt nur die Dynamik des modernen Zeitungsbetriebes, nicht, zu welchem Ende; die Maschinerie gewiß, nicht das Schmieröl. Und vor allem fehlt ein schmaler Raum, bereit, endlich die arme kleine, verschrumpfte und vergilbte Mumie aufzunehmen, die heute noch bei Pressetees und Kongressen festlich aufgeputzt herumgereicht wird: — die journalistische Freiheit.

2.3.2009

Ideales Marketing

Zu den am häufigsten entstellten Zitaten Tucholskys gehören die Verse aus dem Gedicht »Das Ideal«:

Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
Theobald Tiger: »Das Ideal«, in: Berliner Illustrirte Zeitung, 31.7.1927, Nr. 31, S. 1256.

Der Berliner Tagesspiegel hat es nun aber nicht nur geschafft, wie üblich, die Friedrichstraße durch einen bekannteren Straßennamen zu ersetzen. In einem Text in der Reisebeilage über die Insel Usedom hat er Tucholskys Aussage im Grunde in ihr Gegenteil verkehrt:

Kurt Tucholsky schilderte Usedom so: »Vorne Ku’damm, hinten Ostsee.« In den Jahren 1920 und 1921 erlebte der Dichter auf der Insel an der sprichwörtlichen »Badewanne der Berliner« Strandpromenaden voller elegant gekleideter Menschen, Theater, Kaffeehäuser und im Garten manch prachtvoller Villa prominente Zeitgenossen. Schließlich wollte jeder, der in der Hauptstadt zu Vermögen gekommen war, mit einer Dependance in Heringsdorf, Ahlbeck oder Bansin protzen können.

Dass Tucholsky nicht 1920 und 1921, sondern 1921 und 1922 auf der Insel war — geschenkt. Zu schreiben, er habe jemals Usedom geschildert, ist da schon etwas vermessener. Aber indirekt zu behaupten, er habe ausgerechnet dort sein unerreichbares »Ideal« verwirklicht gesehen, ist dann doch zu viel der Tourismusreklame.

25.2.2009

Zwanziger gegen Zwanziger

Es ist zwar ein wenig off topic, aber sicher im Sinne Tucholskys, der sich in den zwanziger (sic) Jahren in der Roten Hilfe für den juristischen Beistand in Prozessen engagierte und sich stets für die Presse- und Meinungsfreiheit eingesetzt hat.

Im konkreten Falle geht es um den Rechtsstreit des DFB-Präsidenten Theo Zwanziger gegen den Journalisten Jens Weinreich. Dem DFB passt es nicht, dass Weinreich in seinem Blog Zwanziger als einen »unglaublichen Demagogen« bezeichnet hat. Inzwischen gibt es mehrere Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit der Äußerung und einer Pressemitteilung des DFB. Dies erläutert Weinreich in diesem Blog-Beitrag, in dem er außerdem um finanzielle Unterstützung bittet, damit er die Prozesse weiterführen kann. Zwanziger gegen Zwanziger lautet inzwischen das Motto der Unterstützungskampagne. Oder auch: Blaue Hilfe für Weinreich.

15.2.2009

Zurück in die Zukunft

Zu den vielen interessanten Menschen und Dingen, die an einem 20. Februar das Licht der Welt erblickt haben, gehört auch das Futuristische Manifest des italienischen Schriftstellers und Politikers Filippo Tommaso Marinetti. Da sich die Veröffentlichung in wenigen Tagen zum 100. Mal jährt, wird sich kaum ein Medium eine Würdigung dieses Ereignisses und dessen kulturgeschichtlicher Folgen entgehen lassen.

Zu den Menschen, die Marinetti noch persönlich in Augenschein nehmen konnten, gehörte Kurt Tucholsky. Er besuchte 1925 einen Vortrag des Italieners in Paris und hielt seine Eindrücke für die Weltbühne in einem längeren Text fest. Da dieser nicht in den Gesammelten Werken enthalten und daher wenig bekannt ist, sei er an dieser Stelle komplett wiedergegeben. Um auf den Geschmack zu kommen, hier die nicht gerade vor Sympathie triefende Beschreibung der Marinetti-Anhänger:

In einer ganz kleinen Stampe auf dem Boulevard Raspail, ein paar Minuten von den pariser Romanischen Cafés, wo die zweiundzwanzig sich ewig wiederholenden Spielarten langweiliger Psychopathen sich Bedeutung von der Legende borgen, Lenin habe hier eines Tages gesessen … Unordentliche Bürger — vorüber.

