4.3.2005

Versautes Zitat

In einem Artikel von Heinz Horrmann in der „Welt“ über ein Golfhotel bei Hameln findet sich ein schönes Beispiel dafür, wie viele Ungenauigkeiten in ein Zitat rutschen können, das nur aus zwei Wörtern besteht.

So kostet beispielsweise ein intensives Golftraining (einschließlich Pro, Leihschläger, einer Runde, die wahrlich mehr ist als ein „versauter Spaziergang“, wie Tucholsky meinte) mit zwei Übernachtungen und Genußabend 375 Euro.

schreibt Horrmann, und es wäre ihm zu wünschen, dass die beiden zitierten Wörter richtig wiedergegeben sind und in ihrer Verbindung tatsächlich auf Tucholsky zurückgehen. Dies ist leider nicht der Fall, denn im Original sieht das alles ein wenig anders aus:

Golf, sagte einmal jemand, ist ein verdorbener Spaziergang.

schrieb Peter Panter in einem „Schnipsel“ vom 3. November 1931. Es bleibt natürlich niemandem unbenommen, Tucholsky dahingehend zu zitieren, dass dieser einmal jemand Unbekanntes zitierte, der gesagt habe solle „Golf ist ein verdorbener Spaziergang“. Eleganter wäre es natürlich, den Urheber des Spruches zu nennen. Dieser „jemand“ war offensichtlich niemand anderes als der amerikanische Schriftsteller Mark Twain, zumindest wird ihm sehr häufig der Satz zugeschrieben: „Golf is a good walk spoiled“.

In Horrmanns Text findet sich übrigens noch ein ebenso schönes Beispiel dafür, wie viele politische und ökologische Ungenauigkeiten sich einmal en passant in einen Text über ein Golfhotel verirren können:

Das Hochamt für Romantiker findet auf weitem, flachem Land statt, irgendwo zwischen Hameln und Aerzen am südlichen Zipfel Niedersachsens und schon in Sichtweite der Windräder Nordrhein-Westfalens, dieser schlanken Zeugen einer extrem teuren und unsinnigen Energie-Politik.

25.2.2005

Der „Spiegel“ sagt mehr …

Bei der Spiegel-Gruppe ist es in jüngster Zeit zur Gewohnheit geworden, das Sprichwort „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ eindeutig der Urheberschaft Tucholskys zuzuordnen. So heißt es beispielsweise in dem Einband eines Bildbandes zum Zweiten Weltkrieg:

„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“, schreibt Kurt Tucholsky 1926. Im Zweiten Weltkrieg machen sich nicht nur die Nationalsozialisten diese Erkenntnis zu eigen, sondern alle in die tödliche Auseinandersetzung verwickelten Mächte.

Und weil das Zitat so nett ist, taucht es bei „Spiegel-Online“ in der Rezension eines Bildbandes zur Roten Armee Fraktion gleich noch einmal auf:

An das Credo „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“, das Kurt Tucholsky 1926 formulierte, hat die RAF nie geglaubt. Für die Gruppe, die 1970 als Rote Armee Fraktion den bewaffneten Kampf aufnahm, zählte nur das Wort.

Nun muss man dem „Spiegel“ zugute halten, dass Tucholsky diesen Spruch zumindest benutzt hat. Und zwar als Überschrift für einen Artikel, der die Möglichkeiten der Fotografie behandelt. Im Artikel selbst heißt es dann:

Ein Bild sagt mehr … Hunderttausend Worte wenden sich an den Verstand, an die Erfahrung, an die Bildung – das Bild … (…) Und weil ein Bild mehr sagt als hunderttausend Worte, so weiß jeder Propagandist die Wirkung des Tendenzbildes zu schätzen (…)
Peter Panter: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“, in: Uhu, Nov. 1926, Nr. 2, S. 75

Dass Tucholsky tatsächlich dieses Sprichwort „formulierte“, ist dagegen stark zu bezweifeln, auch wenn es irgendwo bei „Spiegel“ steht.

Der Weg zum Widerstand

Wie wurde jemand zum Widerstandskämpfer im Dritten Reich? Der „Tagesspiegel“ wagt auf seiner wöchentlichen Nachrufseite eine mögliche Antwort auf diese schwierige Frage nur leise anzudeuten. In einem Text, der das Leben der im Dezember 2004 gestorbenen Kommunistin Gertrud Keen nacherzählt, heißt es dazu:

Warum wird ein Mensch so anders? Lag es an den fortschrittlichen Lehrern, bei denen sie Tucholsky und Brecht gelesen hatte? Für die Schwestern, die lieber Charleston tanzen gingen, war sie jedenfalls eine „höhere Tochter“.

