20.4.2005

Zwei Berliner in Hessen

Es ist sicherlich eine interessante Idee, einen Abend mit Liedern und Texten der beiden Berliner Kurt Tucholsky und Rio Reiser zu gestalten. Diesen Einfall hatte zumindest das Theater Alte Feuerwache (TAF) in Bad Nauheim. Die Premiere am 23. April ist zwar schon ausverkauft, doch es gibt noch Karten für weitere Veranstaltungen, wie der „Gießener Anzeiger“ und die „Frankfurter Neue Presse“ zu berichten wissen.

19.4.2005

Strom und Wasser

Es ist schon erstaunlich, zu welchen Themen bisweilen Anthologien veröffentlicht werden. Die Oberhessischen Versorgungsbetriebe AG (Ovag) mit Sitz in Friedberg kümmern sich nicht nur um die Strom- und Wasserversorgung in Oberhessen, sondern sorgen sich auch um das literarische Wohl ihrer Kunden. Zu diesem Zweck geben sie bereits die zweite Sammlung von Texten heraus, die sich mit den von ihnen vertriebenen Produkten beschäftigt: „Der Strom und das Wasser“.

Von den Fluten des Gilgamesch-Epos zum aktuellen Bestseller-Autoren Frank Schätzing („Der Schwarm“), von den Geistern des Meeres und der Flüsse des Philosophen Tschuang-Tse über Schillers „Taucher“, Moby Dick, Mark Twain, Kurt Tucholsky, Hermann Hesse und Ingeborg Bachmann bis hin zu Henning Mankell – über 60 Autoren sind mit ihren Texten in dem neuen OVAG-Buch „Der Strom und das Wasser“ vertreten – ein Buch, das auf 310 Seiten Funken und Strudel aus der Weltliteratur versammelt.

heißt es auf den Internetseiten der Ovag und in der „Frankfurter Neuen Presse“, die die gesamte Pressemitteilung fast wortgleich übernommen hat.

Welchen Text des Strom- und Wasserexperten Tucholsky die Ovag wohl für übernahmewürdig befand? Vielleicht denjenigen über das Wasser-Sanatorium aus den „Nachher“-Stücken:

Weit, äonenweit: Wasser, eine stille Fläche. Sie lag in der Luft wie eine hauchige Scheibe, glasdünn, glasklar, wie mir schien. Ich sagte ihm das. „Es ist nicht klar“, sagte er. „Das ist es eben. Es ist hier zur Erholung, das Wasser. Es ist abgeguckt.“ – „Was ist es -?“ sagte ich. „Es ist abgeguckt“, sagte er. „Sie haben da alle hineingesehn – setzen wir uns. Ich werde Ihnen das erklären.“
(…)
„Sie haben so viel hineingetan, das Wasser ist voll davon, und jetzt ruht es sich aus. Mein Lieber, wer hat da alles Bröckchen des Lebens hineingeworfen! Bröselchen von Schmerz, Erinnerung, Wehleidigkeit, Faulheit, Tobsucht, zerbissene Wut, heruntergeschlucktes Begehren –! Das strengt an. Das arme Wasser liegt hier und ruht. Es muß wieder sauber werden. Es ist vermenscht.“
Kaspar Hauser: „Nachher“, in: Die Weltbühne, 28.12.1926, S. 1019

Nachtrag 20.4.: Auch der „Gießener Anzeiger“ versteht sich bestens darauf, Pressemitteilungen nahezu unverändert abzudrucken.

18.4.2005

Wasser oder Bier?

Alle Jahre wieder kommt ein Journalist auf die Idee, auf den Spuren Tucholskys in den Pyrenäen zu wandeln. Dieses Mal hat sich Rainer Heubeck für die „Berliner Morgenpost“ auf den Weg nach Südfrankreich gemacht. Dort hat er einiges so vorgefunden, wie es schon Tucholsky beschrieben hatte. Zum Beispiel den höchsten Wasserfall Südwesteuropas (welch ein Superlativ) bei Gavarnie. Tucholsky war damals weder von dem Naturschauspiel noch von dessen Besuchern beeindruckt. „Geschwätziges, naturkneipendes Kleinbürgertum“ sah er dort. Warum sich diese Touristen in Heubecks Text „Eine kleine Flocke“ plötzlich für die Heilkraft des Wassers interessieren und ein „naturkneippendes Kleinbürgertum“ werden, wird wohl das Geheimnis irgendeines Autors oder Setzers bleiben.

