15.6.2010

Mit Tucholsky unterwegs

Wer glaubte, dass es mit den themenspezifischen Tucholsky-Bänden schon ein Ende genommen hätte, sieht sich getäuscht. Nach Tucholsky in Berlin, Mit Tucholsky die Frauen verstehen und (ja, tatsächlich) Weihnachten mit Tucholsky ist nun im Fischer-Verlag der Auswahlband Unterwegs mit Tucholsky erschienen. Das Reiseressort von Zeit Online hat sich mit dem Band, der Teil einer Buchreihe ist, befasst und bemerkt:

Unterwegs mit… heißt eine zunächst aus vier Bänden bestehende Taschenbuchserie bei Fischer Klassik, die sich den Reiseerlebnissen und -betrachtungen von Thomas Mann, Franz Kafka, Stefan Zweig und Kurt Tucholsky verschrieben hat – und die ihrerseits überrascht, da sie die Klassiker, vor allem Kafka und Mann, von wenig bekannten Seiten zeigt.

Darin rechne »Tucholsky in seinen brillanten Reisereportagen mit einem Tourismus ab, in dem unter minimalem Aufwand und zu stattlichen Preisen Illusionen ausgebeutet werden«.

Das Buch ist nach verschiedenen Reiseregionen thematisch gegliedert und enthält beinahe das komplette Pyrenäenbuch. Laut Inhaltsverzeichnis enthält es 57 Texte, wenn man die Kapitel aus dem Pyrenäenbuch einzeln zählt.

Die Freude an der Auswahl werde jedoch getrübt, findet der Rezensent:

Hier nun wird es vollends unverzeihlich, dass über die Lebenswege und -orte gerade dieser Autoren rein gar nichts in den Bänden zu erfahren ist; keine biografischen Daten, kein Nachwort. Nichts hilft, die vielen Dichterworte übers Reisen in den Zusammenhang ihres Lebens (und Reisens) zu stellen. So gut die Idee ist, einmal spannende literarische Texte nicht um einen Ort, sondern um einen Autor herum zu versammeln: Das Fehlen des Kontexts, minimal kompensiert durch vereinzelte Jahresangaben und Zwischenüberschriften, lässt den Leser unzufrieden zurück. Schließlich handelt es sich ja um Bücher, die nicht nur von, sondern auch für unterwegs sind; für Momente, in denen Lexikon oder Gesamtausgabe nicht zur Hand sind.

Das mag in der Tat stimmen. Aber was will man bei knapp 300 Seiten für acht Euro mehr erwarten? Gerade wenn Autorenwerke gemeinfrei geworden sind, lassen sich solche Auswahlbände schnell und billig zusammenleimen. Da würden Kommentare, Bilder und Vorworte die Sache nur unnötig verteuern. Und wie forderte schon Tucholsky selbst: Macht unsere Bücher billiger!

1.6.2010

Von den Frauen erzählt

Auf dieses Buch haben Tucholsky-Fans schon lange gewartet: Tucholsky und die Frauen – Das Psychogramm eines Beziehungsunfähigen heißt die im Verlag für Berlin-Brandenburg erschienene Studie von Klaus Bellin. Sie widmet sich endlich ausführlich einem Thema, das auch in Tucholskys Wikipedia-Biografie mit einem eigenen Abschnitt gewürdigt wird.

Aber nein, so heißt das Buch natürlich nicht. Es trägt den durchsichtigeren Titel Es war wie Glas zwischen uns. Die Geschichte von Mary und Kurt Tucholsky, was obendrein den irreführenden Eindruck erweckt, es gehe darin lediglich um die Beziehung zwischen Tucholsky und seiner zweiten Frau und möglicherweise vor allem um Mary. Und was die Märkische Allgemeine zu der abgedrehten Überschrift »Verrückt nach Mary« inspirierte.

