8.3.2005

Tucholsky für Moderatoren

Der frühere Musikkritiker Thomas Veszelits ist inzwischen zum Kommunikationsexperten mutiert und hat als solcher 30 deutschen Prominenten „Auf’s Maul geschaut!“, wie der Titel seines neuen Buches lautet. Der Zweck des Ganzen, laut Verlagsprospekt:

Aus deren Sprachschatz, rhetorischen Tricks und individuellen Eigen­heiten entwickelte er zehn Kommunikationstypen, mit deren Hilfe man das Geheimnis ihres Erfolges verstehen und für sich nutzen kann.

In einem Interview mit der „Welt“ erläuterte Veszelits nun unter anderem, warum er welchen Prominenten in eine bestimmte Kategorie gesteckt hat:

Müntefering, der Moderator, der als Vorbild immer Tucholsky nennt und auch selbst schon kleine Theaterstücke geschrieben hat, redet anders als der Gutachter Fischer, der voller Leidenschaft in Rätseln, Vergleichen oder Provokationen spricht.

Dass SPD-Chef Franz Müntefering eine andere Sprache spricht als Außenminister Joschka Fischer, ist in der Tat nicht ganz unzutreffend. Was nun aber das Vorbild Tucholsky damit zu tun haben soll, dass Müntefering zu den „Moderatoren“ zählt, ist allerdings nicht ganz nachzuvollziehen. Müsste Müntefering dann nicht eher ein „Klartexter“ sein, der die Dinge beim Namen nennt? In diese Kategorie fallen in Veszelits‘ Buch die „Kultfigur“ Harald Schmidt, der „Reformkanzler“ Gerhard Schröder und der „Liberalen-Kapitän“ Guido Westerwelle.

Die Nähe des SPD-Chefs zu Tucholsky kann so groß ohnehin nicht sein kann, wenn man dem Inhalt des hier zu findenden Textes Glauben schenken darf. Vielleicht meint Veszelits aber auch nur, dass Müntefering sich bei seinen öffentlichen Auftritten an Tucholskys Ratschläge für einen guten/schlechten Redner hält. Was auch immer noch günstiger käme, als die 12,90 Euro für Veszelits‘ Buch auszugeben.

7.3.2005

„Gripsholm“-Produzent tödlich verunglückt

Der Fernseh- und Filmproduzent Thomas Wilkening ist in der Nacht zum Freitag bei einem Spaziergang auf der Insel Hiddensee auf einem vereisten Tümpel eingebrochen und konnte trotz eines Hilferufes per Mobiltelefon nicht mehr gerettet werden. Die Feuerwehr habe die Leiche des zweifachen Familienvaters erst am Sonntagmorgen in dem Tümpel gefunden, hieß es in den Medien.

Wilkening hatte zuletzt mehrere Folgen der Krimiserie „Polizeiruf 110“ produziert. Die meisten Medien erwähnten in ihren Berichten ebenfalls, dass Wilkening die Tucholsky-Erzählung „Schloß Gripsholm“ mit Heike Makatsch und Ulrich Noethen verfilmt habe. Der Film, der im Herbst 2000 in die Kinos gekommen war, sei Wilkenings größter Erfolg gewesen, schrieb beispielsweise die Nachrichtenagentur AFP.

4.3.2005

Versautes Zitat

In einem Artikel von Heinz Horrmann in der „Welt“ über ein Golfhotel bei Hameln findet sich ein schönes Beispiel dafür, wie viele Ungenauigkeiten in ein Zitat rutschen können, das nur aus zwei Wörtern besteht.

So kostet beispielsweise ein intensives Golftraining (einschließlich Pro, Leihschläger, einer Runde, die wahrlich mehr ist als ein „versauter Spaziergang“, wie Tucholsky meinte) mit zwei Übernachtungen und Genußabend 375 Euro.

schreibt Horrmann, und es wäre ihm zu wünschen, dass die beiden zitierten Wörter richtig wiedergegeben sind und in ihrer Verbindung tatsächlich auf Tucholsky zurückgehen. Dies ist leider nicht der Fall, denn im Original sieht das alles ein wenig anders aus:

Golf, sagte einmal jemand, ist ein verdorbener Spaziergang.

schrieb Peter Panter in einem „Schnipsel“ vom 3. November 1931. Es bleibt natürlich niemandem unbenommen, Tucholsky dahingehend zu zitieren, dass dieser einmal jemand Unbekanntes zitierte, der gesagt habe solle „Golf ist ein verdorbener Spaziergang“. Eleganter wäre es natürlich, den Urheber des Spruches zu nennen. Dieser „jemand“ war offensichtlich niemand anderes als der amerikanische Schriftsteller Mark Twain, zumindest wird ihm sehr häufig der Satz zugeschrieben: „Golf is a good walk spoiled“.