Zeitungsarchäologie

Für die „Frankfurter Rundschau“ hat sich Thomas Kröter Gedanken über die Schnelllebigkeit des politischen Geschäfts gemacht. Der Artikel beginnt mit einem Zitat von Tucholsky, wonach es nichts Älteres als die Zeitung von gestern gebe. Dieses Zitat fällt vermutlich in die Kategorie Binsenweisheiten, die gelegentlich Tucholsky zugesprochen werden. Ob diese Weisheit zutrifft, lässt sich anhand der Lektüre von Kröters Analyse „Im Rhythmus der Empörung“ leicht überprüfen. Der Text ist sogar schon von vorgestern.

16.4.2005

Deutsch als Fremdsprache

Die „Stuttgarter Zeitung“ erinnert in der Glosse „Endzeit“ an den Abend, an dem Tucholsky zum ersten Mal die deutsche Sprache nackt gesehen haben will:

Wie klingt Deutsch in den Ohren eines Menschen, der eine andere Muttersprache hat? Kurt Tucholsky hat das 1926 in Paris erlebt. „Le Lied“ heißt die Reportage über den Auftritt des Komikers „Bétove“, der deutsche Lieder zum Besten gibt.

Anschließend zitiert Autor Thomas Schwarz eine längere Passage aus „Le ‚Lied'“, die mit einem Beispiel dafür endet, wie Deutsch in den Ohren eines Franzosen wohl klingen mag: „A-ha-haa-schaupppttt da-ha-gerrächchzzz -!“

Noch weiß der Leser der „Stuttgarter Zeitung“ allerdings nicht, worum es in der Glosse eigentlich geht. Vielleicht kommt ein amüsantes Beispiel dafür, wie Deutsch sich für einen Italiener anhört. Leider nein. Es folgt eine der typischen Journalistenklagen über Behördendeutsch:

Da war ein Polizeibeamter als Zeuge vorgeladen. Und dieser erklärte, er sei der Endsachbearbeiter im vorliegenden Fall gewesen. Und was er da gemacht habe, als Endsachbearbeiter?

„Ich habe den Fall endsachbearbeitet.“

Das klingt doch eigentlich ganz angenehm.

Der ganze Hesse

Weil der Suhrkamp-Verlag dieser Tage die Edition von Hermann Hesses Gesamtausgabe fertiggestellt hat, beleuchtet die „FAZ“ aus diesem Anlass die verschiedenen Aspekte von Hesses Werk. So habe es neben dem Schriftsteller Hesse auch den Literatur- und Zeitkritiker gegeben, dessen Betrachtungen durch die Gesamtausgabe nun vollständig zugänglich gemacht worden seien, schreibt Michael Hierholzer in dem Text „Der ganze Hesse“. Und um die Qualitäten Hesses auf den weniger bekannten Gebieten zu betonen, heißt es:

Tucholsky immerhin befand 1931: „Hesses Buchkritiken haben zur Zeit in Deutschland kein Gegenstück. Aus jeder Buchkritik Hesses kann man etwas lernen, sehr viel sogar.“

Das Tucholsky-Zitat ist dabei fast richtig wiedergegeben. Aber nur fast. Denn im Originaltext steht ein „dagegen“ hinter dem Wort „Buchkritiken“. Der positiven Einschränkung geht folgende, eher kritische Passage voran:

Ich halte Hesse für einen Schriftsteller, dessen Qualitäten als Essayist weitaus größer sind als seine dichterischen Eigenschaften. In seinen Dichtungen ist er entweder weitschweifig, zokkersüß, wenn es auch wirklicher, guter Kristallzucker ist und keine Melasse, manchmal wäich und dann wieder säuerlich.
Peter Panter: „Auf dem Nachttisch“, in: Die Weltbühne“, 3.3.1931, S. 321