Sehr einfach lässt sich auf jeden Fall die Frage beantworten, wie schnell jemand im Dritten Reich ins Konzentrationslager kam:

1934 wurde sie verhaftet – in Friedrichsfelde hatte sie nach dem Grab von Rosa Luxemburg gefragt, ausgerechnet einen Gestapo-Mann. Der legte ihr die Hand auf die Schulter und nahm sie mit zum Gefängnis am Alex. Was sie bei der Jüdin gewollt habe, wurde sie dort gefragt. Sie sagte, dass sie deren „Briefe aus dem Gefängnis“ beeindruckt hätten. „Dann kannst du ja jetzt selber Briefe aus dem Gefängnis schreiben!“

15.2.2005

Die Freiheit, die ich meine

Wenn der Frankfurter Richter Heinrich Gehrke aus seinem Berufsleben erzählt, darf ein Hinweis auf einen aufsehenerregenden Fall von 1989 nicht fehlen. Damals hatte Gehrke entschieden, dass das Zitieren des Tucholsky-Satzes „Soldaten sind Mörder“ von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Drohbriefe an den Richter folgten. Vor wenigen Tagen hat Gehrke, inzwischen pensioniert, sich noch einmal an diese Zeit erinnert. Die „Frankfurter Neue Presse“ war dabei:

Und nicht selten geriet er in der Öffentlichkeit selbst in die Rolle des Angeklagten. So auch beim so genannten Soldatenurteil vor mittlerweile genau 16 Jahren, in dem er das Grundrecht auf persönliche Meinungsfreiheit so weit fasste, dass er auch das Führen des Tucholsky-Zitates «Alle Soldaten sind Mörder» einschloss. Heute, sagt Gehrke, würde er dieses Urteil nach dem Irak-Krieg weitaus radikaler formulieren.

Abgesehen davon, dass Tucholsky wohl mit Bedacht nicht „Alle Soldaten sind Mörder“ geschrieben hat, meint die „Neue Presse“ mit dem letzten Satz vermutlich, dass Gehrke, wenn er das Urteil heute noch einmal zu begründen hätte, das Recht auf Meinungsfreiheit noch stärker herausstellen würde.
Dürfte man bei Gehrke demnach heute ungestraft sagen, dass auch bestimmte Politiker Mörder seien?

12.2.2005

Satz des Anstoßes

Kaum zehn Jahre ist es her, dass das Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“ sogar das Bundesverfassungsgericht beschäftigte. Es gibt aber noch eine andere militärkritische Aussage Tucholskys, die in der Vergangenheit immer wieder die Gemüter bewegte. Auch in diesem Jahr kocht die entsprechende Debatte wieder hoch. Allerdings nicht auf nationaler Ebene, sondern in der Donaustadt Ulm, wie die „Stuttgarter Zeitung“ am Freitag berichtete.

Stein des Anstoßes ist ein Denkmal gleichen Namens, das den Deserteuren des Zweiten Weltkrieges gewidmet ist. Schon 1989 wurde die Stahlskulptur geschaffen. Aber die Ulmer Stadtoberen trauen sich bis heute nicht, das Denkmal im öffentlichen Raum aufzustellen.
Was das alles mit Tucholsky zu tun hat? Das Denkmal geht gewissermaßen auf seine Anregung zurück. Ausgesprochen in einem Text, in dem er sich gegen den französischen Brauch wandte, an den Häusern kleine Tafeln zur Erinnerung an gefallene Soldaten anzubringen. Seine Schlussfolgerung lautete damals:

Uns fehlen andre Tafeln. Uns fehlt diese eine:

Hier lebte ein Mann, der sich geweigert hat,
auf seine Mitmenschen zu schießen.
Ehre seinem Andenken!

Ignaz Wrobel: „Die Tafeln“, in: Die Weltbühne, 21.4.1925, S. 601

Die von Tucholsky vorgeschlagene Tafelinschrift hat die Künstlerin Hannah Stütz-Mentzel an der Skulptur angebracht.
Nach Angaben der „Stuttgarter Zeitung“ stehen aber auch in diesem Jahr die Chancen schlecht, dass das Denkmal aufgestellt wird. Selbst der 60. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus sei nicht Anlass genug.

Die Stadtverwaltung ist nicht bereit, eine Baugenehmigung für den „Stein des Anstoßes“ auch nur im Gemeinderat beraten zu lassen. Tabuisiert sei das Thema der Kriegsdienstverweigerung in Ulm immer noch, wettern darum Aktivisten.

Aber Tucholsky hat wohlweislich nicht gefordert, dass „diese eine“ Tafel in der ehemaligen Bundesfestung Ulm hängen muss.

