16.12.2007

Kegelbruder Kauder

Volker Kauder schätzt sich glücklich, seit 31 Jahren mit ein und derselben Frau verheiratet zu sein. Das sagte der CDU-Fraktionschef in einem Interview der Bild am Sonntag. Und nutzte die Gelegenheit, von seinen scheidungswütigen Parteikollegen zu verlangen, dass sie bestimmte Maßstäbe einhalten. Auf die Frage: „Was darf ein CDU-Spitzenpolitiker privat – und was nicht?“, antwortete er:

Er muss sich immer seiner öffentlichen Verantwortung bewusst sein und damit rechnen, für das, was er tut, Rechenschaft ablegen zu müssen. Gemäß Tucholsky: Wer öffentlich kegelt, der muss sich auch öffentlich nachzählen lassen, wie viel er getroffen hat.

Nun mag Kauder etwas vom Kegeln und Eheleben verstehen, aber Tucholsky in diesem Zusammenhang zu zitieren, ist schon grob fahrlässig. Es sei an den preußischen Innenminister Albert Grzesinski (SPD) erinnert, der 1930 wegen einer außerehelichen Affäre zurücktreten musste. Damals schrieb Tucholsky:

Der Minister war verheiratet und darf sich beim Zentrum bedanken, daß eine Scheidung, wie sie unter sauber und anständig denkenden Menschen mitunter nötig und nützlich ist, nicht durchzuführen war. Die Katholiken terrorisieren das Land mit einer Auffassung vom Wesen der Ehe, die die ihre ist und die uns nichts angeht. Die Frau des Ministers verhinderte die Scheidung. Der Minister lebt mit einer Frau, der er nicht angetraut ist. Gezischel. Klatsch. Hämische Blicke. Briefe. Radau. Krach. Sturz.

Es ist eine gute Gelegenheit, einmal auf die maßlose Verlogenheit des deutschen öffentlichen Lebens hinzuweisen. Bei uns verlangen die Leute von ihren politischen Gegnern, die im öffentlichen Leben stehen – und nur von ihren Gegnern – eine Lebensführung aus dem Bilderbuch. Der Politiker hat ein braver Ehemann zu sein, er hat ein ‚vorbildliches Familienleben‘ zu führen, er hat um keinen Deut anders zu essen, zu trinken, zu lieben und zu arbeiten als ein Buchbinder aus Eberswalde. Weicht er von dieser Linie ab, dann geht es los. […]

Warum hat kein bedeutender Politiker den Mut, einmal gegen diesen Muff aufzustehen? Das geht nicht? Das geht schon; es gehört Mut dazu. Warum sagt keiner, wie es wirklich ist?

„Ich habe keine Zeit, mich jeden Abend zu besaufen, weil das meine Gesundheit schädigt und weil ich das nicht mag. Aber alle zwei, drei Monate bin ich bei mir mit Freunden zusammen, und da kann es denn vorkommen, daß ich ein Glas zu viel trinke und einen kleinen sitzen habe. Und ihr -?

Ich bin verheiratet, und ich bin meiner Frau natürlich nicht treu. Ihr seids auch nicht. Fast niemand von euch, der ein bewegtes Leben führt, ist es. Ich treibe keine übeln Schweinereien, ich halte mir keinen Stall von Mätressen, und ich beschäftige keine Kupplerin. Aber denkt nur: es ist vorgekommen, daß ich auf Reisen oder nach einem Ball mit einer Frau geschlafen habe, die nicht die meine war. Und das geht euch einen Schmarren an. Und wenns euch nicht paßt, dann seht nicht hin. Und kümmert euch um eure eignen Angelegenheiten.

Ich führe ein Leben, das von Besprechungen, Vorträgen, Aktenbearbeitung, Reden, Versammlungen, Repräsentation bis an den Rand gefüllt ist – ich bin kein Fresser, aber ich verachte keinen guten Happenpappen. Und ihr -?

Ich bin wie ihr, wie die Mehrzahl von euch – nicht besser, nicht schlechter. Lügt nicht, Pharisäer, lügt nicht.“

Warum sagt das keiner -?
Ignaz Wrobel: „Bettschnüffler“, in: Die Weltbühne, 11.3.1930, S. 388ff

Immerhin muss man Kauder zugute halten, dass er die moralischen Maßstäbe nicht beim politischen Gegner anlegt. Die man auch dann nicht „im Bett aufsuchen“ sollte, wenn es sich dabei um Nazis handle, schrieb Tucholsky, als 1932 in der Presse die Homosexualität des SA-Führers Ernst Röhm publik gemacht wurde.

Das von Kauder gebrauchte Zitat lautet übrigens im Original:

Wer in der Öffentlichkeit kegelt, muß sich vom Kegeljungen sagen lassen, wieviel er getrudelt hat.
Kurt Tucholsky: „Hoppe – hoppe – Reiter!“, in: Arbeiterstimme (Dresden), 21.9.1929

Damit räumte Tucholsky ein, sich für sein Buch Deutschland, Deutschland über alles auch öffentliche Kritik gefallen lassen zu müssen.

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