Den „ganzen Hesse“ besprach Tucholsky aber zu dessen 50. Geburtstag. In einer umfangreichen Würdigung versuchte er, die Kritik an Hesse als einem exemplarischen „deutschen Menschen“ an einem bestimmten Defizit festzumachen:

Was fehlt aber Hesse, was fehlt dem ‚deutschen Menschen‘, das ihn so unleidlich macht, das seine Vorzüge aufhebt, seine Fehler verdoppelt? Was fehlt ihnen -?
(…)
Hesse hat keinen Humor. Der ‚deutsche Mensch‘, der da, den ich meine: er hat keinen Humor. Hätte er ihn, er wäre so nicht.
Ignaz Wrobel: „Der deutsche Mensch“, in: Die Weltbühne, 30.8.1927, S. 332

Ob diese Humorlosigkeit die folgende Feststellung von Hesse-Herausgeber Volker Michels erklären hilft?

Wie Volker Michels berichtete, kommen zu seinen Vorträgen vorwiegend junge Menschen zwischen 18 und 35 Jahren sowie solche im Rentenalter, die offensichtlich in ihrer Jugend Hesse-Lektüre betrieben haben. Die arbeitende Bevölkerung fehle, sagt der Herausgeber lächelnd: Offenbar vertrage es sich nicht, berufstätig zu sein und Hermann Hesse zu lesen.

14.4.2005

Satireverbot für die „FAZ“ jetzt!

Nach der jüngsten Kapitalismuskritik von Parteichef Franz Müntefering versucht sich die „FAZ“ an einer Satire über den Zustand der SPD. Leider kommt sie mit „SPD-Verbot jetzt!“ über einen Versuch nicht hinaus. Vielleicht hätte jemand dem Autor sagen sollen, dass ein Text, der Zitate von Tucholsky und Karl Kraus enthält, dadurch noch nicht witzig wird, – schon gar nicht satirisch. Vor allem, wenn man die Zitate noch so dümmlich verwendet wie die „FAZ“ es tut:

Gegründet als internationalistischer Arbeiterkampfbund, stimmte sie bei erstbester Gelegenheit einem Weltkrieg zu, auf jedes „Hü“ aus ihrem Mund folgte danach in Weimar ein „Hott“, so daß Satiriker diese zwielichtige „Pachtei“ (Tucholsky) bereits damals als „durch und durch revolutionär“ (Kraus) gegen sich selbst gerichtet verhöhnen konnten, und in der Bundesrepublik setzte sich der Wahnsinn bruchlos fort.

Das hört sich stark danach an, als habe Tucholsky den Ausdruck „Pachtei“ (was immer die „FAZ“ daran komisch findet) speziell auf die SPD gemünzt. Das ist nicht der Fall. Das Wort stammt aus dem Text „Ein älterer, aber leicht besoffener Herr“, und darin benutzt es der berlinernde Ich-Erzähler für alle Parteien, so auch für die „Deutsche Staatspachtei“.

Dabei hätte es sich die „FAZ“ doch so leicht machen können, um mit Tucholskys Hilfe über die SPD herzuziehen. Sie hätte nur folgenden „Schnipsel“ nehmen müssen:

Es ist ein Unglück, daß die SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands heißt. Hieße sie seit dem 1. August 1914 Reformistische Partei oder Partei des kleinern Übels oder Hier können Familien Kaffee kochen oder so etwas –: vielen Arbeitern hätte der neue Name die Augen geöffnet, und sie wären dahingegangen, wohin sie gehören: zu einer Arbeiterpartei. So aber macht der Laden seine schlechten Geschäfte unter einem ehemals guten Namen.
Peter Panter: „Schnipsel“, in: Die Weltbühne, 19.7.1932, S. 98

Wobei eine andere, ebenfalls konservative Zeitung sich vor gar nicht allzu langer Zeit noch heftig dagegen wehrte, dieses Urteil auf die heutige SPD zu übertragen. Was sie statt dessen empfahl, sagt sehr viel über den „Geist“ dieses Blattes aus:

Nein, mit diesen „Schnipseln“ des Kurt Tucholsky lässt sich nun wirklich nichts mehr anfangen. Aber die Bettszenen aus seinem „Schloss Gripsholm“, die sollte man natürlich lesen. Und vielleicht sogar abdrucken.

