25.2.2007

Vom Klappern und Schmieren

Eines lässt sich von den Briefen, die in den jüngst erschienenen Band 18 der Tucholsky-Gesamtausgabe aufgenommen wurden, sicherlich nicht behaupten: Dass sie ihren Verfasser in den Jahren 1925 bis 1927 in einem besonders schmeichelhaften Licht erscheinen ließen. Dies gilt vor allem für die Jahre 1926 und 1927, in denen es Tucholsky in den zahlreichen Schreiben an seine zweite Frau Mary Gerold meist um zwei Dinge ging: das liebe Geld und die perfekte Wohnung. Vor allem nach dem Tode Siegfried Jacobsohns im Dezember 1926 und dem erzwungenen Wechsel von Paris nach Berlin gerieten die Briefe häufig zu einem einzigen Lamento: Berlin ist „widerwärtig“, Edith Jacobsohn „völlig untüchtig“, Carl von Ossietzky „schlapp“ und „mir ist hundesauelend zu Mute, und ich weiß gar nicht mehr weiter“.

Doch diese Larmoyanz, die nach dem Tode seines Mentors und Freundes Jacobsohn noch verständlich erscheint, klingt bereits in den Briefen des Jahres 1926 sehr stark an. Dabei schien Tucholsky mit dem Wechsel von Berlin nach Paris im Frühjahr 1924 endlich wieder durchatmen und sich „vom Vaterlande ausruhen“ zu können. Von dem Elan war 1925 noch einiges zu spüren. Tucholsky korrespondierte eifrig mit Jacobsohn über die Entwicklung einer Monatsschrift, mit dem in London wohnenden Ehepaar Neven-Dumont tauschte er sich häufiger über das Leben im Ausland aus und in mehreren Schreiben suchte er den Kontakt zur französischen Freimaurerlogen. Bezeichnend für sein Verhältnis zu Mary Gerold wohl das kurze Schreiben vom 3. Januar 1925: „Der Nase geht es fil besser – er ist guter Laune und kann das Mätzchen schön leiden –!“.

Davon konnte wohl spätestens seit der zweimonatigen Pyrenäenreise im Herbst 1925 nicht mehr die Rede sein. Als Faksimile findet sich eine Reisekarte in dem Briefband abgedruckt, auf der Tucholsky die Orte markiert hat, in denen seine Frau „beese“ und „sehr beese“ war. Es waren einige Dutzend. „Nie war ich unglücklicher, zerrissener, ungeklärter und mehr durcheinander, als damals, als ich das ›Pyrenäenbuch‹ schrieb“, erinnerte er sich 1931.

Die Unzufriedenheit mit seiner beruflichen Situation nahm dagegen im Sommer 1926 merklich zu. Schuld daran war vor allem die Revue für Max Pallenberg und Fritzi Massary, die Tucholsky zusammen mit Alfred Polgar erstellen sollte. Da Polgar wochenlang kein Material lieferte, war Tucholsky recht bald von dem Scheitern des Projektes überzeugt, bangte um seine 5000 Mark Honorar. Die beiden Schriftsteller entwickelten zusammen mit den Schauspielern im bayerischen Garmisch dann doch noch eine komplette Revue. Sie wurde nie aufgeführt. In einem Brief an Mary Gerold schrieb er aus Garmisch: „Es geht mit mir jetzt nicht mehr so weiter. Ich will jetzt auf neu.“

Zu diesem Neuanfang sollte auch eine andere Wohnung gehören, die Mary in Abwesenheit Tucholskys monatelang suchte und wozu sie in den Briefen dezidierte Anweisungen erhielt. Im Oktober 1926 zogen beide dann tatsächlich in das rund 60 Kilometer von Paris entfernte Fontainebleau, wo Tucholsky einen ehemaligen Kardinalssitz bezog, dessen Finanzierung ihm noch reichlich Sorgen bereiten sollte. Denn am 3. Dezember starb völlig unerwartet Siegfried Jacobsohn und Tucholsky musste sofort nach Berlin zurückkehren, um zumindest vorübergehend die Leitung der „Weltbühne“ zu übernehmen.

Dass es ihm in Berlin nicht besonders gefallen würde, war von Vornherein abzusehen gewesen. „Mir bekommt die Stadt nicht, alle meine schlechten Eigenschaften entfalten sich in ihr“, schrieb er Anfang Januar an Mary. Tucholsky lamentierte und haderte in den folgenden Monaten mit seinem Schicksal, wog ängstlich Vor- und Nachteile einer Leitung der „Weltbühne“ ab.

