8.3.2009

Sudelblog-Spezial: T.U.

In den vergangenen Wochen hat es eine medieninterne Debatte über die Zukunft des Agenturjournalismus gegeben. Meist geht es dabei um die Frage, ob der Agenturriese dpa sein Konzept gegen die Konkurrenz der kleineren Wettbewerber in Deutschland wie ddp, AFP oder AP durchhalten kann. Nur wenig bekannt ist dagegen, wie sehr sich die Arbeitsweise der heutigen Agenturen von denen der Vorkriegszeit unterscheidet. Einen Eindruck über den alles andere als unabhängigen Agenturjournalismus der Weimarer Zeit vermittelt der folgende Text, der in der Weltbühne vom 5. Juni 1928 erstmals erschien.

T.U.
Von Konrad Bolz

Unsre Kontrakte geben uns das Recht, die Zeitung ganz nach unserm Ermessen zu redigieren und sowohl die Haltung als die Parteistellung des Blattes selbständig zu handhaben …
Gustav Freytag, Die Journalisten

Lieber Zeitungleser, kennst du die Telegraphen-Union?

Du kennst sie nicht. Denn, mittlerer Bürger, der du bist, Abonnent einer mittelparteilichen Zeitung, die Kunst und Wissenschaft pflegend berücksichtigt, auch im Unterhaltungsteil laut Prospekt »auf Niveau« hält, bist du zufrieden, daß dein Blatt für Locarno ist, ohne die nationale Ertüchtigung zu vernachlässigen, für den gesunden Fortschritt, ohne das gesunde Alte darüber zu vergessen. Beim Überfliegen der politischen Depeschen wirst du dir kaum jemals Gedanken gemacht haben, was die mysteriösen Buchstaben in der Klammer hinter dem Datum wohl bedeuten. Das ist nämlich der Name des Nachrichtenbureaus, das die Meldung geliefert hat. Denn ich muß dir die optimistische Vorstellung rauben, als würde die Zeitung auch wirklich in der Zeitung gemacht. Das war so zu Zeiten meines seligen Großvaters. Heute fliegt der Inhalt buchstäblich ins Haus. Artikel, Informationen, politische und unpolitische Entrefilets, alles wird in Spezialbureaus fabriziert und geht von dort dann an die abonnierenden Blätter. Ganz besonders trifft das auf die Nachrichten zu. Denn ein Netz von eignen Korrespondenten über Nah und Fern zu breiten, ist nur einigen wenigen großen Blättern vorbehalten. Da das Publikum aber vom Zeitungswesen Begriffe hat, die schon der selige Gustav Freytag als veraltet abgelehnt hätte, so überwiegt noch immer die Meinung, daß Tatsache Tatsache bleibt, daß das Ereignis: »Zaglul Pascha in Kairo gestorben« oder »Demission eines belgischen Ministers« eindeutig ist und bleibt, einerlei, ob der Draht, der es übermittelt, zum »Vorwärts« oder zur »Kölnischen Zeitung« führt. Dem ist nicht so. Jede Nachricht von einiger Bedeutung unterliegt einer Appretur. Nicht erst die Glossierung in der Redaktion macht die Färbung, gewöhnlich wird sie schon in einer Form gedrahtet, die die redaktionelle Glossierung vorwegnimmt oder maßgebend bestimmt. Der Redakteur ist der Sklave der Nachrichten. Nicht allzuviele sind es, die wissen: Aha, an dieser Stelle ist falsch abgetönt worden, hier ist in die Tatsache gleich ein Werturteil hineingewirkt worden. Wenige Außenstehende nur ahnen, mit welcher Geschwindigkeit die Arbeit eines Redakteurs abrollt, wie wenig Zeit bleibt, um zu prüfen oder Nuancen gebührend herauszuholen.

Was wird nun, wenn ein paar hundert Zeitungen verschiedenster politischer Richtungen, die sich an grundverschiedene Leserkreise wenden, alle aus einem kolossalen Nachrichtentrog gespeist werden, der die Etikette trägt: Überparteilich …? Die größte unsrer Nachrichtenagenturen ist das Wolffsche Telegraphen-Bureau (W.T.B.). Es ist offiziös, also der jeweiligen Regierung zur Treue verpflichtet. Diese Treue dauert, wenn es sich um eine Rechtsregierung handelt, oft übers Grab. W.T.B. durch flotteres Tempo und Schlankheit der Form überlegen und deshalb von Blättern aller Richtungen gleich begehrt, ist die T.U. (Telegraphen-Union, Internationaler Nachrichtendienst, G. m. b. H., mit einer Anzahl von Zweigabteilungen). Die T.U. hat im Laufe der Jahre viele Herren kommen und gehen sehen. Ihre Existenz war nicht ohne Zwischenfälle. Ihre Qualität aber immer sehr hoch. Ihr heutiger Machthaber ist Herr Alfred Hugenberg.