11.2.2005

Die Rechtschreib Reform

Es ist an sich ein zweischneidige Sache, einen Schriftsteller wie Tucholsky, der auf orthographische Eigenheiten viel Wert legte, zum Anwalt einer wie auch immer gearteten verbindlichen Rechtschreibung zu machen. Was dagegen die zunehmende Unsitte angeht, zusammengehörende Wörter getrennt zu schreiben, tut die „FAZ“ sehr gut daran, sich unter Berufung auf Tucholsky gegen diese Mode zu wehren.

Und den Reformbefürwortern sei entgegengeschleudert, was schon Tucholsky zu Arnolt Bronnens Versuch einer umfassenden Getrenntschreibung meinte: „welch ein Bock Mist“.
Thomas Meissner: „Wenn Schulmeister knechten“, in: FAZ, 10.2.2005, S. 38

Weil Tucholsky Herrn Bronnen noch viele andere schöne Dinge über dessen Rechtschreibung entgegenschleuderte, seien diese hier ebenfalls erwähnt:

Er schreibt das Eigenschaftswort ‚deutsch‘ allemal groß und ‚polnisch‘ allemal klein, auch dann, wenn er die Polen etwas von „den Deutschen Schweinen“ sagen läßt – wohl, um anzudeuten: waren die Deutschen einmal Schweine, dann sind sie eben recht große gewesen. Und wenn es ganz groß hergeht, dann schreibt Bronnen alles groß – so am Schluß, wenn Banalitäten über einen nebulosen Sieg in den Wind geschmettert werden, wo die Fahnen sich bauschend im Winde … wie gehabt. Das Minderwertige wird klein geschrieben? Dann aber wollen wir von arnolt bronnen sprechen, bei dem dieser Deutsche Rechtschreibungssieg nicht nur eine gesuchte Äußerlichkeit ist wie die, alle zusammengesetzten Wörter auseinanderzureißen und die Teile ohne Bindestrich hinzusetzen: welch ein Bock Mist. Nein, seine nationale Orthographie hat ihre tiefere Bedeutung.
Peter Panter: „Ein besserer Herr“, in: Die Weltbühne, 25.6.1929, S. 935ff.

Und weil sie so schön ist, soll Tucholskys Definition eines „umstrittenen“ Autors aus demselben Text ebenfalls nicht unerwähnt bleiben:

Was aber die Buchpropaganda angeht, so ist es üblich, auch die ungünstigsten Urteile in sie aufzunehmen, und dafür gibt es ein feststehendes Klischeewort: umstritten. Nun, wenn ein Hundewürstchen auf der Straße umstritten ist, weil es die Hunde zwar fröhlich beriechen, die Menschen aber dem Ding aus dem Wege gehen –: dann ist dies ein umstrittenes Buch.

10.2.2005

Wir stricken uns ein Gedicht

Die „FAZ“ hat es sich nicht nehmen lassen, am Aschermittwoch zu einer politischen Veranstaltung der PDS in Berlin zu gehen. Eine sehr löbliche Tat, denn der daraus hervorgegangene Text macht einmal mehr deutlich, dass das Tucholsky-Gedicht „Die freie Wirtschaft“ inzwischen zu einer Art Lieblingslyrik des linken Lagers geworden ist. Reporterin Mechthild Küpper notierte in ihrem „Mit Tucholsky“ überschriebenen Artikel:

Den zweitgrößten Zuspruch erhielt Kurt Tucholsky mit einem Gedicht von 1930: „Die freie Wirtschaft”, das interessante aktuelle Bezüge aufweist: „Ihr solltet euch allesamt was schämen, von dem armen Staat noch Geld zu nehmen!”

Leider geht aus dem Text nicht hervor, ob bei der Veranstaltung die völlig merkwürdige Variante des Gedichtes zitiert wurde, die auf sehr vielen Internetseiten kursiert und es sogar in die „Berliner Zeitung“ und den „Freitag“ geschafft hat. Denn diese Variante besteht nur in ihren ersten beiden Strophen aus dem Gedicht „Die freie Wirtschaft“, das am 4. März 1930 in der „Weltbühne“ erschien. Der Rest stammt aus dem Gedicht „Eine Frage“, erstmals am 27. Januar 1931 in der „Weltbühne“ veröffentlicht. Bei so viel Dreistigkeit in Sachen Textverstümmelung muss man fast dankbar dafür sein, dass dieser Anhang überhaupt aus Tucholskys Werk übernommen wurde.
Aber irgendeinen Grund muss es wohl gegeben haben, das ganze Gedicht über die „freie Wirtschaft“ dem linken Spektrum von heute vorzuenthalten. Vielleicht die folgenden Verse:

Wir erobern die Macht, Schritt für Schritt.
Niemand stört uns. In guter Ruh
sehn Regierungssozialisten zu.