„Amerika“ nicht verstehen

Die „Berliner Morgenpost“ weist auf eine Inszenierung nach Motiven von Kafkas Roman „Amerika“ im Theater „Zerbrochene Fenster“ hin. In dem Artikel wird die Feststellung Tucholskys zitiert, wonach Kafkas Protagonist Karl Rossmann „das Leben nicht verstehe“. Nicht erwähnt wird allerdings Tucholskys Nachsatz, wonach Karl damit „recht hat“. Statt dessen heißt es einschränkend:

Man könnte auch sagen, er versteht das amerikanische Leben nicht. Da ist er nicht der Einzige.

Das klingt ein wenig resigniert für eine Zeitung, deren Verlag sich

die Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika

als einen seiner Unternehmensgrundsätze festgeschrieben hat.

Sterben leicht geredet

Einen recht merkwürdigen Einstieg wählt das „Darmstädter Echo“ in einem Artikel über ehrenamtliche Mitarbeiter in einem Hospizdienst. Autorin Petra Neumann-Prystaj zitiert den letzten Absatz eines Tucholsky-Textes als Hinführung zu dem schwierigen Thema Sterben:

„Übrigens stirbt keiner im höchsten Schmerz. Alles arrangiert sich, es geht ein langsamer Wechsel der Zellen vor sich – und weil niemand in fortgesetzter Ekstase leben kann, verfliegen Töne und Musik und Tränen, als wären sie nie gewesen.“ Allmählich schwinden Kraft und Sinne – so stellte sich Kurt Tucholsky das Ende vor. Friedlich. Trotzdem wählte er für sich den Notausgang Selbstmord.

Das Zitat ist von der Autorin für ihre Zwecke leider falsch ausgedeutet worden und in diesem Zusammenhang völlig deplaciert. Denn es ist dem Text „Pars-!“ entnommen, in dem Tucholsky seine Gefühle beschreibt, die ihn einmal beim Hören eines schwülstigen Liebeskummerliedes überfielen. „Allmählich schwinden Gefühle und Erinnerungen – so stellte sich Kurt Tucholsky das Ende eines jeden noch so heftigen Herzensjammers vor“, müsste es eher heißen. Und dass Tucholsky sich in Schweden vermutlich das Leben nahm, hatte wohl doch damit zu tun, dass bestimmte, mit starken Schmerzen verbundene Leiden eben nicht mehr „friedlich“ verschwanden.

Diese falsche Zitatauswahl ist eigentlich bedauerlich. Denn es gibt einen Tucholsky-Text, der sich tatsächlich mit dem langsamen Sterben eines Menschen beschäftigt. Darin heißt es:

Werde ich sterben können -? Manchmal fürchte ich, ich werde es nicht können.
Da denke ich so: wie wirst du dich dabei aufführen? Ah, nicht die Haltung – nicht das an der Mauer, der Ruf „Es lebe … “ nun irgend etwas, während man selber stirbt; nicht die Minute vor dem Gasangriff, die Hosen voller Mut und das heldenhaft verzerrte Angesicht dem Feinde zugewandt … nicht so. Nein, einfach der sinnlose Vorgang im Bett. Müdigkeit, Schmerzen und nun eben das. Wirst du es können?
(…)
Vielleicht wird es nicht so schwer sein. Ein Arzt wird mir helfen, zu sterben. Und wenn ich nicht gar zu große Schmerzen habe, werde ich verlegen und bescheiden lächeln: „Bitte, entschuldigen Sie … es ist das erste Mal …“
Kaspar Hauser: „Befürchtung“, in: Die Weltbühne“, 9.7.1929, S. 71

11.4.2005

Ein Schloss im Sumpf

Die „Berliner Morgenpost“ hat in dem Artikel „Brauner Sumpf“ aufgeschrieben, warum es in Rheinsberg bisweilen längst nicht mehr so idyllisch wie zu Zeiten Tucholskys zugeht.

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