Der Name der „Weltbühne“
Aus gegebenem Anlass wird dieser Artikel aus dem August 2003 leicht angepasst hier noch einmal veröffentlicht. Der Text erschien zuerst im Rundbrief der Kurt Tucholsky-Gesellschaft.
Im Februar 2003 erschien im „Börsenblatt“, Pflichtlektüre im Verlagswesen, eine unscheinbare Anzeige: Versteckt hinter einer Fax-Nummer in den USA inserierte dort „Die Weltbühne – Historische Zeitschrift veröffentlicht während des deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik“ und suchte eine „Zusammenarbeit mit einem Verlag für publizistische Projekte“. Neugierige Verleger konnten sich an eine Person mit einem sonderbaren Titel wenden: „Manager, Weltbühne Unternehmen“.
Ein „publizistisches Projekt“ könnte auch die Neuauflage der „Weltbühne“ sein, denn seit zehn Jahren gibt es die von Siegfried Jacobsohn begründete Zeitschrift nicht mehr. Warum ist das Blatt damals eigentlich eingestellt worden? Warum sind alle Wiederbelebungsversuche gescheitert? Wer hat die Rechte an dem Namen? Diese Fragen tauchen bei Diskussionen über die „Weltbühne“ regelmäßig auf. Die Anzeige gibt zum Teil Antwort darauf.
Nicht alle, die sie interessiert haben dürfte, haben sie gelesen. So zum Beispiel Bernd Lunkewitz nicht, der das Blatt im Juli 1993 eingestellt hatte. Der vermögende Immobilienhändler hatte nach der Wende den Ost-Berliner Aufbau-Verlag erworben und griff auch zu, als die ebenfalls in Ost-Berlin ansässige „Weltbühne“ händeringend einen Käufer suchte. Das Blatt, 1946 als Nachfolgerin der alten „Weltbühne“ begründet, war ohne staatliche Hilfe nach der Wende nicht mehr finanzierbar.

Lunkewitz war fasziniert von der Idee, mit der Zeitschrift wieder an das Erbe von Siegfried Jacobsohn, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky anzuknüpfen. Auf der Zeitschrift lastete jedoch die deutsche Vergangenheit: Peter Jacobsohn, der im amerikanischen Exil lebende Sohn des Zeitschriftengründers, wollte dem „Verlag der Weltbühne“ die Herausgabe der Zeitschrift untersagen.
Als Lunkewitz im Januar 1992 den Verlag kaufte, war Jacobsohns Klage schon in der ersten Instanz gescheitert. Helmut Reinhardt, seit 1989 Herausgeber des Blattes, wollte nicht einsehen, warum er die seit Jahrzehnten bestehende Tradition der Ost-„Weltbühne“ nicht fortsetzen sollte. Das Landgericht Frankfurt hatte Reinhardt im November 1991 Recht gegeben. Mit diesem Urteil im Rücken sah dieser gute Chancen, auch die Berufung vor dem Oberlandesgericht durchzustehen.
Lunkewitz vertrat jedoch im weiteren Verfahren den Standpunkt, sich mit Jacobsohn einigen zu müssen. Er wollte kein zweiter Hitler sein. „Ich hätte jeglichen moralischen Anspruch verloren, ein solches Blatt gegen den erklärten Willen des jüdischen Erben herauszugeben“, sagte Lunkewitz rückblickend. Über das, was dann im Prozess passierte, kursierten bislang nur merkwürdige Gerüchte. Tatsächlich kam es zum Showdown in Abwesenheit der Kontrahenten.
Obwohl Reinhardt als Herausgeber und Geschäftsführer alleiniger Beklagter war, fehlte er bei dem entscheidenden Gerichtstermin am 18. Juni 1993 in Frankfurt. Er sei nicht eingeladen worden, beschwert sich Reinhardt. Er ist einfach in Urlaub gefahren, behauptet Lunkewitz. Der Verleger nutzte die Gelegenheit und machte Tabula rasa: Seine Anwältin erklärte, dass der von ihr vertretene Reinhardt die Ansprüche aus den USA anerkennen würde. Ohne sein Wissen und seine Zustimmung, wie Reinhardt beteuert. Damit war der Prozess für Jacobsohn, der ebenfalls nicht da war, gewonnen.
Lunkewitz setzte darauf, dass Jacobsohn einen zwischen den Anwälten ausgehandelten Vergleich akzeptieren würde, mit dem er die so eben zugestandenen Titelrechte „unwiderruflich“ auf den Verlag übertrüge und mit seinen fast 80 Jahren „auf Lebenszeit“ den Vorsitz in einem Verlagsbeirat erhielte. In dem zweiseitigen Schriftstück wurde Reinhardt von Lunkewitz fallen gelassen. Auf Drängen der Gegenseite habe er eingewilligt, sagt Lunkewitz, dass Reinhardt als Herausgeber und Geschäftsführer abgelöst werde. Doch Peter Jacobsohn blieb misstrauisch und widerrief später den Vergleich. Lunkewitz stellte das Blatt sofort ein. „Zu diesem bösen Spiel fällt uns nichts mehr ein!“, kommentierte Reinhardt in der letzten Ausgabe vom 6. Juli 1993 das Handeln des Verlegers.