Wenn Du mir bloß einen Rat geben könntest –! Für Berlin: Sicherheit der Position. Stärke der Position – man gewährt und erbittet nichts, das äußert sich auch nach außen. Mögliche Erhaltung der Publikationsmöglichkeit. Gegen Berlin: Alles zerflattert einem unter den Fingern. Ungesammelt. Gefahr, daß die Produktion nachläßt, wegen nicht guter Laune und Mangel an Konzentration. Was soll ich tun?

fragte er Anfang Februar seine Frau. Weniger Selbstzweifel beschlichen ihn hingegen, wenn er auf seine Honorarforderungen zu sprechen kam. Insgesamt versuchte Tucholsky, auf monatliche Einnahmen von 2000 Reichsmark zu kommen, was ihm in diesen Jahren auch gelang. Zum Vergleich: ein Arbeiter verdiente 1927 durchschnittlich 2500 Mark im Jahr (M. Hepp). Wenig Rücksicht nahm er dabei auch auf die Situation von Jacobsohns Witwe Edith:

Es hat keinen Zweck, der Frau alles in den Rachen zu werfen und jeden Hundertmarkschein, den sie spart oder der einkommt, ihr zu lassen und sich vielleicht dann gnadenhalber einen schenken zu lassen. So geht es nicht, und so will ich es nicht. Ich werde sehr hart kämpfen.

Schon in den ersten Monaten des Jahres 1927 führte Tucholsky dabei eine Art Doppelleben. Ende Januar hatte er auf einem Ball die Berlinerin Lisa Matthias kennengelernt, die schnell zu seiner Geliebten wurde. Davon ist in den Briefen jedoch noch nichts zu merken. „Ich nehme mir fast gar nichts mehr vor“, schrieb er Anfang März an Mary Gerold, während Matthias zur selben Zeit in ihrem Tagebuch notierte: „Meine Liaison mit Tucholsky besteht noch und wird wohl noch weitere vier Wochen dauern. Es ist eine richtige Ehe geworden, allerdings ‚auf Abruf'“. Dieser „Abruf“ kam zunächst im Mai 1927, als Tucholsky die Leitung der „Weltbühne“ an Carl von Ossietzky übergab und nach Dänemark fuhr, wo er den Auswahlband Mit 5 PS für den Rowohlt-Verlag vorbereitete. Aus dieser Zeit stammt auch die Einschätzung, die Tucholsky zu seinem Verhältnis zu Jacobsohn abgab:

Ich fühle deutlich, daß mir der Mann nicht ersetzlich ist. Das hat nun gar nichts mit Überschätzung zu tun –: es ist das ein rein persönliches Verhältnis gewesen, das sehr stark an Vater und Kind erinnert, und ich glorificiere nicht nachträglich – ich merke nur mit jedem Tag, was allein seine Existenz für mich bedeutet hat. Welchen Wert und welche Bedeutung die objektiv für andere gehabt hat, ist eine andere Sache“

schrieb er im Juni an Maximilian Harden.

Während dieser Wochen wurde ihm außerdem klar, dass er lieber längerfristige schriftstellerische Projekte angehen wollte, als ständig für die verschiedenen Zeitungen zu „schmieren“ und mit seiner Schreibmaschine zu „klappern“.

Sonst ist hier tiefe Depression, während der aber gearbeitet wird. Ich glaube, es ist wirklich alles falsch. Wozu mache ich lauter Dinge, die ich gar nicht meeg? Ich sehe hier wieder, wenn man mich nur in Frieden läßt, daß es ganz gut geht. Es ist diesmal dichterisch nichts Besondres, weil mir das Buch zu viel Arbeit macht – aber so, alles. Wenn ich so daran denke, was für eine unendliche Zeit ich in Paris verwandt habe – wofür eigentlich? Für Dienst? Was soll das alles? Hat das irgend einen Sinn? Kommt man so auch nur um eine Spur weiter? Mit den Teppichleuten kann ich doch nicht konkurrieren – aber mit mir selber schon. Wenn man so ganz still leben könnte, damit man mal in Ruhe eine Sache durcharbeitet, sich wirklich mit der beschäftigt und nicht immerzu schmieren müßte

heißt es in einem Brief an Mary, die zu dieser Zeit selbst auf Reisen war. Und noch expliziter im Juli 1927:

Es ist Wahnsinn, was ich treibe. (…) Wenn ich nun noch die Berliner Post nicht hätte und nicht gezwungen wäre, immer und immerzu zu klappern – dann wächst es langsam. Es klingt ja nie etwas aus – so kann ja nichts zustande kommen. (…) Der Aufwand, den ich so treibe –: mit Leuten, mit Post, mit Betrieb – ist völlig wahnsinnig. Es ist genau umgekehrt, wie Graetz es sagt. Ich habe immer noch aus der stillen Ecke her die Dinge so gesehen, daß die Leute gesagt haben: woher wissen Sie es? Ich weiß es gar nicht. Ich denke es mir aus. Folgerung: Ich muß und ich will mich umstellen.

Diese Umstellung sollte Tucholsky jedoch nicht gelingen. Weder privat, indem er seine Ehe mit Mary retten konnte, noch beruflich, indem er vom Journalisten zum reinen Schriftsteller wurde. Abwechslung von den inneren Kämpfen boten Begegnungen mit seinen Kriegsfreunden Karlchen und Jakopp. Die berühmte Spessartwanderung gefiel Tucholsky offenbar außerordentlich. „Es ist sehr schön“, hieß es in fast jedem Schreiben nach Paris. In Würzburg sprach er sich außerdem mit Ossietzky aus und traf sich mit – Lisa Matthias.

