23.3.2005

Zu viel gebrummt

Zu dessen sechzigstem Geburtstag hat die „Süddeutsche Zeitung“ dem Übersetzer, Autor, „Lindenstraße“-Darsteller und Verlegersohn Harry Rowohlt ein schönes Porträt geschenkt: „Ein Mann, ein Wort, ein Brummen“. Bei der unterhaltsamen Aneinanderreihung von Beobachtungen und Anekdoten sei Autor Hilmar Klute die leicht unzutreffende Behauptung verziehen, wonach Rowohlts Vater Ernst einst „Kurt Tucholsky seine herrlichen Sommerromane aus dem Ärmel gezogen“ habe. Eigentlich müßig darauf hinzuweisen, dass die in Tucholskys Ärmeln steckende Sammlung von Sommerromanen sich auf „Schloß Gripsholm“ beschränkte und dieses Exemplar in dessen eigenen Augen auch kein Roman war, sondern lediglich eine „Sommergeschichte“, wie es im vollständigen Titel des Buches denn auch heißt.

22.3.2005

Besuch im Vorgarten

Die „Süddeutsche Zeitung“ befasst sich in ihrer Reihe „Die letzten 50 Tage“ mit den Deserteuren des Zweiten Weltkrieges. Zu diesem Zweck hat sich Autor Bernd Dörries auf die Suche nach dem Ulmer Denkmal für Deserteure gemacht und es im Vorgarten von Hildegard Henseler gefunden. Wesentlich Neues zur Debatte enthält der Text „Ein Stein des Anstoßes, verborgen im Garten“ jedoch nicht. Dass das Denkmal eine Inschrift von Tucholsky trägt, hielt die „Süddeutsche“ nicht einmal für erwähnenswert. Wer Hintergründe über das Schicksal der Weltkriegsdeserteure erfahren möchte, dem sei aber das ausführliche Interview mit Manfred Messerschmidt empfohlen.

21.3.2005

Der Welttag der Poesie ist da!

Wer es bis dato noch nicht gewusst hat, der sollte es sich von nun an merken: Der 21. März ist nicht nur Frühlingsanfang, sondern auch der „Welttag der Poesie“. Da Lyrikbände keine so verderbliche Ware wie Blumen und Pralinen sind, wird es wohl noch eine Zeitlang dauern, bis die Verlage dieses Datum als ihren marketingtechnischen Valentinstag entdecken. Die „Rhein-Main-Presse“ geht immerhin mit gutem Beispiel voran und druckt in ihren Ausgaben heute tatsächlich zwei Gedichte ab. Frühlingsgedichte natürlich. Allerdings hat sie sich nicht die Intention der Unesco zu eigen gemacht, wonach der Welttag der Poesie Verlage ermutigen soll, „poetische Werke besonders von jungen Dichtern zu unterstützen“. Da nützt auch die Ausrede nichts, dass Tucholsky erst 24 Jahre alt war, als er „Der Lenz ist da!“ schrieb.

Ob sich die „Rhein-Main-Presse“ bei ihrer Auswahl von der „Welt am Sonntag“ hat inspirieren lassen? Dort sammelte Peter Wägner lyrische Frühlingsimpressionen in seinem Artikel „Wenn laue Frühlingswinde wehen“. Die zu Jahreszeit und Stimmung besser passende Wahl wäre in diesem Fall aber ein Gedicht gewesen, aus dem folgende Zeilen stammen:

Und wenn man dieses Deutschland sieht und diese
mit Parsifalleri – und -fallerein
von Hammeln abgegraste Geisteswiese –
ah Frühling! Hier soll immer Winter sein!
Theobald Tiger: „Vorfrühling“, in: Die Schaubühne, 5.2.1914, S. 169

18.3.2005

Keine Chance für Deserteurdenkmal in Ulm

Auch beim diesmaligen Anlauf hat es wieder nicht geklappt: Der Hauptausschuss des Gemeinderates Ulm hat es am Donnerstag mit den Stimmen von CDU und FWG/FDP abgelehnt, einem von Hannah Stütz-Mentzel geschaffenen Denkmal für Deserteure einen öffentlichen Platz in der Donaustadt zuzuweisen. Wie die „Südwestpresse“ berichtete, verzichteten die Vertreter der beiden genannten Fraktionen darauf, ihre Entscheidung zu erläutern. Der Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner begründete seine ablehnende Haltung mit einem Beschluss des Ulmer Gemeinderates, der bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges gefasst worden sei. Demnach sollte in der Stadt nur eine einzige Gedächtnisanlage an alle Opfer des Zweiten Weltkriegs erinnern.