Der Zorn richtete sich vor allem deswegen auf Lunkewitz, weil dieser nicht wieder aus dem Verlag ausgestiegen war, als sich abzeichnete, dass es keine Einigung mit Jacobsohn geben würde. Reinhardt zog sich, tief enttäuscht vom Ende des Blattes, aus dem Journalismus zurück. Für Lunkewitz war alles, was danach kam, „Explotationsversuche für den Namen“. Dazu trug er selbst bei. Einen Monat nach dem Aus verkaufte er den Verlag, in den er seit 1992 immerhin 850.000 Mark gesteckt hatte, an Peter Großhaus. Dieser verlegte damals auch die frühere FDJ-Postille „Junge Welt“ und war laut Reinhardt ein Strohmann von „Titanic“-Verleger Eric Weihönig. Letzterer habe schon zuvor angefragt, ob er die Abonnentenkartei der „Weltbühne“ haben könne. Neue Leser für die Wochenzeitung „Freitag“ winkten.
In seiner letzten Amtshandlung setzte Lunkewitz den heutigen Geschäftsführer der Titanic GmbH, Patric Feest, als Geschäftsführer des Weltbühne-Verlages ein. Für Lunkewitz selbst war das Kapitel „Weltbühne“ erledigt. „Damit habe ich abgeschlossen“, sagt er heute. Das gilt nicht für Feest. Ihm war im Februar das Inserat im „Börsenblatt“ aufgefallen. „Ich habe mir überlegt, mich zu melden“, sagt Feest. Schon vor zehn Jahren habe er ernsthaft an der Neuauflage der „Weltbühne“ gearbeitet. Er habe versucht, gute Schreiber zu gewinnen. Vergebens. Der Markt sei damals leergekauft gewesen, Verlage hätten sich namhafte Autoren mit viel Geld gesichert. Wahrscheinlich habe er sich damals nicht genügend um das Projekt gekümmert, räumt Feest ein.
Dass er ohne die Zustimmung Jacobsohns die „Weltbühne“ nicht hätte auf den Markt bringen können, war Feest damals selbst nicht ganz klar. Von einem Urteil des Oberlandesgerichtes Frankfurt, das Ende 1993 erging, will er erst Jahre später erfahren haben. Darin wurde seinem Verlag explizit verboten, die „Weltbühne“ herauszugeben. Ohne Begründung, denn Lunkewitz‘ Anwälte hatten die Klage schließlich voll anerkannt. Die Frage nach den Rechten blieb jedoch ungeklärt, denn das Verbot betraf nur den „Verlag der Weltbühne“. Dennoch ergab sich aus dem Urteil eine Folge, die später für viel Verwirrung sorgen sollte. Der Verlag wechselte den Besitzer und wurde in Webe Verlag und Beteiligungsgesellschaft umbenannt. Drei Jahre später, im November 1996, kaufte Eric Weihönig schließlich selbst den Verlag. Der Kaufpreis von einer Mark ist in den Unterlagen geschwärzt, aber viel mehr war die Firma zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr wert.
Mitte der neunziger Jahre wurde von mehreren Seiten eine Neuauflage des Blattes versucht. Journalisten um den ehemaligen Korrespondenten der „Frankfurter Rundschau“, Eckart Spoo, vermissten ein kritisches Blatt mit pazifistischen und sozialistischen Themen. Sie setzten sich mit Reinhardt in Verbindung und erhielten von ihm die Zusage, die Titelrechte verwenden zu können. Absurd, denn Reinhardt hatte mit dem früheren Verlag der Weltbühne nichts mehr zu tun. Spoo verließ sich jedoch darauf und verkündete im September 1997 den Neustart der kleinen roten Hefte. Es hagelte Einsprüche. Natürlich von Jacobsohn, von der Webe, deren früheren Namen Spoo nicht gekannt haben will, aber auch von anderen Firmen aus Weihönigs Imperium am Berliner Treptower Park.
Derart eingeschüchtert änderte die Gruppe um Spoo schnell den Namen ihrer Zeitschrift in „Ossietzky“ um, unter dem sie seit Dezember 1997 mit einer momentanen Auflage von 2.000 Stück auch erscheint. Auch das gleichzeitig erschienene Ost-Pendant zum „Ossietzky“, das „Blättchen“, ließ sich von der unklaren Rechtelage abschrecken.