   In dem kleinen Gastzimmer der Kneipe hängen Stilleben: »Dalles im Mondschein« und Aquarelle in Öl; auf den Holzstühlen — die zu fünf Francs haben Popokissen — sind die Zuhörer angebracht: gepuderte, aber hysterische Damen, in ihren Naslöchern schlummert das Grauen; polnische Knaben, die einer Badewanne gegenübergestellt zu werden verdienen; amerikanische Maler; ein ganz dünner Kunstkritiker, völlig ausgelaugt vom Theoretisieren, als habe er jahrelang in Essig gelegen; und wieder Frauen, die einem die ganze Freude am heterosexuellen Umgang nehmen können … Marinetti ist da.

   Ein Mann Mitte der Vierziger, mit so hoher Stirn, daß sie schon Glatze genannt werden darf, kleinem dunkeln Schnurrbart, schwarzen Augen, die später glühen werden. […]

1.2.2009

Wir können alles. Außer Tucholsky

Inzwischen hat es sich bei vielen Menschen schon herumgesprochen, dass das vielzitierte Gedicht von den fallenden Börsenkursen wohl doch nicht von Tucholsky ist.

Anders scheint es dagegen in einem Landstrich der Fall zu sein, dessen Bewohner im allgemeinen als besonders fleißig und erfindungsreich gelten. Der sich dafür rühmt, alles zu können außer Hochdeutsch. Auffallend auch, dass sich die Honoratioren des Ländchen offenbar abgesprochen hatten, zum Jahresbeginn zu verschiedenen Gelegenheiten geschlossen das Gedicht von der »Höheren Finanzmathematik« zu zitieren.

So tat es beispielsweise der Berger Bürgermeister Helmut Grieb in der ersten Gemeinderatssitzung des Jahres, wie die Schwäbische Zeitung berichtete:

Mit einem Gedicht von Kurt Tucholsky aus dem Jahre 1930, der großen Wirtschaftskrise der 30er-Jahre, begann Bürgermeister Grieb seinen Vortrag. Bemerkenswert war dabei, dass schon zu dieser Zeit die Worte »Leerverkauf« und »Derivate« in der Sprache der Banker gebraucht wurden.

Wirklich sehr bemerkenswert. Da könnte man als Journalist doch mal auf die Idee kommen, bei Google die Begriffe »Tucholsky Derivate Leerverkäufe« einzugeben und einfach auf irgendeine der Fundstellen zu klicken.

Das machte offenbar auch nicht der Journalist, der über einen Neujahrsempfang in der Bodenseegemeinde Immenstaad zu berichten hatte:

Auf ine [sic] Reise raus aus dem Jammertal 2008, hinein ins Spuerwahljahr [sic] 2009 nahm Bürgermeister Beisswenger die Empfangsgäste. Seine Hoffnung, dass die Menschen aus der Krise des globalisierten Kapitalismus Lehren ziehen, bleibt allerdings schwach. Keinen geringeren als Kurt Tucholsky zitierte er als Kronzeugen. In einem Gedicht »Finanzkrise« aus dem Jahr 1930 beschreibt er just das Szenario der vergangenen Monate.

Na so ein Zufall.

Besser unterrichtet als die Mitarbeiter der Schwäbischen Zeitung sind offenbar die Kollegen von der Südwestpresse. Auch auf dem Neujahrsempfang der Kreishandwerkerschaft Reutlingen durfte Tucholsky nicht fehlen. Allerdings korrigierte Autor Jürgen Herdin den Kreishandwerksmeister Harald Herrmann und machte klar:

Mit der Finanzwelt ging Herrmann zitateweise ins Gericht, indem er vor dem Ausklang mit Mutscheln und Wein ein im Oktober 2008 verfasstes Gedicht des österreichischen FPÖ-Anhängers Richard Kerschhofer verlas, das Herrmann jedoch Kurt Tucholsky unterschob: »Auch die Spekulantenbrut zittert jetzt um Hab und Gut«, heißt es da.