Nach Auffassung des Grünen-Fraktionsvorsitzenden Markus Kienle zeugt dies jedoch von einem „nivellierenden historischen Verständnis“. Aber auch die SPD konnte sich nicht dazu durchringen, das Denkmal geschlossen zu unterstützen. Ein Vertreter stimmte für den entsprechenden Antrag der Grünen, zwei enthielten sich ihrer Stimme. Allerdings brachte die SPD den Vorschlag ins Spiel, die Skulptur beim ehemaligen Konzentrationslager Oberer Kuhberg aufzustellen. Nach der Ablehnung des Antrags sei dieser Vorschlag aber nicht mehr diskutiert worden, schrieb die „Südwestpresse“.

16.3.2005

Liebe und Ehe

Ob es wirklich eine so gute Idee von einem katholischen Bildungswerk ist, einen literarischen Abend über Liebe und Ehe mit Texten eines Mannes zu bestreiten, von dem dessen erste Ehefrau behauptet haben soll: „Als ich über die Damen wegsteigen musste, um in mein Bett zu kommen, ließ ich mich scheiden“? Ganz wohl scheint es dem Veranstalter des Nachtcafés Heppenheim jedenfalls nicht bei dem Gedanken gewesen zu sein, Tucholskys Ansichten über das Zusammenleben von Mann und Frau unkommentiert vortragen zu lassen. Wie das „Darmstädter Echo“ zu berichten weiß, ist aber für Abhilfe gesorgt:

Passend zum Thema wird das Nacht-Café an diesem Abend einen besonderen Gast begrüßen. Mechthild Ferner, die als Eheberaterin viele Jahre lang in Heppenheim tätig war, wird sich an der Moderation beteiligen und dabei auch ihren beruflichen Hintergrund mit einfließen lassen.

Interessant wäre sicherlich zu erfahren, was sie Tucholskys erster Frau Else Weil geraten hätte, um wieder ungestört ins Bett zu gelangen.

15.3.2005

Offener Brief zu Ulmer Deserteurdenkmal

Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft hat sich in einem offenen Brief dafür eingesetzt, dass die Stadt Ulm ein bereits vor 16 Jahren geschaffenes Denkmal für Deserteure endlich in ihrem Stadtgebiet aufstellt. Das Schreiben richtet sich an den Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner sowie an die Mitglieder des Gemeinderates, dessen Hauptausschuss am kommenden Donnerstag über die Aufstellung des Denkmal berät.

Die Tucholsky-Gesellschaft begründet ihr Engagement in der Debatte mit dem Hinweis, dass es sich bei der Inschrift auf der von Hannah Stütz-Mentzel geschaffenen Skulptur um ein bekanntes Zitat des Namensgebers der Gesellschaft handele. Kurt Tucholsky hat nach Auffassung der Gesellschaft in dem Text „Die Tafeln“ schon 1925 daran Anstoß genommen, dass die Erinnerung an solche Menschen fehle, die sich aus Überzeugung geweigert hätten, auf ihre Mitmenschen zu schießen. „Dieses fehlende Gedenken ist nach wie vor offenkundig. Wir würden es daher sehr begrüßen, wenn die Stadt Ulm sich dazu entschließen könnte, diesem Mangel abzuhelfen“, heißt es in dem Brief.

14.3.2005

Dialog der Affen

Einen fantasievollen Umfang mit einem Tucholsky-Text beweist die „Welt“ in einem Artikel über durchgedrehte Fußballfans. Autor Oskar Beck stellt darin die Frage, ob Schiedsrichter und Spieler vor den Attacken der Fans nur noch durch einen Zaun wirkungsvoll geschützt werden könnten. Und fährt fort:

Kurt Tucholsky hat diese Art des Schutzes in anderem Zusammenhang begeistert beschrieben, in seinem „Affenkäfig“ – da sagt, mit einem verächtlichen Seitenblick auf die Zuschauer, der eine Schimpanse erleichtert zum anderen: „Wie gut, daß die alle hinter Gittern sind.“

Oskar Beck scheint seinen Tucholsky ganz gut gelesen zu haben, dass er diesen Affendialog so plastisch wiedergeben kann. Das Problem ist nur: Weder gibt es diese Szene in dem erwähnten Text, noch stammt der zitierte Schimpansensatz von Tucholsky. Denn sein Artikel beginnt wie folgt:

Affenkäfig

   Der Affe (von den Besuchern): „Wie gut,
   daß die alle hinter Gittern sind -!“
      Alter Simplicissimus

In Berlins Zoologischem Garten ist eine Affenhorde aus Abessinien eingesperrt, und vor ihr blamiert sich das Publikum täglich von neun bis sechs Uhr. (…)
Peter Panter: „Affenkäfig“, in: Die Weltbühne, 16.10.1924, S. 585

Dass ein nicht von Tucholsky stammendes Zitat diesem zugeschrieben wird, passiert leider oft genug. Sich aber gleich noch die passende Textstelle dazu auszudenken: Das zeugt von reichlich Chuzpe.

