9.1.2007

„Rauchlos helle Flamme“ leuchtet im Netz

Was Tucholsky im vergangenen Jahr betraf, hat nun auch Karl Kraus ereilt: 70 Jahre nach seinem Todestag ist das Werk vom Beginn des Folgejahres an nicht mehr urheberrechtlich geschützt. Was in Krausens Fall aber die Folge hat, dass sein Werk, im Wesentlichen die Zeitschrift Die Fackel, nun komplett online nachzulesen ist. Unter der Adresse www.aac.ac.at/fackel/ lässt sich nach einer kostenlosen Registrierung bequem in sämtlichen Ausgaben der Zeitschrift recherchieren.

Dabei stößt man natürlich sehr einfach auf 42 Stellen, in denen in der Fackel, die er 1920 als „rauchlos helle Flamme“ bezeichnet hatte, der Name Tucholsky genannt wird. Die auffällige Häufung der Namensnennungen in den Jahren 1925 und nach 1930 lässt sich einfach erklären. 1925 steckte ein Plagiats-Vorwurf dahinter, den Tucholsky in der Weltbühne gegenüber dem Kraus-Adepten Heinrich Fischer gemacht hatte. Darin hieß es:

Das geht bis an die letzte erlaubte Grenze. Es ist fast nicht zu glauben, daß Heinrich Fischer den Bauerndichter Christian Wagner nicht kennt; und wenn er ihn kennt, darf er das nicht tun. Die Technik, die Worte, die Reimart, diese seltsame Anwendung des Partizipium Perfekti Passivi – Alles, Alles von da.

Kraus verlangte „Satisfaktion“, Tucholsky sollte bei einem Treffen in Paris Abbitte leisten. Doch dieser verzichtete nach anfänglichem Wunsch darauf, den Wiener nach einem von dessen Vorträgen in Paris zu treffen. Den Grund teilte er Weltbühne-Herausgeber Siegfried Jacobsohn mit:

Dieser Mann ist komplett meschugge. Da er im Privatleben keinen Humor hat, und es ganz ausgeschlossen ist, mit ihm über diese Nichtigkeit so zu reden, wie die Sache sie verdient, wäre er im Stande mich zu brüskieren. Das wäre mir an sich gleichgültig, aber erstens paßt mir das vor Mehring nicht und zweitens nicht vor Franzosen. (…) Wenn er uns in der nächsten Nummer der ›Fackel‹ schlachtet, so ist das seine Sache, und was Du darauf tust, ist Deine. Ich werde wohl nur antworten, wenn er ausgesprochene Verleumdungen in die Welt losläßt, der Rest ist mir wurst.

Die „Abschlachtung“ folgte tatsächlich. Kraus widmete sich in der Fackel Nr. 686–690 vom Mai 1925 auf 15 Seiten dem „Fall Jacobsohn“ und erläuterte dabei aus seiner Sicht, warum es in Paris nicht zu dem Treffen gekommen war:

Ich hätte gegen dessen persönliche Abstattung, also gegen den Verkehr mit Herrn Wrobel nichts einzuwenden gehabt, ließ aber Herrn Tucholsky sagen, daß er, um jenem den Zutritt zu verschaffen, vorerst die Aufklärung schuldig sei, wie seine Ansicht von einem Plagiat Fischers an Wagner, über deren Berechtigung und Ernsthaftigkeit ich mit ihm nicht sprechen wolle, eine Publizität erlangt habe, deren Verwalter doch vor solcher Materie einen alten Schmerz verbeißen mußte, um neue Freude zu erleben. Ohne diese Rechtfertigung, ohne die Zusage einer öffentlichen Zurückziehung des Vorwurfs, ohne die öffentliche Erklärung, daß ein Privatbrief mißbraucht worden sei, oder das private Bedauern über die Bedienung der Ranküne des Herausgebers, kurz ohne zureichende Bereinigung einer so unsaubern Angelegenheit sei ein Verkehr nicht denkbar.