Wobei die »Mutscheln« beweisen, dass die Schwaben wirklich kein Hochdeutsch können.

30.1.2009

Mit Schmus und Zitatenschatz (4)

Es macht irgendwann keinen Spaß mehr.

Bislang war man ja daran gewöhnt, dass das Kerschhofersche Gedicht von der »Höheren Finanzmathematik« als Ganzes Tucholsky zugeschlagen wurde. Nun fangen die Kollegen aber schon an, einzelne Verse daraus herauszuklauben und als Original-Tucholsky-Zitate unters Volk zu bringen. So beispielsweise die Neue Osnabrücker Zeitung in einem Kommentar zur Krise beim Autozulieferer Schaeffler:

Egal, wie eine bayerisch-niedersächsische Staatshilfe für die Autozulieferer Schaeffler und Conti aussehen soll: Sie verbietet sich. Zwar ließe sich argumentieren, dass der Steuerzahler schon den Aktionären der Allianz das Abstoßen der Dresdner Bank zu Top-Konditionen ermöglicht hat und der Auto-Industrie die Steigerung der Nachfrage nach Neuwagen bezahlt. Frei nach dem Tucholsky-Wort: »Der Gewinn, der bleibt privat, die Verluste kauft der Staat.«

Diese sehr freie Peinlichkeit hat Nils Dietrich in der Rheinischen Post zum selben Thema noch überboten:

In diesen Tagen der Wirtschaftskrise ruft sich ein altes Sprichwort von Kurt Tucholsky immer wieder ins Gedächtnis: »Der Gewinn, der bleibt privat, die Verluste kauft der Staat.« So geschieht es derzeit im Bankensektor, demnächst kommt offenbar noch ein Rettungsschirm für Unternehmen hinzu.

Dieses unglaublich alte Sprichwort, das wir uns ja schon in der DKP-Kindergruppe immer zugeflüstert haben…

Wenn schon Tucholsky in dieser Situation, dann doch bitte der aus dem »Kurzen Abriß der Nationalökonomie«:

Jede Wirtschaft beruht auf dem Kreditsystem, das heißt auf der irrtümlichen Annahme, der andre werde gepumptes Geld zurückzahlen. Tut er das nicht, so erfolgt eine sog. »Stützungsaktion«, bei der alle, bis auf den Staat, gut verdienen. Solche Pleite erkennt man daran, daß die Bevölkerung aufgefordert wird, Vertrauen zu haben. Weiter hat sie ja dann auch meist nichts mehr.

14.1.2009

Sudelblog-Spezial: »Fusionen«

Seit Beginn dieses Jahres trifft auf Carl von Ossietzky das zu, was für Kurt Tucholsky schon seit 2006 gilt: Die Werke sind nicht mehr urheberrechtlich geschützt. Aus diesem Anlass veröffentlicht das Sudelblog hier einen recht zeitlosen Ossietzky-Text, der sich mit der Rolle des Staates in der Wirtschaft befasst. Weitere Texte des Weltbühne-Herausgebers und Friedensnobelpreisträger finden sich auf der Sammlung von Wikisource.