In Horrmanns Text findet sich übrigens noch ein ebenso schönes Beispiel dafür, wie viele politische und ökologische Ungenauigkeiten sich einmal en passant in einen Text über ein Golfhotel verirren können:

Das Hochamt für Romantiker findet auf weitem, flachem Land statt, irgendwo zwischen Hameln und Aerzen am südlichen Zipfel Niedersachsens und schon in Sichtweite der Windräder Nordrhein-Westfalens, dieser schlanken Zeugen einer extrem teuren und unsinnigen Energie-Politik.

2.3.2005

Keine Zeit für Märchen

Wie liebevoll man einen Märchenabend beschreiben, bei dem mangels Besucher fast jeder Zuhörer seine eigene Geschichte vorgelesen bekam, zeigt Frank Saltenberger in einem Artikel der „Frankfurter Neuen Presse“. Nur 20 Usinger fanden demnach den Weg in den Saal der Hugenottenkirche, wo Anne Georgio unter dem Titel „Märchen ohne Wolf und ohne Geißlein“laut „FNP“ „teils dramatische, teils bizarre, in jedem Falle aber fantasievolle Geschichten von Herrmann Hesse, Novalis, Oscar Wilde und Kurt Tucholsky“ vortrug. Wie sehr Autor Saltenberger von den Geschichten gerührt wurde, zeigt folgende Passage:

Das Mädchen allerdings verschmähte die Rose, denn sie hatte eine besser gestellte Begleitung in Aussicht, und so warf der Student die Rose weg und wandte sich ernüchtert seinen Studien zu. «Das Leben ist ein hoher Preis für eine Rose», sagte die Nachtigall noch vor dem Handel mit dem welken Strauch. Wie sinnlos aber ist ein Tod für ein vermeintliches Ideal, das nichts bewegt? Dieses beklemmende Gefühl drängte sich dem Zuhörer auf.

Nach der Pause habe Georgio dann Tucholskys Märchen „Die verzauberte Prinzessin“ vorgelesen, „eine heitere Erlösungsgeschichte voller ironischer Seitenhiebe auf die Bürokratie und surrealer Komik“. Begeistert von der Vortragsweise Anna Georgios und der Klavierbegleitung Waltraud Bartls konnte sich die „FNP“ einen Seitenhieb auf die Kulturverschmähung der Usinger nicht verkneifen:

Die in Friedrichsdorf lebende Pianistin und die Frankfurter Sprecherin haben das Programm „Märchen ohne Wolf und ohne Geißlein“ 2002 zum ersten Mal aufgeführt und konnten seitdem positive Kritiken verbuchen. Bedauerlich, dass die Hugenottenkirche nicht einmal halb gefüllt war.

Da der „Usinger Anzeiger“ ebenfalls präsent war, machten Journalisten alleine zehn Prozent des Publikums aus. Auch in dieser Rezension wurde der Vortrag mit viel Wohlwollen aufgenommen, wobei der Text mit einer etwas kryptischen literarischen Einschätzung endet:

Die Schauspielerin ließ Dorfköter bellen und Betrunkene zu Wort kommen und brachte die in beißenden Humor gekleidete Kritik Tucholskys an Monarchie und Militär auf den Punkt. Wenn in dem Märchen der Portier den Prinzen anschnauzt: „Heute wird hier nicht erlöst“, und der die Prinzessin bewachende erkältete Drachen für die Stelle des Personalchefs im Ministerium des Inneren empfohlen wird, wird beinahe auch die Kunstform des Märchens selbst ad absurdum geführt.

Nennt man so etwas nicht einfach Parodie?