13.3.2005

Ganz unten

Für das Magazin des „Darmstädter Echos“ hat Willi Weiss sich einem eher schwierigen Thema genähert: Gewalt im Strafvollzug. Die Erkenntnis, dass von den Zuständen in Gefängnissen auf den Gesamtzustand eines Staates geschlossen werden kann, gilt nicht erst seit Guantanamo. So schreibt Weiss in seinem Text „Schlimmer als ein schneller Tod“:

Das mag viele nicht sehr beunruhigen, weil der Knast nun mal kein Ort ist, dem das besondere Mitgefühl des Bürgers gilt. Verständlich vielleicht, aber auch das wäre wieder nur eine Regung des Herzens. Der Verstand würde es wohl eher mit Kurt Tucholsky halten, der erzählte einmal, dass sich Egon Erwin Kisch in fremden Ländern zunächst einmal die Gefängnisse ansehe. Diese Eigentümlichkeit habe er, Tucholsky, immer bejaht. Denn maßgebend für eine Kultur sei nicht ihre Spitzenleitung; sondern die unterste, die letzte Stufe, die dort gerade noch möglich sei.

Nun ist Weiss aber nicht auf den Spuren von Kisch gewandelt und hat eine Reportage über den Gefängnisalltag geschrieben. Sein Text basiert sehr stark auf den Aussagen von Harry Kettenbach, der 19 Jahre seines Lebens im Gefängnis verbrachte, währenddessen Soziologie und Psychologie studierte und inzwischen Schriftsteller geworden ist. Vergleicht man dessen Karriere mit den Haftbedingungen zu Zeiten Tucholskys, so scheint sich seitdem doch einiges verbessert zu haben.

12.3.2005

Apropo’s Apostrophe

Der Missbrauch von Apostrophen an vornehmlich ostdeutschen Imbissbuden und Sonnenstudios (aber nicht nur dort) ist schon viel beschrieben, beklagt und bewiesen worden. Wie es die „Welt“ aber schafft, dem Apostrophverächter Tucholsky ein solches Auslassungszeichen unterzuschieben, ist wirklich sehenswert:

Doch was dabei herauskommt, ähnelt dem Befund, den der Dichter Kurt Tucholsky schon 1927 in die sarkastische Erkenntnis gekleidet hatte: „Ja, das möchte’st de: Vorn die Ostsee, und hinten die Friedrichstraße.“

Wie in fast allen Fällen von verunglückten Apostropheinsätzen geht es auch in diesem Fall viel einfacher:

Ja, das möchste:

heißt es in dem Gedicht „Das Ideal“, das 1927 in der „Berliner Illustrirten Zeitung“ erschien.

Mit der obigen Zitationsweise des Tucholsky-Bonmots fällt die „Welt“ leider hinter ihre eigenen Vorgaben zurück. Zwar klappte es beim vorigen Mal auch nicht ideal, aber doch um einiges besser.

9.3.2005

Blubbernde Fettkugel

„Verehrt, Verfolgt, Vergessen“ lautet der Titel einer Ausstellung, die derzeit im Potsdamer Filmmuseum gezeigt wird. Sie ist dem Andenken von Künstlern gewidmet, die von den Nationalsozialisten von Bühnen und Leinwänden verbannt wurden. Zu diesen vergessenen Filmgrößen zählt auch der Berliner Schauspieler Otto Wallburg. Dessen Schicksal stellen die „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ in ihrem Ausstellungsbericht sehr ausführlich vor. Denn zur Ausstellungseröffnung wurde Wallburgs typische Sprechweise von dem Schauspieler und Synchronsprecher Friedrich Schoenfelder imitiert. Diese muss sehr interessant geklungen haben:

Bekannt geworden war Otto Wallburg vor allem dank seiner Kodderschnauze. Sein „Blubbern“, wie es die Berliner liebevoll nannten, bevor sie lieber den schnarrenden Tönen aus dem Volksempfänger lauschten, begeisterte sogar den gestrengen Alfred Kerr. Kurt Tucholsky hatte Wallburgs Sprachartistik als „gesprochene Stenographie“ gewürdigt.

Tucholsky war in der Tat sehr angetan von Wallburgs Auftritten und porträtierte den „Badeengel aus Zelluloid“ sehr wohlwollend:

Diese Fettkugel spricht Stenographie (Debattenschrift); die Sätze fallen, fertiggenäht, aus dem Mund, sind hundertmal gesprochen, werden als bekannt vorausgesetzt und daher nur leicht angeschlagen. (…) Er ist immer ein bißchen naß, weil er schwitzt, immer in Bewegung, und was er einmal in einer Posse zu sagen hatte, könnte sein Wahlspruch sein: „Nehmen Sie nur! Ich habe davon vierhundert Stück.“
Peter Panter: „Otto Wallburg“, in: Die Weltbühne, 15.2.1927, S. 274

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