Fusionen

Von Carl von Ossietzky

Nicht oft hat es so viele verdutzte Gesichter gegeben wie vor ein paar Tagen, als der Zusammenschluß der Deutschen Bank mit der Disconto-Gesellschaft bekannt wurde. Das gewiß schwierige Vorbereitungsstadium war in diskreteste Nachtfarbe gehüllt gewesen, und nicht ein Laut drang zu den findigen Finanzjournalisten, die sonst jedes wispernde Mäuschen im Keller eines Bankpalastes zu registrieren pflegen. Den größten Redaktionen blieb vor dieser Nachricht die Luft weg, und selbst in den längsten Kommentaren spürt man die noch nicht ganz wiedergewonnene Lungenkraft. Die Verblüffung ist berechtigt, denn mit dieser Vereinigung zweier ohnehin überragender Bankinstitute entsteht ein Finanzungetüm, ein Leviathan, dessen Pranken und Zähne bald fühlbar werden. Was ist daneben Vater Staat, in dem wir alle in rebellischen Momenten einen reißenden Oger zu sehen gewohnt sind? Eine Armenkasse, ein Klingelbeutel in der Kirche einer Hungergemeinde. Und, wenn nicht alles trügt, scheint grade der Staat von der neuen Geldübermacht als Trainingsobjekt für ein paar vorbereitende Exerzitien in Aussicht genommen zu sein. Auf der düsseldorfer Tagung des Reichsverbands der Deutschen Industrie hat neulich Herr Doktor Kehl, der Jüngste in der Gerusia der Deutschen Bank, mit jener frischen Vehemenz, über die Herr Hjalmar Schacht früher verfügte, als er noch nicht so viel Weihrauch inhaliert hatte, ein Programm vom Vorrang der Wirtschaft gegenüber dem Staat eingehend erörtert. Es ist wieder große Mode, auf die öffentliche Hand zu schimpfen, gegen die vom Staat auferlegten Soziallasten zu wettern. Lang ist es noch nicht her, da war der Staat gut genug, um Subventionen herzugeben, und die ach so sieche Wirtschaft ließ sich gern von ihm goldene Prothesen bezahlen. Das ist vorüber, und heute konzentriert sich alles, um den Staat da, wo er als Kapitalist und Unternehmer auftritt, zu enteignen und seine Betriebe in die private Hand zu bringen. Wir sind seit Thomas Morus an sozialistische Utopien gewöhnt, wir pflegten die Gesellschaft der Zukunft immer frei und heiter zu sehen, erlöst von dem Erbfluch der ungerechten Eigentumsverhältnisse. Nun, man kann sich auch kapitalistische Utopien denken. G. K. Chesterton hat eine geschrieben, »Der Napoleon von Nottinghill« heißt sie, eine nachdenkliche kleine Satire, die um 1970 spielt, in einer Zeit, die sich dadurch auszeichnet, daß alles, aber auch alles radikal entkommunalisiert ist; sogar Wasserwerke, Brücken und Straßenreinigung sind in die Privatwirtschaft übergegangen, der Staat, funktionslos geworden, wird vertreten von einem Bäckerdutzend Subalterner, die sich mangels Beschäftigung zu Tode langweilen und von denen einer den Titel König führt. »Die Sozialisierung marschiert«, sagten die Genossen Minister der Noskezeit, und vor ein paar Jahren waren die Kommunisten witzig genug, im preußischen Landtag einmal die Anfrage zu stellen, wohin die Sozialisierung denn marschiert sei. Niemals ist eine Antwort erfolgt.

Eines unterscheidet den Kapitalismus allerdings sehr gründlich von seinen Gegenspielern: er handelt nur nach den Geboten kältester Zweckmäßigkeit. Er kennt nicht Sentimentalität, nicht Tradition. Er würgt, wenn es sein muß, schnell und sicher den Verbündeten von gestern ab und fusioniert sich mit dem Feind. Die beiden Riesenbanken, die sich jetzt zu gemeinsamem Tun zusammengeschmolzen haben, waren intime Konkurrenten und standen sich herzlich schlecht. Abneigungsgefühle haben sie nicht gehindert, das Hausinteresse dem größern Gebilde zu opfern. Könnte dieser Vorgang nicht beispielhaft wirken? Der Kapitalismus erhöht und verstärkt seine Bollwerke, denn er hat alles zu verlieren, und seine einzelnen Glieder verzichten klug auf die Eigensüchte des Moments. Aber die Andern, die nichts zu verlieren haben als ihre Ketten und über nichts verfügen als über eine Reihe umstrittener Ideologien, die raufen sich um ihre Dogmatik, die spalten und splittern sich in kleinste Teile, so daß sie nicht einmal mehr durch Quantität zu wirken vermögen.
[…]

Erschienen in: Die Weltbühne, 16. Oktober 1929, S. 499

Editionen: Aus Teutschland Deutschland machen. Ein politisches Lesebuch zur Weltbühne, Berlin 2008, S. 261f.

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