Zwei Briefe an Matthias bilden gewissermaßen auch den Abschluss des Bandes. Darin gesteht er ihr sehr zunächst deutlich seine Zuneigung:

Gedenfalls war es Mamma und Freindin und Kamerad in einem, und ich habe, wenn ich auch ein paar Mal mehr, als nötig war, das Maul gehalten habe, eine mächtige Sehnsucht. Und ich habe viel weniger Talent zum Doppelleben, als Du denkst, weil ich Dich wirklich gern habe, und ich falle dann immer gleich schräg nach vorn – «ein gefühllos Herz, ist ein kostbar Gut – auf der wankenden Erde» – und ich kann das gar nicht. Und ich habe Dich mächtig lieb, und mir tut verschiedenes sehr leid.

Im nächsten Brief macht er aber klar, dass er seine Ehe mit Mary noch nicht komplett aufs Spiel setzen wollte:

Fahre ich nach Lugano, was immerhin möglich ist, so fürchte ich hier manches, es liegt zur Zeit das Schiff etwas schief, und da soll man nicht wackeln. Lottchen, ich weiß alles: daß Du mich nicht heiraten willst, und daß wir beide nur nett sind, wenn wir uns sporadisch sehen – mit klarerem Sinn ward nie ein Weib gefreit.

In diesem Brief findet sich auch das Eingeständnis Tucholskys, dass es Tage gibt, „wo ich nicht schreiben könnte, ohne zu lügen“. Warum Fritz J. Raddatz einer Briefauswahl den abgewandelten Titel „Ich kann nicht schreiben, ohne zu lügen“ gegeben hat, wird wohl immer sein Geheimnis bleiben. So unschmeichelhaft muss man Tucholsky nun wirklich nicht darstellen.

9.2.2007

Nichts Passendes eingefallen

Im inzwischen abgeschlossenen Streit um die Ehrenbürgerschaft Wolf Biermanns in Berlin hat sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit den bisher in dieser Form gewürdigten Menschen befasst. Eine schöne Fleißarbeit. Das wenig überraschende Fazit das Artikels „Sie sind ein Berliner!“ lautet dabei, dass sich die Träger dieser Würde recht gut nach Parteien aufschlüsseln lassen. Zum Schluss seines Textes kommt Autor Martin Otto noch auf den Vorschlag zu sprechen, verstorbenen Literaten anstelle Biermanns die Ehrenbürgerwürde zukommen zu lassen. Was ihm offenbar überhaupt nicht behagte:

Der besonders abstoßende Versuch, die postume Verleihung der Ehrenbürgerschaft für die Tagespolitik zu instrumentalisieren, also ein Handel mit toten Seelen, der allenfalls in der – dort aber theologisch begründeten Totentaufe der Mormomen eine Parallele findet, geriet in der Biermann-Debatte wieder in den Bereich des Denkmöglichen. Einige SPD-Hinterbänkler wollten Biermann gemeinsam mit Brecht und Tucholsky auszeichnen. Insbesondere Letzterem wäre zu seiner postumen Würdigung, noch dazu auf Betreiben seiner geliebten „Radieschenpartei“ SPD, sicher etwas Passendes eingefallen. Dass Wowereit dieses Schauspiel verhindert hat, ist ihm immerhin anzurechnen.
Martin Otto: „Sie sind ein Berliner!“, FAZ vom 8.2.2007

Otto wirft dabei einiges durcheinander. Zunächst war es doch wohl die CDU, die wieder einmal die Verleihung einer Ehrenbürgerschaft tagespolitisch instrumentalisieren wollte. Die Idee des SPD-Fraktionsvorstands, – aus dem bei Otto Hinterbänkler werden -, lag dagegen darin, diese tagespolitische Debatte mit der Würdigung verstorbener Literaten zu beenden. In einem theologischen Zusammenhang von „toten Seelen“ zu sprechen, ist eines Feuilletons wie dem der „FAZ“ eigentlich unwürdig. Das gilt auch für die Formulierung, wonach ein Versuch in „den Bereich des Denkmöglichen“ geraten kann. Und was der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit in dieser Causa noch bestimmen konnte, nachdem seine Fraktion mit großer Mehrheit für Biermann plädiert hatte, sollte ihm nicht nachträglich noch als Verdienst angerechnet werden. Denn das lag fast schon im Bereich des Denkunmöglichen.

5.2.2007

Lesemarathon ohne Lösung

„Wildau ist eine sehr vielfältige Gemeinde. Dabei ist es besonders gut gelungen, den technischen Fortschritt und die wissenschaftliche Ausrichtung in Einklang mit der wunderschönen Natur zu bringen“, heißt es etwas holprig in der Wikipedia über den Ort südöstlich von Berlin. Damit neben Technik und Natur auch mal etwas Kultur geboten wird, hatte sich die Wildauer Wohnungsbaugesellschaft einen nächtlichen Lesemarathon einfallen lassen. Wildauer Prominente, schrieb die Märkische Allgemeine Zeitung, hätten vor etwa 100 Zuschauern aus den Werken Kurt Tucholskys vorgelesen. Der Veranstalter machte es dabei richtig spannend:

Die Preisfrage des Abends konnte zu Anfang niemand beantworten: Was haben Wildau und Tucholsky gemeinsam?