Damit hätte Tucholsky auf dem politischen Aschermittwoch der PDS sicherlich nicht einmal den zweitkleinsten Zuspruch bekommen.

Traumhafte Verwaltung

Die „Süddeutsche Zeitung“ kommentiert die Tarifeinigung im öffentlichen Dienst mit dem unvermeidlichen Behördenzitat:

Der Traum eines jeden Deutschen sei, hinter einem Schalter zu sitzen – das Schicksal eines jeden Deutschen sei, vor einem Schalter zu stehen, so hat Kurt Tucholsky einst gespottet. Für die Leute vor dem Schalter wird nun manches besser. Aber auch für die Menschen hinter dem Schalter, für die Beschäftigten, lohnt sich die Reform.

Abgesehen davon, dass es im Original nicht „Traum“, sondern „Ideal“ heißt und nicht von „jedem Deutschen“, sondern einfach nur vom „deutschen Schicksal“ gesprochen wird, ist diesem Kommentar eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Außer vielleicht noch der Hinweis auf „Die zehn braunen Regeln“, die Heribert Prantl auf derselben SZ-Seite aufgestellt hat und die wieder einmal zeigen sollen, dass er 1996 den Tucholsky-Preis wohl zu Recht erhielt.

17.1.2005

Zitate, Zitate

Irgendwo stand von irgendeinem Journalisten einmal ungefähr das Folgende zu lesen:

   Zitate:
        Genießt der Jüngling ein Vergnügen,
        so sei er dankbar und verschwiegen –
ist nicht von Wilhelm Busch.
        Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen
steht nicht in Lessings Nathan.
        Die Staatsgewalt geht vom Volke aus …
das steht allerdings in der Reichsverfassung.

Am 17. Januar 2005 hieß es im „Darmstädter Echo“ aber ganz bestimmt unter der Überschrift „Kolb zum Thema soziale Sicherung“:

„Wenn wir nichts ändern, wird nichts so bleiben wie es ist“, zitierte der FDP-Bundestagsabgeordnete Heinz Kolb (Babenhausen) gestern beim Neujahrsempfang der Kreis-FDP im Mühltaler Ortsteil Traisa Kurt Tucholsky.

Das war in der Tat ein schönes Zitat, um ein bisschen Niveau in eine dreißigminütige Rede über die Grundzüge liberaler Sozialpolitik zu bringen und „in allen Bereichen der sozialen Sicherung (’sie ist nicht mehr finanzierbar‘) mehr Eigenverantwortung und Wettbewerb“ zu fordern. Es ist aber auch ein weiterer schöner Spruch, um die eingangs erwähnten Zitate von Busch und Lessing durch solche zu ersetzen, die angeblich von Tucholsky stammen.

2.1.2005

Die Mühen des Patriotismus

Die taz beschäftigt sich in ihrer Silvesterausgabe 2004 auf zwei Seiten mit den „Mühen des Patriotismus“. Wenn es um die Themen Deutschland und Heimat geht, darf eine Erwähnung von Tucholskys Buch „Deutschland, Deutschland über alles“ – und insbesondere des abschließenden Textes „Heimat“- nicht fehlen. Christian Semler, der gerne mal ein paar Verse als Tucholsky-Zitat ausgibt, die gar nicht von „Tucho“ (Christian Semler) stammen (im Falle Tengelmann von Victor Arnold), hat dieses Mal richtig in den Text geschaut:

„Wer aber weiß, was die Musik der Berge ist, wer die tönen hören kann, wer den Rhythmus einer Landschaft spürt … nein, wer gar nichts andres spürt, als daß er zu Hause ist; daß das da sein Land ist, sein Berg, sein See – auch wenn er nicht einen Fuß des Bodens besitzt … es gibt ein Gefühl jenseits aller Politik, und aus diesem Gefühl heraus lieben wir dieses Land.“
Aus: Heimat. In: Deutschland, Deutschland über alles. Berlin 1929, S. 227.

In seinem Kommentar „Auf vertrautem Boden“ zieht Semler daraus den Schluss, dass Tucholsky die deutschen Landschaften nur „menschenleer“ geliebt habe. Zwischen den Bewohnern des Landes, auch wenn es sich um „gute“ Deutsche wie „Kommunisten, Sozialisten, Freiheitsliebende aller Grade“ handele, und den Landschaften stelle Tucholsky keine Verbindung her. Semler hält eine solche Liebe zwar für „wenig human, aber durchaus vorstellbar“.

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