Genauer sagt es dagegen der Einband: »Hier wird von den Frauen erzählt, die den Weg des Schriftstellers kreuzten – und von der einen Liebe, die nicht gelebt werden konnte und die trotzdem nicht starb.«

Bellin räumt ein, dass er für das Buch keine neuen Quellen ausgewertet hat. Es basiert vor allem auf dem vorliegenden biografischen Material (Raddatz, Hepp, Bemmann, Schmeichel-Falkenberg, Zwerenz), den Briefen Tucholskys sowie den in der Gesamtausgabe auszugsweise veröffentlichten Antworten Marys und den Bekenntnissen seiner anderen Frauen. Aber dennoch: In der Zusammenschau liest sich das Ganze wie eine eigenständige psychologische Studie, eine Art monothematische Biografie. Mit dem erschreckenden Fazit: Hier herrscht Beziehungsunfähigkeit auf höchstem Niveau, in fast jeder Lebenslage. Genug Material, um eine mittlere psychologische Gemeinschaftspraxis zu beschäftigen. Aber Tucholsky unterstützte mit seinem sauer erschriebenen Geld lieber die Blumen- und Süßwarenindustrie. Um nach geglückter Eroberung schnell wieder einen Rückzieher zu machen. Sehr traurig das Ganze.

Bellin geht mit Tucholsky durchaus hart ins Gericht. So urteilt er über dessen Verhalten, als Mary 1919 durch das kriegsgeschüttelte Baltikum irrte:

Sie steckt im Bürgerkrieg, inmitten von Mord und Terror, und er spricht von Soldatspielen. Falscher, kälter, unsensibler kann er kaum reagieren. (S. 47)

Wozu Tucholsky, der alte Alexithymiker, im August 1923 an Mary selbst geschrieben hatte:

Richtig ist eines: es muß in mir eine kalte, leere Stelle sein, die nicht reagiert, wenn man das erwartet. Ich habe das oft schon selbst gesehen – wie kalt-verwundert ich manchmal fremdem Schmerz zusehe, wie unbeteiligt, wie meilenweit entfernt.

Neben der Beziehung zu Mary widmet sich Bellin auch Tucholskys anderen Frauen: der ersten Verlobten Kitty Frankfurther, der ersten Ehefrau Else Weil (Claire Pimbusch aus Rheinsberg), seinem »Lottchen« Lisa Matthias, der »Nuuna« Hedwig Müller und dem »Fröken« Gertrude Meyer. Auch die merkwürdige Affäre mit Aline Valangin wird erwähnt.

Über die Gründe, die all diese Beziehungen scheitern ließen, kann auch Bellin nur spekulieren. Er verweist auf den Hass Tucholskys auf seine Mutter Doris und fragt:

Hat das Verhalten der Mutter, das der Sohn nie entschuldigen, nie in milderem Licht sehen wird (und das Schwester Ellen bezeugt hat), Tucholskys Verhältnis zu Frauen geprägt oder wenigstens beeinflusst? […] War Doris Tucholsky die Ur-Erfahrung, die beim Umgang mit Frauen, bewusst oder unbewusst, nicht auszublenden war? (S. 21)

Bellin antwortet darauf mit Mary, die die erste gewesen sei, die »daran nie zweifelte«.

Auch Tucholskys Arbeitswut, die ihn oft bis in die Nacht an die Schreibmaschine fesselte, machten das Zusammenleben nicht leichter. »Außerdem betrüge ich jede Frau mit meiner Schreibmaschine und erlebe daher nichts Romantisches«, hat er das in der Einleitung zu Schloß Gripsholm selbst beschrieben. Besonders aus den Briefen von 1925 bis 1927 geht hervor, dass Mary sich häufig wie seine Sekretärin gefühlt haben muss.

Ein ebenso großes psychologisches Rätsel wie die Beziehungsprobleme schimmert in dem Band ebenfalls kontinuierlich durch: Tucholskys Fixierung auf äußerliche Dinge und materiellen Wohlstand. Bellin schreibt:

Dass er Mary unentwegt erzählt, er müsse erst viel Geld verdienen, um ihr ein angemessenes Leben zu sichern, ist darum nicht nur Marotte und Ausrede. Es ist Hinhalte-Taktik, krampfhafte Abwehr, gewiss, aber zugleich eine existenzielle Bedingung, von der Kurt Tucholsky nicht lassen wird. (S. 43)

Wobei Tucholsky das Geld nicht nur für seine Frau(en) brauchte, wie Mary 1955 schrieb:

Er war ein Herr. Er hätte ohne Geld in der Misere nicht leben können, soviel bedeutete das Leben ihm nicht. Er hatte Freude an schönen Dingen. Im Mief oder in einer kleinbürgerlichen Atmosphäre hätte er nicht atmen können. (S. 144)

So ist das fehlende Geld einer der Gründe, die nach Ansicht Bellins hinter Tucholskys Tod im Dezember 1935 standen.