Die vorgetragenen Texte, darunter „Schloss Rheinsberg“ (offenbar eine Melange aus „Rheinsberg“ und „Schloß Gripsholm“), „Wo kommen die Löcher im Käse her -?“, „Der Mensch“ und „Die Kunst, falsch zu reisen“, trugen wohl nicht dazu bei, die Frage zu beantworten. Denn wie heißt es in dem Artikel zum Schluss:

Um noch auf die Preisfrage zurückzukommen: Tucholsky und Wildau haben nichts gemeinsam. So lautete die richtige Antwort des Publikums am Ende des Abends.

Da können Berlin und Rheinsberg ja aufatmen.

4.2.2007

Falsch zitieren ist eine Schande

In Brandenburg wogt zurzeit eine heftige Debatte darüber, ob ein Sexualstraftäter nach dem Verbüßen seiner Haftstrafe wieder frei gelassen werden darf. Wobei das Problem im Falle Ostdeutschlands auch darin besteht, dass für Vergehen, die vor dem 1. August 1995 begangen wurden, keine nachträgliche Sicherungsverwahrung verhängt werden darf. Im Berliner Tagesspiegel beschäftigte sich Steffen Hudemann mit dem Thema und analysierte ausführlich die Problematik. Dabei kam auch Tucholsky kurz zu Wort:

„Sicherungsverwahrung ist eine Schande“, schrieb Kurt Tucholsky 1928 in der „Weltbühne“. „Sie darf in keiner Form Gesetz werden – in keiner.“

Auch Tucholsky hatte sich damals recht ausführlich mit dem Thema auseinandergesetzt. In dem dreieinhalbseitigen Artikel „Die Sicherungsverwahrung“ vom 4. Dezember 1928 wandte er sich vor allem gegen Überlegungen, die Todesstrafe durch eine Sicherungsverwahrung zu ersetzen und somit eine echte lebenslange Haftstrafe einzuführen. Daher auch sein Einwurf:

Der Kuhhandel: hie Todesstrafe – hie Sicherungsverwahrung ist eine Schande.

Dass Hudemann das Zitat „Der Kuhhandel (…) ist eine Schande“ nicht in seinem Text stehen haben wollte, ist durchaus verständlich, schließlich geht es darin nicht einmal peripher um Landwirtschaft. Aber so ist er ein guter Kandidat für das Satrire-Ressort von Spiegel-Online unter der Rubkrik „Aus dem Zusammenhang gerissen und falsch zitiert“. Hinzu kommt, dass die „Sicherungsverwahrung“, die Tucholsky nie Gesetz werden lassen wollte, eher an die willkürliche „Schutzhaft“ der Nationalsozialisten erinnerte.

Denn warum Tucholsky sich damals so vehement gegen die Sicherungsverwahrung einsetzte, machen folgende Stellen deutlich:

Die Delikte ›Hochverrat‹, ›Landesverrat‹, ›Störungen der Beziehungen zum Ausland‹ und ›Angriffe gegen die Wehrmacht oder die Volkskraft‹ haben nicht nur den von den Franzosen erfundenen Begriff ›potentiel de guerre‹ in das neue Strafgesetz eingeschmuggelt, sondern sind derartig formuliert, daß ihre zu befürchtende Anwendung zu einer völligen Knebelung der freien politischen Meinung führen wird, soweit die noch frei ist. Es ist für jeden Reichsgerichtsrat eine Spielerei, aus einem konsequenten Politiker einen ›Gewohnheitsverbrecher‹ zu machen und damit einen, den man – hei! – lebenslänglich einsperren kann. Er kann froh sein, wenn man ihn nicht, wie Herr Böters das neulich im ›Berliner Tageblatt‹ vorgeschlagen hat, kastriert.

   Auf diese Richter ist nicht der leiseste Verlaß. Eine solche unerhörte Erweiterung ihrer Ermächtigung ist unangebracht, gefährlich und ein Verbrechen an der politischen Entwicklung Deutschlands, die, wenn es mit diesem Gesetz ernst wird, damit aufgehört haben wird, zu existieren. Dann ist es aus.

   Über die ›Begründung‹ dieses Anschlags ist, wie über die gesamte Begründung des Entwurfs, kein ernsthaftes Wort zu verlieren. Seine Begründung begründet gar nichts – in traurigem Deutsch wird dort der Gesetzestext wiederholt, breitgewalzt, kommentiert –: von einer echten Begründung ist auch nicht ein Hauch zu spüren. Die ›Sicherungsverwahrung‹ darf in keiner Form Gesetz werden – in keiner.

Was diese Debatte noch mit der heutigen zu tun, „weiß“ wohl nur Herr Hudemann.