Tucholsky verzichtete auf eine Replik dieser Darstellung, wagte es aber, 1929 zu schreiben:

Der erste Theaterabend fand mittags statt: in der berliner Volksbühne haben sie die ›Unüberwindlichen‹ von Karl Kraus gegeben. Als die Wogen des Beifalls durch das Theater rollten, trat Kraus vor die Gardine und dankte. Er täuschte sich nicht: er hat kein Publikum erobert. Er hat ein erobertes Publikum erobert.

Damit schien er sich jegliche Restsympathie bei Kraus verspielt zu haben. In den Folgejahren störte es Kraus offenbar am meisten, dass man in ihm quasi die Wiener Ausgabe eines Tucholsky sah und beide häufig in ein Boot steckte. Um diesen Eindruck zu zerstören, ließ kaum eine Gelegenheit aus, Tucholskys journalistisches „Vorstrafenregister“ zu zitieren:

Wie der Herr Tucholsky (trotz Kriegsanleihelyrik, schlesischer Tätigkeit und Verulkung Rosa Luxemburgs eine Fahne revolutionären Geistes und unter allen Umständen ein flotter Bursche) in Deutschland stets mit mir zusammengespannt wird (…)

Um Letzteres zu verhindern, griff Kraus schließlich zu radikalen Mitteln:

Einer Mitteilung der Berliner Funkstunde entnehmen wir, daß Sie im Rahmen einer Feierstunde am 15. März das Gedicht »Zum ewigen Frieden« von Karl Kraus zum Vortrag bringen ließen. Mit dem besten Dank für Ihre freundliche Absicht bitten wir, uns in etwaigen künftigen Fällen das Programm rechtzeitig bekanntgeben zu wollen, da der Autor es ablehnt, in einem solchen zum Beispiel mit Herrn Kurt Tucholsky, der ihm als feuilletonistischer Mitarbeiter der bürgerlichen Presse, Verfasser eines Werbegedichts für eine Kriegsanleihe und auch sonst bekannt ist, zu figurieren, und mit ihm keine Feierstunde zu begehen wünscht.

Diese Anschuldigungen wiederholten sich bis 1934, wobei Tucholsky in einem Brief an Carl von Ossietzky im März 1932 klarstellte:

Karl Kraus. Nach dem letzten, etwa 150. Angriff dies:
Der Mann kann gegen mich schreiben, was er lustig ist. Was ich ihm übel nehme ist, daß er genau das macht, was er den großen Zeitungen vorwirft, mit denen er ja – sonst greift man auch nicht dreißig Jahre lang an – solche Ähnlichkeit hat: er lügt durch Verschweigen. Liest man das da in der Fackel, dann glaubt man, ich heiße Auernheimer. Also gut – glauben Sie ja nicht, daß ich etwas unternehmen will. Jedennoch:
Wir wollen – außer Hiller – keinem mehr erlauben, ihn bei uns zu loben. Soweit kanns nun nicht gehn. Ich bitte also formell und feierlich, jedes Lob auf Kraus rücksichtslos zu streichen, und zwar durchaus mit Berufung auf seine Haltung gegen uns, S.J. und die WB. Zitate würde ich nicht streichen – dagegen aufpassen, daß sie wörtlich sind. Damit wir nicht eine dieser albernen Berichtigungen auf den Hals bekommen.

1933 landeten Tucholskys Schriften bei den Bücherverbrennungen der deutschen Studenten im Feuer. Doch selbst diese Situation ließ Kraus nicht solidarisch werden. Statt dessen schrieb er in „Die dritte Walpurgisnacht“, dass er „nicht um einen Nobelpreis mit dem Tucholsky auf einem Scheiterhaufen brennen“ wolle.

Tucholskys letzte Äußerung zu Kraus stammt wenige Wochen vor seinem Tod. Am 9. November 1935 schrieb er:

Wer von jedem Mausdreck im Alltag das äußerste fordert, der endet gewöhnlich nachher im dicksten Kompromiß. Wie z.B. der selige Karl Kraus. Es hat keinen Wert, dauernd der Welt das Neue Testament auf den Kopf zu schlagen – wir wissen ja, daß das ein unangenehmes Geräusch gibt. Aber über die Köpfe hinweg muß mans ab und zu sagen: Selbstzufriedenheit ist eines der wenigen Laster, die es gibt.

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