28.2.2005

Von Bratwürsten und Hanswürsten

Ist es satirisch, den Dönerbuden im Berliner Bezirk Kreuzberg den Kampf anzusagen und lautstark eine Bratwurstquote von 40 Prozent zu fordern? Harald Scholz vom Künstlerkombinat „Die Sanierer“ meint „Ja“, und sei es nur darum, sich gegen den Vorwurf zu wehren, die Interessen spießbügerlicher Saubermänner zu vertreten. „Spricht hier die NPD-Kreuzberg? „, fragt gar die „Berliner Zeitung“ in einem aufklärerischen Artikel, der auch kurz aufzählt, was man im Namen der Satire alles erlaubt ist:

Was darf Satire? Nach Kurt Tucholsky alles. Provozieren, pöbeln, beleidigen oder eine Bratwurstquote für Kreuzberg fordern. (…) Am Sonnabend wollen sie ‚mit Megaphon gegen den Dönergestank‘ in der Bergmannstraße stehen und Bratwurst verteilen. Ist ja Satire. Aber ist das lustig?

Aber zum Glück darf die Satire nicht nur alles, sie kann auch einiges. Denn:

Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.
Ignaz Wrobel: „Was darf die Satire?“, in: Berliner Tageblatt, 27.1.1919

26.2.2005

Bouillon für den Kanzler

Wenn Kritikerpapst Marcel Reich-Ranicki sich zu James Joyces „Ulysses“ äußerst, bedient er sich gerne eines Tucholsky-Bonmots:

Liebigs Fleischextrakt. Man kann es nicht essen. Aber es werden noch viele Suppen damit zubereitet werden.
Peter Panter: „Ulysses“, in: Die Weltbühne, 22.11.1927, S. 788

So auch geschehen bei der Veranstaltung „Der Kritiker als Komödiant“ im Bundeskanzleramt, bei der, den Beobachtungen Michael Rutschkys für die „taz“ zufolge, neben dem schwerhörigen Reich-Ranicki auch der feierliche Dichter Durs Grünbein, der lachende Bundeskanzler Gerhard Schröder, die moderierende Kulturstaatsministerin Christina Weiss sowie eine junge, fleißig mitschreibende Reporterin zugegen waren.

25.2.2005

Der „Spiegel“ sagt mehr …

Bei der Spiegel-Gruppe ist es in jüngster Zeit zur Gewohnheit geworden, das Sprichwort „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ eindeutig der Urheberschaft Tucholskys zuzuordnen. So heißt es beispielsweise in dem Einband eines Bildbandes zum Zweiten Weltkrieg:

„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“, schreibt Kurt Tucholsky 1926. Im Zweiten Weltkrieg machen sich nicht nur die Nationalsozialisten diese Erkenntnis zu eigen, sondern alle in die tödliche Auseinandersetzung verwickelten Mächte.

Und weil das Zitat so nett ist, taucht es bei „Spiegel-Online“ in der Rezension eines Bildbandes zur Roten Armee Fraktion gleich noch einmal auf:

An das Credo „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“, das Kurt Tucholsky 1926 formulierte, hat die RAF nie geglaubt. Für die Gruppe, die 1970 als Rote Armee Fraktion den bewaffneten Kampf aufnahm, zählte nur das Wort.

Nun muss man dem „Spiegel“ zugute halten, dass Tucholsky diesen Spruch zumindest benutzt hat. Und zwar als Überschrift für einen Artikel, der die Möglichkeiten der Fotografie behandelt. Im Artikel selbst heißt es dann:

Ein Bild sagt mehr … Hunderttausend Worte wenden sich an den Verstand, an die Erfahrung, an die Bildung – das Bild … (…) Und weil ein Bild mehr sagt als hunderttausend Worte, so weiß jeder Propagandist die Wirkung des Tendenzbildes zu schätzen (…)
Peter Panter: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“, in: Uhu, Nov. 1926, Nr. 2, S. 75

Dass Tucholsky tatsächlich dieses Sprichwort „formulierte“, ist dagegen stark zu bezweifeln, auch wenn es irgendwo bei „Spiegel“ steht.