22.1.2007

Ein bisschen Kritik

Es dürfte schwer zu beurteilen sein, inwieweit folgende Einschätzung des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki seinen Berufsweg beeinflusst hat. Denn das Interessante an ihr ist vor allem, dass sie in mehrfacher Hinsicht ziemlich falsch ist. In einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ bemerkte Reich-Ranicki zur Wahl seines Berufes etwas kokett:

Ich wollte gar nicht so sehr Literaturkritiker sein. Das hing wohl damit zusammen, dass die Rolle der Theaterkritiker im öffentlichen Leben in Berlin in den späten Jahren der Weimarer Republik enorm war: Kerr und Polgar, Siegfried Jacobsohn und Kurt Tucholsky – die hatten einen riesigen Einfluss auf das öffentliche Leben.

Dass die Theaterkritiker gegen Ende der Weimarer Republik tatsächlich noch einen großen Einfluss auf das öffentliche Leben hatten, darf zunächst bezweifelt werden. Schließlich war der Film damals schon das wichtigere Medium. Für die Alfrede Kerr und Polgar trifft wenigstens zu, dass sie in dieser Zeit Theaterkritiker waren. Für Jacobsohn gilt dies auf keinen Fall, denn er war in den letzten sechs Jahren der Weimarer Republik schon tot. Selbst in deren ersten acht Jahren hatte er sich kaum noch als Kritiker betätigt, weil er die Lust am Theater ziemlich verloren hatte und ihn seine Arbeit als Redakteur sehr stark in Anspruch nahm.

Aber auch Tucholsky schrieb nach seinem Wechsel nach Paris im Frühjahr 1924 kaum noch Theaterkritiken. Was machte er statt dessen? In seiner Rubrik „Auf dem Nachttisch“ besprach er hunderte von Büchern. Und auf diese Weise schien er nicht ganz ohne Einfluss gewesen zu sein. Denn wie versicherte er 1931 in einem Artikel über die Schwierigkeiten der Buchkritik:

Seit ich mich bemühe, eine bunte und möglichst lehrreiche Buchkritik zu machen, ist mein erstes Bestreben dies gewesen: nicht das Literaturpäpstlein zu spielen. Das kann es nicht geben, und das soll es auch nicht geben.
Peter Panter: „Die Aussortierten“, in: Die Weltbühne, 13.1.1931, Nr. 2, S. 58

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

16.1.2007

Berliner Ehrenbürgerwürde für Tucholsky?

Auch wenn inzwischen festzustehen scheint, dass Wolf Biermann die Ehrenbürgerwürde der Stadt Berlin erhält, müssen die zuvor von der SPD-Fraktion aufgeworfenen Gegenpläne nicht vom Tisch sein. Der Tagesspiegel berichtete, dass sich die Abgeordneten darauf besonnen hätten, dass noch recht viele Berliner Künstler einer Ehrung harrten:

Wolf Biermann hat zurzeit keine Chance, Ehrenbürger von Berlin zu werden. Aber vielleicht später, gemeinsam mit anderen berühmten Literaten, die sich um die Stadt verdient gemacht haben. Zum Beispiel Seite an Seite mit Bertolt Brecht und Kurt Tucholsky, die zwar schon lange tot sind, aber in Ausnahmefällen kann die höchste Auszeichnung Berlins auch postum verliehen werden – wie es 2002 bei Marlene Dietrich geschah.

Dieser Vorschlag zur Güte wurde jedenfalls im SPD-Fraktionsvorstand intensiv diskutiert, um der Zwickmühle zu entkommen. Denn dem Antrag der Opposition, Biermann jetzt zum Ehrenbürger zu ernennen, wollen der Senat und die Koalitionsfraktionen SPD und Linkspartei nicht zustimmen. (…)

Die Idee mit den Literaten geht auf eine vertiefte Durchsicht der Ehrenbürgerliste zurück. Der letzte seiner Zunft, der die Urkunde überreicht bekam, war 1986 Wieland Herzfelde in Ost-Berlin. Seit 1945 wurden noch Anna Seghers und Nelly Sachs geehrt. Drei von 51 Ehrenbürgern seit Kriegsende. Ein gewisser Nachholbedarf, auch wenn Biermann zugleich Musiker und Schreiber ist, ließe sich laut SPD-Spitze durchaus begründen.

Von der falschen Einschätzung der Lage, wie sie im ersten Satz deutlich wird, ist hoffentlich nicht auf den Wahrheitsgehalt des restlichen Textes zu schließen.

Aber selbst in Hamburg fiel inzwischen auf, dass es in Sachen Ehrenbürgerwürde einen gewissen Nachholbedarf in Berlin gibt. Das Hamburger Abendblatt kommentierte:

Während man gewichtige Schreiber wie Theodor Wolff, Carl von Ossietzky oder Kurt Tucholsky vermisst (aber das waren ja nur Journalisten), schaffte es der Milieu-Zeichner Heinrich Zille 1970 wenigstens posthum zum Ehrenbürger.

Letztere Möglichkeit besteht weiterhin bei Tucholsky. Wobei dies für die Stadt den Vorteil hätte, dass sie sich nicht einmal um dessen Ehrengrab kümmern müsste. Es liegt weit entfernt im schwedischen Mariefred.

Ob die Linkspartei diesem Vorschlag zustimmen wird, ist jedoch fraglich. Schließlich hatte die Partei im Sommer auffällig mit einem Spruch Tucholskys geworben. Das Resultat ist hinreichend bekannt.