„Alles Amateure“, lautet der Kommentar von Lunkewitz, „wenn jemand die ‚Weltbühne‘ verlegen wollte, könnte das nicht blockiert werden.“ Das sieht Andreas Lubberger ganz anders. Der Anwalt vertritt seit 1993 die Nachfahren von Siegfried Jacobsohn. Lubberger war 1993 in das Verfahren vor dem Oberlandesgericht eingestiegen und hatte gute Chancen gesehen, die Berufung zu gewinnen. Lubberger setzte auf eine ähnliche Argumentation, mit der er im Februar 2002 den Prozess um das Berliner Nobelhotel Adlon gewann. Ob dies auch bei der „Weltbühne“ zum Erfolg führen würde, hat bislang noch kein Gericht geklärt.
Von den Plänen Spoos aufgeschreckt, ließ sich Peter Jacobsohn jedoch den Markennamen formal sichern. Kurz vor seinem Tod im Jahre 1998 meldete er beim Patentamt die Titelrechte an, die er auch ohne Widerspruch zugesprochen bekam. Einen Nutzen von dem Namen wollte zunächst wieder Weihönig haben. Im August 1999 eröffnete in Berlin-Mitte das Restaurant Weltbühne, das mit dem Namen „an die alte Weltbühne der zwanziger Jahre, an Weltoffenheit in jeder Beziehung“ anknüpfen wollte, wie zur Eröffnung hieß.
Hinter dem Lokal steckte eine Gastronomiefirma, die im Dezember 1997 mit der Beteiligung Weihönigs gegründet worden war. Dem Lokal war von Beginn an kein Erfolg beschieden und es machte im Sommer 2001 wieder dicht. Die Webe, die inzwischen alle Rechte an dem Titel „Weltbühne“ an die Jacobsohns verloren hatte, wurde im November 2001 endgültig aufgelöst.
Mit den Erben hatten sich die Betreiber zwischenzeitlich auf über eine unentgeltliche Nutzung des Namens geeinigt. Solche Konzessionen gefallen einem „Weltbühne“-Verehrer wie Eckart Spoo gar nicht. Um einen derartigen Missbrauch, wie er ihn nennt, in Zukunft zu verhindern, hat die Ossietzky GmbH im Dezember 2002 überraschend selbst die Titelrechte an der „Weltbühne“ beantragt. Und natürlich hat Spoo auch die Anzeige im „Börsenblatt“ zur Kenntnis genommen.
Inzwischen steht er in regem Kontakt mit deren Auftraggebern: Peter Jacobsohns Witwe Annette und dessen Sohn Nick, ein 36 Jahre alter Immobilienmakler, die im Oktober 2001 bei der Jahrestagung der KTG dabei waren. Die Aktivitäten der Jacobsohns sind vielfältig. Mit der Anzeige suchte Nick Jacobsohn unter anderem einen Verlag, der die bereits 1978 nachgedruckten alten „Weltbühne“-Jahrgänge von 1905 bis 1933 noch einmal auflegt. Im Internet hat er unter www.dieweltbuehne.de eine kleine Webpräsenz aufgebaut, die sich der Pflege des Erbes widmet. Auch über eine Neuauflage der „Weltbühne“ hat er sich schon Gedanken gemacht. „Wir wollen ein Herausgebergremium einberufen und einen Chefredakteur bestimmen“, sagt Jacobsohn. Er spricht von einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren der Vorbereitung. Eine neue „Weltbühne“ müsse sich daran messen lassen, dass ihr Vorgänger die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts habe aufhalten wollen.
Auf die Anzeige im „Börsenblatt“ hätten sich fünf bis zehn Verlage gemeldet. Interesse an einer Neuauflage zeigten sie nicht. Spoo räumt ebenfalls ein ernsthaftes Interesse an dem Titel ein. Wobei er nichts überstürzen und nur im Einvernehmen mit den Jacobsohns handeln wolle. Lubberger sieht es dagegen als „wenig einladend“ für eine Geschäftsbeziehung an, wenn Spoo sich selbst die Titelrechte sichern will.
Dass die Jacobsohns überhaupt die legitimen Erben der Zeitschrift sind, ist in den vergangenen Jahrzehnten schon häufig angezweifelt worden. So soll Siegfried Jacobsohns Frau Edith, von der Emigration seelisch und körperlich zerrüttet, den Verlag 1935 verkauft haben: An den Journalisten Hermann Budzislawski, der im Exil die „Neue Weltbühne“ und später die DDR-„Weltbühne“ führte. Anhand von Dokumenten, die er in einem Berliner Privatarchiv und im Moskauer Militärarchiv fand, will der Berliner Exilforscher und Historiker Toralf Teuber dies nun endgültig beweisen. Mit seiner Dissertation wolle er die „Legende widerlegen, dass die Jacobsohns die Eigentümer der ‚Neuen Weltbühne‘ sind“, sagt Teuber. Noch darf er die Dokumente nicht präsentieren. Seine Doktorarbeit, Anfang Juni abgegeben, erscheint vermutlich im Herbst. Nicht ausgeschlossen, dass Budzislawskis einziger Nachfahre, sein Urenkel, irgendwann eine kleine Anzeige aufgibt.
Keine Kommentare bislang.
RSS feed for comments on this post. TrackBack URI
Kommentarfunktion deaktiviert.