25.1.2012

Hitlers »komisches Buch«

Der britische Verleger Peter McGee hat mit seinen Plänen für Wirbel gesorgt, Auszüge aus Adolf Hitlers Manifest Mein Kampf in kommentierter Form auf den deutschen Zeitungsmarkt zu bringen. Die bayerische Landesregierung hat dem nun einen Riegel vorgeschoben, weil sie weiter die Urheberrechte an dem Werk geltend macht. Doch was spricht dagegen, die »NS-Bibel« (Focus) vor dem Wegfall des Urheberschutzes im Jahr 2015 schon den deutschen Lesern zugänglich zu machen? Eigentlich nichts, außer der Tatsache, dass Hitlers Werk ein unlesbarer Schmarrn ist.

Dieses Urteil haben zumindest die Autoren der Weltbühne gefällt, die in der Zeit der Weimarer Republik den zweifelhaften Vorteil hatten, das Buch ungehindert lesen zu können. Auf welche Weise haben sich nun Journalisten wie Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky mit Hitlers Ergüssen aus seiner Landsberger Festungshaft auseinandergesetzt? Genau so, wie das Buch es verdiente: nämlich gar nicht. Es ist schon bemerkenswert, dass Mein Kampf erst im Februar in der Weltbühne 1931 überhaupt erwähnt wurde. Damals saßen die Nazis schon mit mehr als 100 Abgeordneten im Reichstag. In einer »Antwort« an den ehemaligen Reichskanzler Joseph Wirth hieß es lapidar:

Wie Sie selbst dazu stehen, haben Sie verraten, als sie bemerkten, dass in Adolf Hitlers komischem Buch manche Stellen Sie an Nietzsche erinnert hätten.

Einen Seitenhieb auf Hitler und sein Manifest machte dann der Pazifist Hellmut von Gerlach im Oktober 1932, als er in einem Artikel vor möglichen Pogromen nach einer Machtübernahme der Nazis warnte:

Für klug hat ihn wohl noch nie jemand gehalten, der sein Buch Mein Kampf gelesen hat.

Immerhin schien Gerlach das Buch gelesen zu haben.

Ebenfalls im Oktober 1932 widmete sich die Zeitschrift schließlich in einem eigenen Text Hitlers Buch, »dieser reichhaltigsten Kathederblüten-Sammlung der Welt«. Der Titel des Artikels von Heinz Horn, »Hitlers Deutsch«, war bezeichnend: Ein Buch, das solch hanebüchenen Thesen vertrat und in so schlechtem Deutsch geschrieben war, hatte auch angesichts der drohenden Machtübernahme keine ernsthafte Betrachtung verdient. Horn machte dabei nichts anderes, als einige der schrägsten Formulierungen aneinanderzureihen. Das sah dann so aus:

Adolf Hitlers grundlegendes Buch Mein Kampf ist in der deutschen Literatur vollkommen einmalig. Durchaus angebracht, daß uns andre Völker ob dieser reichhaltigsten Kathederblüten-Sammlung der Welt beneiden. Mögen andre Leute derartige Dinge mühsam aus Hunderten von Büchern und Schriften zusammenklauben, was hier vorliegt, ist von der ersten bis zur letzten Zeile Originalarbeit, tierisch ernst gemeint und mit wundervollem Pathos vorgetragen — in einer Sprache, die in ihrer orientalischen Üppigkeit und in ihrem östlichen Bilderreichtum noch die Tiraden des kleinen Hadschi Halef Omar in Karl Mays Reisebeschreibungen übertrifft. Wer nicht weiß, wo Braunau liegt, muß aus der Sprache, die der größte Sohn dieser kleinen Stadt spricht, schließen, es läge im verdächtigsten Morgenland.

Die Bilder und Vergleiche, mit denen Hitler seine tiefsinnigen Aussprüche ziert, sind mit Vorliebe dem Gebiet der Naturwissenschaften entnommen, wobei vor allem unappetitliches Kleinvieh wie Maden, Bazillen und Quallen eine prominente Rolle spielt.

So wie man nur vorsichtig in eine solche Geschwulst hineinschnitt, fand man, wie die Made im faulenden Leibe, oft ganz geblendet vom plötzlichen Lichte, ein Jüdlein (S. 61).

So schön an sich diese reiche Bildersprache ist, läßt sie einen doch nicht recht erkennen, wer da eigentlich vom plötzlichen Lichte geblendet ist: die Made, das Jüdlein oder der kühne Chirurg höchstpersönlich. Außerdem ist dem Dichter bei diesem Vergleich leider entgangen, daß die Made im Leibe ist, weil er faulig ist, und nicht etwa der Leib deshalb fault, weil die Made darin ist. Weiter:

Man bedenke, daß auf einen Goethe die Natur immer noch leicht zehntausend solcher Schmierer der Mitwelt in den Pelz setzt, die nun als Bazillenträger schlimmster Art die Seelen vergiften (S. 62). (…)

Aber auch wo sie die Tierwelt in Ruhe läßt, zeichnet sich Hitlers Prosa durch eine Farbenpracht der Diktion aus, für die hier noch einige Beispiele gegeben seien:

Dieses Pack aber fabriziert zu mehr als zwei Dritteln die sogenannte »öffentliche Meinung«, deren Schaum dann die parlamentarische Aphrodite entsteigt (S. 94). (…)

Was wirklich über das Normalmaß des breiten Durchschnitts hinausragt, pflegt sich in der Weltgeschichte meistens persönlich anzumelden (S. 96).

Man hatte keine blasse Ahnung, daß die Begeisterung, erst einmal geknickt, nicht mehr nach Bedarf zu erwecken ist (S. 183).

Ebenbilder Gottes dürfte man nur mehr wenige finden, ohne des Allerhöchsten freveln zu wollen (S. 281).

Ohne des Allerhöchsten freveln zu wollen: wer solches mit ungeknickter und nach Bedarf zu weckender Begeisterung zu lesen vermag, dem ist wohl nicht zu helfen.

Warum die Deutschen dieses Buch nun endlich wieder zur Kenntnis nehmen sollen? Eine Antwort gibt ein Geschichtslehrer in einem Gastbeitrag für die Rhein-Zeitung:

Hitler geht immer und sorgt für Auflage. Das ist bekannt. Das weiß auch der Verleger Peter McGee.

Dennoch befürwortet der Lehrer Daniel Bernsen eine Veröffentlichung auch in Deutschland und verweist auf die Lesereise des deutsch-türkischen Kabarettisten Serdar Somuncu, der dem Publikum Passagen aus Mein Kampf vorgetragen hatte:

So absurd und unfreiwillig komisch Hitlers Argumentation bisweilen ist, so schrecklich waren die Folgen dieser Gedanken. Die Balance dazwischen gelingt Somuncu ausgesprochen gut.

Die Auseinandersetzung mit dem Text, seiner Entstehungs- und Wirkungsgeschichte ist wichtig. Das bisherige Verbot hat in Deutschland offensichtlich das Gegenteil erreicht. Das Lachen über den Text zeigt das Erkennen der Absurdität der vorgetragenen Argumentation. Es ist genau dieses Lachen, das den Text von seiner mystischen Aura befreit.

Es wirkt wie eine Ironie der Geschichte, dass McGee die Passagen aus Mein Kampf nun »unleserlich« machen will. Das waren sie nach Ansicht der Weltbühne schon immer.

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