9.1.2007

„Rauchlos helle Flamme“ leuchtet im Netz

Was Tucholsky im vergangenen Jahr betraf, hat nun auch Karl Kraus ereilt: 70 Jahre nach seinem Todestag ist das Werk vom Beginn des Folgejahres an nicht mehr urheberrechtlich geschützt. Was in Krausens Fall aber die Folge hat, dass sein Werk, im Wesentlichen die Zeitschrift Die Fackel, nun komplett online nachzulesen ist. Unter der Adresse www.aac.ac.at/fackel/ lässt sich nach einer kostenlosen Registrierung bequem in sämtlichen Ausgaben der Zeitschrift recherchieren.

Dabei stößt man natürlich sehr einfach auf 42 Stellen, in denen in der Fackel, die er 1920 als „rauchlos helle Flamme“ bezeichnet hatte, der Name Tucholsky genannt wird. Die auffällige Häufung der Namensnennungen in den Jahren 1925 und nach 1930 lässt sich einfach erklären. 1925 steckte ein Plagiats-Vorwurf dahinter, den Tucholsky in der Weltbühne gegenüber dem Kraus-Adepten Heinrich Fischer gemacht hatte. Darin hieß es:

Das geht bis an die letzte erlaubte Grenze. Es ist fast nicht zu glauben, daß Heinrich Fischer den Bauerndichter Christian Wagner nicht kennt; und wenn er ihn kennt, darf er das nicht tun. Die Technik, die Worte, die Reimart, diese seltsame Anwendung des Partizipium Perfekti Passivi – Alles, Alles von da.

Kraus verlangte „Satisfaktion“, Tucholsky sollte bei einem Treffen in Paris Abbitte leisten. Doch dieser verzichtete nach anfänglichem Wunsch darauf, den Wiener nach einem von dessen Vorträgen in Paris zu treffen. Den Grund teilte er Weltbühne-Herausgeber Siegfried Jacobsohn mit:

Dieser Mann ist komplett meschugge. Da er im Privatleben keinen Humor hat, und es ganz ausgeschlossen ist, mit ihm über diese Nichtigkeit so zu reden, wie die Sache sie verdient, wäre er im Stande mich zu brüskieren. Das wäre mir an sich gleichgültig, aber erstens paßt mir das vor Mehring nicht und zweitens nicht vor Franzosen. (…) Wenn er uns in der nächsten Nummer der ›Fackel‹ schlachtet, so ist das seine Sache, und was Du darauf tust, ist Deine. Ich werde wohl nur antworten, wenn er ausgesprochene Verleumdungen in die Welt losläßt, der Rest ist mir wurst.

Die „Abschlachtung“ folgte tatsächlich. Kraus widmete sich in der Fackel Nr. 686–690 vom Mai 1925 auf 15 Seiten dem „Fall Jacobsohn“ und erläuterte dabei aus seiner Sicht, warum es in Paris nicht zu dem Treffen gekommen war:

Ich hätte gegen dessen persönliche Abstattung, also gegen den Verkehr mit Herrn Wrobel nichts einzuwenden gehabt, ließ aber Herrn Tucholsky sagen, daß er, um jenem den Zutritt zu verschaffen, vorerst die Aufklärung schuldig sei, wie seine Ansicht von einem Plagiat Fischers an Wagner, über deren Berechtigung und Ernsthaftigkeit ich mit ihm nicht sprechen wolle, eine Publizität erlangt habe, deren Verwalter doch vor solcher Materie einen alten Schmerz verbeißen mußte, um neue Freude zu erleben. Ohne diese Rechtfertigung, ohne die Zusage einer öffentlichen Zurückziehung des Vorwurfs, ohne die öffentliche Erklärung, daß ein Privatbrief mißbraucht worden sei, oder das private Bedauern über die Bedienung der Ranküne des Herausgebers, kurz ohne zureichende Bereinigung einer so unsaubern Angelegenheit sei ein Verkehr nicht denkbar.

Tucholsky verzichtete auf eine Replik dieser Darstellung, wagte es aber, 1929 zu schreiben:

Der erste Theaterabend fand mittags statt: in der berliner Volksbühne haben sie die ›Unüberwindlichen‹ von Karl Kraus gegeben. Als die Wogen des Beifalls durch das Theater rollten, trat Kraus vor die Gardine und dankte. Er täuschte sich nicht: er hat kein Publikum erobert. Er hat ein erobertes Publikum erobert.