Der Weg zum Widerstand

Wie wurde jemand zum Widerstandskämpfer im Dritten Reich? Der „Tagesspiegel“ wagt auf seiner wöchentlichen Nachrufseite eine mögliche Antwort auf diese schwierige Frage nur leise anzudeuten. In einem Text, der das Leben der im Dezember 2004 gestorbenen Kommunistin Gertrud Keen nacherzählt, heißt es dazu:

Warum wird ein Mensch so anders? Lag es an den fortschrittlichen Lehrern, bei denen sie Tucholsky und Brecht gelesen hatte? Für die Schwestern, die lieber Charleston tanzen gingen, war sie jedenfalls eine „höhere Tochter“.

Sehr einfach lässt sich auf jeden Fall die Frage beantworten, wie schnell jemand im Dritten Reich ins Konzentrationslager kam:

1934 wurde sie verhaftet – in Friedrichsfelde hatte sie nach dem Grab von Rosa Luxemburg gefragt, ausgerechnet einen Gestapo-Mann. Der legte ihr die Hand auf die Schulter und nahm sie mit zum Gefängnis am Alex. Was sie bei der Jüdin gewollt habe, wurde sie dort gefragt. Sie sagte, dass sie deren „Briefe aus dem Gefängnis“ beeindruckt hätten. „Dann kannst du ja jetzt selber Briefe aus dem Gefängnis schreiben!“

24.2.2005

Der Zeit graut vor Satire

Da werden die Besucher der Volksbühne Niederrad aber noch einmal Glück haben. Es wäre auch kaum zu verantworten gewesen, wenn im neuen Stück des Theaters mit dem Titel „Das frivole Amtsgeheimnis“ mögliche Missstände innerhalb der Verwaltung aufgespießt würden. In einem Artikel in der „Frankfurter Rundschau“ gibt Regisseur und Theaterleiter Horst Keller daher Entwarnung:

Ist das Theaterstück eigentlich beste Satire im Sinn des guten alten Meisters Kurt Tucholsky? Lauert hinter dem Witz etwa reale Kritik an einer bürgerfeindlichen Einstellung in deutschen Amtsstuben? Nein, keinesfalls, beruhigt der Autor des Stücks, Horst Keller. Er selbst komme aus der Faschingstradition. Es dürfe gelacht werden. Er gehe davon aus, dass Beamte, die sich das Theaterstück anschauen, genug Humor hätten.
Gitta Düperthal: „Da wiehert der Amtsschimmel“, in: Frankfurter Rundschau, 24.2.2005, S. 39

Warum sich an der schwierigen Kunstsatire versuchen, wenn auch Realsatire geht.

Klein – unverständlich

Wenn ein Journalist wie Wiglaf Droste sich mit der Zeitschrift „Die Weltbühne“ befasst, artet das sehr leicht in politische Grundsatzmanifestationen aus. So leider auch in einem Text für die „Frankfurter Rundschau“ , in dem er auf ein Feature aufmerksam macht, das Axel Eggebrecht 1968 über die “ Geschichte einer berühmten Zeitschrift“ aufgenommen hat. Mehr als die reine Tatsache, dass es eine solche Aufnahme gibt, erfährt der Leser nicht. Statt dessen liefert Droste Fundstücke für die Aphorismensammlung:

Politik in Deutschland heißt Durchsetzung wirtschaftlicher Zwecke mit Hilfe der Gesetzgebung.
Wiglaf Droste: „Klein – klug“, in: Frankfurter Rundschau, 24.2.2005, S. 25

Und er ergänzt:

Eine Zeitschrift, die hinter diese Grunderkenntnis nicht zurückfiel, als das Publikum sie nicht wahrhaben und der Staat sie verbieten wollte, war Die Weltbühne.

Anstatt zu beschreiben, wie ein ehemaliger „Weltbühne“-Mitarbeiter wie Eggebrecht die Geschichte der Zeitschrift erzählt, scheitert Droste lieber bei dem Versuch, diese bewegte Vergangenheit selbst in 40 Zeilen zu pressen. Und wenn dann auch noch Bezüge zur Gegenwart nicht fehlen dürfen, kommt es schon mal zu der schiefen Behauptung, wonach Carl von Ossietzky von den Vorläufern der heutigen NPD ermordet wurde. Zu schreiben, dass von Ossietzky an der Folgen seiner KZ-Haft starb, wäre wohl zu groß und nicht klug genug gewesen.

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