Zur Zeit tobt zwischen W.T.B. und T.U. ein kleiner Pressekrieg, dem nachzugehen lehrreich ist. Beide Bureaus bombardieren ihre Kundschaft mit Erklärungen. Die T.U. ist furchtbar wütend, weil W.T.B. wieder auf ihre Geschäftsmethoden und ihre Propaganda hingewiesen hat. Die T.U. hat nun einen längern Schreibebrief an ihre Kundschaft losgelassen, der in seiner Selbstgefälligkeit für sich selbst spricht. Aber in diesem T.U.-Brief findet sich ein höchst interessanter Satz, den man doch nicht vorenthalten darf. Es heißt da nämlich: »Jeder Nachrichtenfachmann weiß, daß auch eine Nachrichtenagentur es bei Wahrung strengster Objektivität niemals allen Leuten recht machen kann…« Wie interessant! »Auch bei Wahrung strengster Objektivität?« Und diese interessante Feststellung wird von den Geschäftsführern der Firma getroffen, deren Aufsichtsratsvorsitzender Herr Geheimer Finanzrat Alfred Hugenberg und deren Aufsichtsratsdelegierter Herr Generaldirektor Ludwig Klitzsch vom Scherlverlag ist! Schulbeispiel für die Methoden des Hugenbergschen Propagandaapparates! Unter der Flagge der Neutralität wurde ein Nachrichtendienst mit großer Resonanz geschaffen, der sich nach außen als »unabhängige und neutrale nationale Agentur« anpreist, in Wirklichkeit aber nur ein Glied, oder besser nur eine Abteilung der von Hugenberg vollkommen abhängigen deutschnationalen Firmenkonstruktion Telegraphen-Union ist; zu der auch der seinerzeit aufgekaufte Dammertverlag und der harmlos klingende Patriaverlag gehören, wo ein paar Korrespondenzen mit mehr oder minder deutschnationaler oder besser Hugenbergscher Richtung erscheinen. Über allem schwebt als Geist Gottes Herr Hugenberg über den Wassern respektive die von ihm abhängige Geschäftsführung, die sich nicht nur juristische oder verlegerische, sondern auch direktoriale Befugnisse beilegt und auch ausübt.

Das alles wurde sehr hübsch durch einen Prozeß erhärtet, den der von Herrn Hugenberg gemaßregelte Chefredakteur der T.U., oder wie in der Gerichtsverhandlung so schön formuliert wurde: des Nachrichtendienstes der T.U. gegen die Telegraphen-Union angestrengt hat. Dieser Prozeß hat eine eigenartige Vorgeschichte. Der Chefredakteur soll vor mehr als zwei Jahren abfällige Bemerkungen über die Geschäftsführung der T.U. gemacht haben.. Wie der Kläger ausführte, sind diese angeblichen, von ihm übrigens energisch bestrittenen Äußerungen jetzt plötzlich ausgegraben worden, um ihn abzuhalftern, weil er politisch unbequem geworden war und man sonst keine Möglichkeit sah, den noch anderthalb Jahre laufenden Vertrag mit 2400 M. Monatsgehalt abzubiegen. Der Chefredakteur selbst hatte vor bald zwei Jahren, als ihm Andeutungen zu Ohren kamen, diese Dinge der Geschäftsführung gemeldet und eine Untersuchung gefordert, die ihm damals abgelehnt wurde, »weil es sich ja doch nur um Klatsch und Rachegelüste ihm feindlich gesinnter Leute handle«. Doch jetzt, da es grade vor den Wahlen war, brauchte man einen Grund und entließ den Chefredakteur fristlos. Dieser Chefredakteur hat eine ebenso energischen wie aussichtslosen Kampf gegen die redaktionelle Bevormundung durch Herrn Hugenberg und seine Beauftragten geführt. Vor Jahresfrist, kurz nach Erwerb der Ufa durch Hugenberg wurde dem Chefredakteur die Verbreitung einer reinen Interessentenmeldung (zu Gunsten der Hugenbergschen Ufa) zugemutet, obwohl ihm, wie im Prozeß ausgeführt wurde, vertraglich seine redaktionelle Unabhängigkeit von jeder parteipolitischen oder sonstigen Bindung ausdrücklich garantiert war und obwohl die T.U. doch bekanntlich sich selbst immer wieder als »unabhängige neutrale Telegraphenagentur« bezeichnet. Die Weigerung des Chefredakteurs, diese Nachricht zu verbreiten, trug ihm eine »Rüge wegen eigenmächtiger Durchkreuzung einer von der Direktion gegebenen Anordnung« ein. Auf seinen Widerspruch wurde ihm schriftlich von der »Direktion« eröffnet, daß »diese mit Befremden feststelle, daß er immer noch nicht zur Einsicht gelangt sei; die Tatsache der mit dem Vorstand abgeschlossenen Verträge ergäbe automatisch die Unterordnung der Chefredaktion unter diesen; es sei aber ungehörig, daß der Chefredakteur die Rüge, die ihm die Direktion leider nach Lage der Dinge habe erteilen müssen, zurückweise«. Im übrigen wurde ihm angekündigt, daß »die Direktion sich nicht in der Lage sehe, derartige Ansichten und sich daraus ergebende Handlungen weiter zu dulden!«