Damit schien er sich jegliche Restsympathie bei Kraus verspielt zu haben. In den Folgejahren störte es Kraus offenbar am meisten, dass man in ihm quasi die Wiener Ausgabe eines Tucholsky sah und beide häufig in ein Boot steckte. Um diesen Eindruck zu zerstören, ließ kaum eine Gelegenheit aus, Tucholskys journalistisches „Vorstrafenregister“ zu zitieren:

Wie der Herr Tucholsky (trotz Kriegsanleihelyrik, schlesischer Tätigkeit und Verulkung Rosa Luxemburgs eine Fahne revolutionären Geistes und unter allen Umständen ein flotter Bursche) in Deutschland stets mit mir zusammengespannt wird (…)

Um Letzteres zu verhindern, griff Kraus schließlich zu radikalen Mitteln:

Einer Mitteilung der Berliner Funkstunde entnehmen wir, daß Sie im Rahmen einer Feierstunde am 15. März das Gedicht »Zum ewigen Frieden« von Karl Kraus zum Vortrag bringen ließen. Mit dem besten Dank für Ihre freundliche Absicht bitten wir, uns in etwaigen künftigen Fällen das Programm rechtzeitig bekanntgeben zu wollen, da der Autor es ablehnt, in einem solchen zum Beispiel mit Herrn Kurt Tucholsky, der ihm als feuilletonistischer Mitarbeiter der bürgerlichen Presse, Verfasser eines Werbegedichts für eine Kriegsanleihe und auch sonst bekannt ist, zu figurieren, und mit ihm keine Feierstunde zu begehen wünscht.

Diese Anschuldigungen wiederholten sich bis 1934, wobei Tucholsky in einem Brief an Carl von Ossietzky im März 1932 klarstellte:

Karl Kraus. Nach dem letzten, etwa 150. Angriff dies:
Der Mann kann gegen mich schreiben, was er lustig ist. Was ich ihm übel nehme ist, daß er genau das macht, was er den großen Zeitungen vorwirft, mit denen er ja – sonst greift man auch nicht dreißig Jahre lang an – solche Ähnlichkeit hat: er lügt durch Verschweigen. Liest man das da in der Fackel, dann glaubt man, ich heiße Auernheimer. Also gut – glauben Sie ja nicht, daß ich etwas unternehmen will. Jedennoch:
Wir wollen – außer Hiller – keinem mehr erlauben, ihn bei uns zu loben. Soweit kanns nun nicht gehn. Ich bitte also formell und feierlich, jedes Lob auf Kraus rücksichtslos zu streichen, und zwar durchaus mit Berufung auf seine Haltung gegen uns, S.J. und die WB. Zitate würde ich nicht streichen – dagegen aufpassen, daß sie wörtlich sind. Damit wir nicht eine dieser albernen Berichtigungen auf den Hals bekommen.

1933 landeten Tucholskys Schriften bei den Bücherverbrennungen der deutschen Studenten im Feuer. Doch selbst diese Situation ließ Kraus nicht solidarisch werden. Statt dessen schrieb er in „Die dritte Walpurgisnacht“, dass er „nicht um einen Nobelpreis mit dem Tucholsky auf einem Scheiterhaufen brennen“ wolle.

Tucholskys letzte Äußerung zu Kraus stammt wenige Wochen vor seinem Tod. Am 9. November 1935 schrieb er:

Wer von jedem Mausdreck im Alltag das äußerste fordert, der endet gewöhnlich nachher im dicksten Kompromiß. Wie z.B. der selige Karl Kraus. Es hat keinen Wert, dauernd der Welt das Neue Testament auf den Kopf zu schlagen – wir wissen ja, daß das ein unangenehmes Geräusch gibt. Aber über die Köpfe hinweg muß mans ab und zu sagen: Selbstzufriedenheit ist eines der wenigen Laster, die es gibt.

8.1.2007

Gut geküsst, Levy

Wenige Tage vor seinem Kino-Start beschäftigt der „Führer“-Film Dani Levys weiterhin das Feuilleton. Die Frankfurter Rundschau, bekanntlich nicht sonderlich Tucholsky-fest, wollte dem rätselhaften Filmeinstieg auf den Grund gehen. Und fragte den Regisseur:

Herr Levy, sie haben ihrem Film ein Zitat von Kurt Tucholsky vorangestellt: „Man muss die Nationalsozialisten küssen, wo man sie trifft.“ Tucholsky ist 1933 ins Exil gegangen, hat 1935 Selbstmord begangen. Warum dieses Zitat?

Abgesehen davon, dass das Zitat natürlich „Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!“ lautet und Tucholsky Deutschland schon 1924 in Richtung Paris verlassen und sich 1929 seine abgeschiedene Villa in Schweden gesucht hatte, kann auch Levy die Frage nicht wirklich erschöpfend beantworten:

Weil es natürlich die ganze Widersprüchlichkeit unserer Aufarbeitung des Nationalsozialismus vorwegnimmt. Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft: Was heißt das? (Lacht) Heißt das, wir sollen den Faschisten in uns umarmen? Heißt das, wir sollen sie an uns ranlassen und sie küssen? Was heißt küssen? Heißt das verzeihen, heißt das versöhnen? Natürlich nicht. Heißt küssen, sie mit den Waffen bekämpfen, die sie auf keinen Fall abwehren können? Da ist soviel Widersprüchlichkeit allein schon in diesem einen Satz drin, die ich als programmatisch empfand für die Spannung, die auch in dem Film drin ist.

Levy hätte natürlich auch antworten können: „Tucholskys Aufforderung ist einfach nur ironisch gemeint und bedeutet nichts anderes, als dass man die Gewalt der Nazis auf keinen Fall widerstandslos hinnehmen sollte. Insofern hat das Zitat gar nichts mit meinem Film zu tun.“

Aber wie sagte Franz Beckenbauer alias Olli Dittrich zum Thema Widerspruch schon neulich in der „Harald-Schmidt-Show“: „Es kann kein Widerspruch sein, wenn man sich widerspricht!“

Der installierte Tucholsky

In den 1990er Jahren wurde eine Zeitlang darüber diskutiert, ob in Tucholskys Geburtshaus in der Lübecker Straße 13 in Moabit eine Art Begegnungsstätte eingerichtet werden sollte. Das Projekt scheiterte schließlich – wie so häufig – am fehlenden Geld, wie die Berliner Zeitung im April 1999 berichtete.

Nun scheinen sich die Pläne für eine kulturelle Nutzung des Gebäudes doch noch zu verwirklichen. Nachzulesen war dies jedoch nicht in einer Berliner, sondern einer Berner Zeitung. Der Grund: die Künstlerin Simone Zaugg, die zusammen mit ihrem Partner Pfleider das Projekt „Kurt Kurt“ gestartet hat, stamme aus der Schweizer Hauptstadt, schreibt der Bund. In dem Artikel „Im Geist Tucholskys“ bemerkt Autor Christian Hunziker zunächst, dass Moabit heutzutage nicht gerade der angesagteste Stadtteil Berlins ist, und schreibt dann weiter:

Einen dieser verwaisten Läden hat das Künstlerpaar Simone Zaugg und Pfelder gemietet. Er befindet sich in der Lübecker Strasse 13, einem äusserlich unscheinbaren Mietshaus. Eine Gedenktafel neben dem Haupteingang erinnert daran, dass hier am 9. Januar 1890 Kurt Tucholsky das Licht der Welt erblickte. Die ersten beiden Jahre seines Lebens verbrachte der spätere Schriftsteller hier, in einer grosszügigen Wohnung im zweiten Stock.
Dieser Laden an historischer Stelle dient als zentraler Ort für das Projekt «Kurt – Kurt», für das Zaugg und Pfelder renommierte Künstlerinnen und Künstler gewinnen wollen.

Bereitwillig gibt die Künstlerin auch Auskunft darüber, was Tucholsky mit «Kurt – Kurt» zu tun hat:

Als eine Art Mentor begleitet er das Projekt, antwortet Simone Zaugg. Sie schätzt den Schriftsteller dafür, dass er «aufgreift, was ist, auch wenn es unbequem ist, und gleichzeitig Energie spendet». Seine Arbeiten, sagt sie, «werfen einen konstruktiv-kritischen Blick auf die Dinge und tun dem Menschen gut».

Richtig losgehen soll es erst am 1. April, falls bis dahin – was sonst- die Finanzierung gesichert ist. Aber tatsächlich ist in dem Haus bereits etwas aufgetaucht, was schon lange nicht mehr in Berlin gesehen wurde:

In einem weiteren, abgedunkelten Raum konnten die Besucherinnen und Besucher bei entsprechender Aufmerksamkeit den Geist Tucholskys entdecken. Zu erkennen war dort die Darstellung eines Fuchses – ein Beispiel für die Assoziationsfreude von Pfelder und Zaugg. Tucholsky veröffentlichte bekanntlich viele seiner Werke unter den Pseudonymen Theobald Tiger und Peter Panter. Auf den Fuchs kamen die Künstler, weil tatsächlich immer öfter Wildtiere im Berliner Stadtzentrum auftauchen. «Tucholsky», vermutet Pfelder, «würde als schlauer Stadtfuchs zurückkommen.»

Bleibt nur zu hoffen, dass er in der Lübecker Straße nicht die Tollwut bekäme.

6.1.2007

Küsst Helge Schneider

Aus Anlass von Dani Levys neuem Film »Mein Führer« kommt wohl kein deutsches Medium an der Frage vorbei, ob man über Adolf Hitler lachen darf. Schon Tucholsky näherte sich dem Problem 1932 dialektisch, indem er im März schrieb …

Satire hat eine Grenze nach oben: Buddha entzieht sich ihr. Satire hat auch eine Grenze nach unten. In
Deutschland etwa die herrschenden faschistischen Mächte. Es lohnt nicht – so tief kann man nicht schießen.

… zum anderen jedoch im Mai die Satire „Hitler und Goethe“ veröffentlichte und sich über die typisch verquasten Naziargumentationen lustig machte.

Auch das aktuelle Feuilleton wägt in dieser Frage vorsichtig ab, so denn der Film überhaupt für lustig befunden wird. Jürgen Schmieder hat im „Führer“ durchaus einige komische Szenen entdeckt, die er in der Süddeutschen Zeitung ausgiebig schildert. Und noch etwas anderes ist ihm aufgefallen:

Natürlich werden die Warner kommen, die Befürchter, die Vorsichtigen. Sie werden fragen: Darf man Hitler so zeigen? Ist es keine Verniedlichung? Die Antwort gibt der Film selbst. Am Anfang wird ein Zitat von Kurt Tucholsky eingeblendet: „Küsst die Faschisten, wo Ihr sie trefft!“ Und am Ende schreien die Deutschen bei Hitlers Neujahrsrede: „Heil mir selbst!“

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