Aber nicht nur diese interessante Tatsache wurde im Prozeß erwiesen, sondern auch noch die eigenartigen Propagandamethoden der Telegraphen-Union, die sich doch jetzt wieder in dem Rundschreiben gegen das W.T.B. als unabhängige Nachrichtenagentur aufspielt. Der gemaßregelte Chefredakteur hatte nämlich nicht nur gegen die Verquickung seines vertraglich neutral zu haltenden T.U.-Dienstes mit der deutschnationalen Firma gekämpft, sondern ebenso gegen die Aspirationen der zu der Firma gehörenden deutschnationalen Korrespondenzen der vorher genannten Verlage Dämmert und Patria. Deren Herren machten sich die Namensübereinstimmumg zwischen Firma und T.U.-Dienst zu Nutzen und gerierten sich so, daß man sie als Chefredakteure (dort gibt es nämlich nur Chefredakteure!) der T.U. behandelte. Die Folge war, daß der Nachrichtendienst nur parteipolitisch gefärbtes Material dieser »Fachredaktionen« erhielt, ohne sich dagegen wehren zu können. Wer erinnert sich nicht des Vorfalls vor vier Jahren, als einige Redakteure aus der T.U. austraten, nur weil sie sich keinem Gewissenszwange aussetzen wollten! Damals verbreitete die T.U. die Erklärung, daß sie niemals eine parteipolitische Pression bemerkt habe. Ja, so dumm sind Hugenbergs natürlich nicht. Wozu braucht man eine Redaktion zu drücken, wenn sie das »Material, auf das es ankommt«, auf die viel harmlosere redaktionelle Methode durch »zuverlässige«, also deutschnationale Informatoren angedreht bekommen kann. Das Wichtigste ist eben, daß man die Kanäle kontrolliert, die das Material heranschaffen, das dann als »neutral« — sicherlich in gutem Glauben — von der Nachrichtenredaktion verbreitet wird. Dieses System hatte der gemaßregelte Chefredakteur durchschaut und abgeändert, indem er eine eigne Organisation für den Nachrichtendienst der T.U. aufgebaut hatte.

Der Chefredakteur Doktor Belian gab sich begreiflicherweise mit seinem Hinauswurf nicht zufrieden, sondern strengte Klage an. Beim Landesarbeitsgericht stieß er auf einen Richter, Herrn Landgerichtsdirektor Samuel, der für Hugenbergs Interessen großes Verständnis zeigte, alle Beweisanträge des Klägers ablehnte und ihn schließlich abwies. Der Öffentlichkeit den Fall klar zu machen ist außerordentlich schwierig. Wir haben es hier mit einer maßlos verschachtelten Konstruktion zu tun, die zu übersehen fast unmöglich ist. Die Firma »Telegraphen-Union« ist das Dach für den »T.U.-Dienst«, der »neutral« die Zeitungen beliefert, aber er läuft neben einer Reihe andrer Bureaus, die ausgesprochen im Sinne der deutschnationalen Partei wirken, und diejenigen Stellen, die den Rohstoff liefern, sind ebenso gerichtet. So kommt ein Nachrichtendienst zustande, der unbedenklich auch von Linksblättern verwendet wird, weil er gut gemacht und seit Jahren eingeführt ist. Hugenberg getarnt, Hugenberg überparteilich maskiert, sichert sich so ein Monopol auch im Nachrichtenwesen. Die Einzelpersönlichkeit verschwindet in einem System, das neben seinem Riesenkörper auch noch seine unsichtbaren Ausläufer hat. Wer, wie jener Chefredakteur, den Mut findet, auf seine kontraktlich zugesicherte Unabhängigkeit zu pochen, wird auf trockenem Wege erledigt.

Die Kölner Pressa zeigt nur die Dynamik des modernen Zeitungsbetriebes, nicht, zu welchem Ende; die Maschinerie gewiß, nicht das Schmieröl. Und vor allem fehlt ein schmaler Raum, bereit, endlich die arme kleine, verschrumpfte und vergilbte Mumie aufzunehmen, die heute noch bei Pressetees und Kongressen festlich aufgeputzt herumgereicht wird: — die journalistische Freiheit.

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