Kurt Tucholsky war krank und müde, lebensmüde. Die Frau, die er liebte und mit der er nicht leben konnte, verloren, das Buch, das er im Kopf mit sich herumtrug, ungeschrieben, die finanziellen Mittel erschöpft und keine Aussicht auf ein Deutschland ohne Nazis. (S. 152)

Nach dem Krieg machte sich Alleinerbin Mary unermüdlich an die Arbeit, das verstreute Werk Tucholskys zu sammeln. Sie setzte sich

an die alte Schreibmaschine und verfasst Brief um Brief. Forscht nach den alten Freunden, Kollegen und Kampfgefährten Tucholskys, bittet sie zu sich, fragt sie aus, jede Kleinigkeit ist wichtig, jede Auskunft, die sie einen Schritt weiterbringt. (S. 155)

In der Öffentlichkeit hielt sich Mary dagegen sehr zu zurück. Mit einer Ausnahme, wie Bellin bemerkt. 1957 intervenierte sie bei der Herausgabe eines Tucholsky-Sammelbandes, für den der Schriftsteller Hermann Kesten ein Vorwort geschrieben hatte. Die Debatte über Kestens Vorwort lässt sich gut in einem ausführlichen Spiegel-Artikel von 1958 nachverfolgen, in dem es heißt:

Mary Gerold-Tucholsky und der Verlag Rowohlt begründen ihre Klage gegen die Büchergilde auf Unterlassung im wesentlichen damit, daß sie ihre Rechte an Tucholsky-Texten nur für eine Lizenz-Ausgabe hergegeben hätten, zu der jedenfalls nicht ohne ihre Einwilligung ein »eigenständiger Text« gestellt werden dürfe. Hilfsweise ist beantragt, das Gericht möge untersuchen, ob Kestens kritischer Essay noch den Charakter eines Vorworts erfülle. Die klagenden Parteien sind der Ansicht, Kestens Einleitung sei geeignet, den Menschen und Schriftsteller Tucholsky »bei breitesten Leserkreisen zu diffamieren«.

Letzteres ist Kesten sicherlich nicht gelungen, was Mary Gerold und Fritz Raddatz auch dadurch verhinderten, dass sie den ganzen Tucholsky veröffentlichten.

Klaus Bellin hat mit seinem Buch sicherlich keine Forschungslücke geschlossen, aber einen gut lesbaren und informativen Blick auf einen besonderen und wichtigen Aspekt von Tucholskys Leben geworfen.

Klaus Bellin: Es war wie Glas zwischen uns. Die Geschichte von Mary und Kurt Tucholsky. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2010, 168 Seiten, 10 Abbildungen, 19,90 Euro, ISBN 978-3-86650-039-6

29.3.2010

Old Shatterhand – ein Pseudonym Tucholskys?

Bei der Lektüre eines Spiegel-Artikels über Blogger, die sich der Pseudonyme Tucholskys bedienen, dürften sich viele Leser gefragt haben: Ist Old Shatterhand wirklich ein weiteres Pseudonym des Mannes mit den 5 PS gewesen? Haben Panter, Tiger & Co. ihm nicht genügt?

Die Frage nach der Herkunft dieses Pseudonyms ist nicht leicht zu beantworten. Es gibt dazu in der Forschung unterschiedliche Meinungen. In den Weltbühne-Registern von Elmar Holly und Joachim Bergmann wird das Pseudonym Tucholsky zugeschlagen. Die Herausgeber der Tucholsky-Gesamtausgabe nahmen die Texte jedoch nicht einmal als »ungesicherte Zuschreibungen« auf, weil die von Holly vorgebrachten Gründe nicht überzeugten. Ohnehin steht der Aufwand, alle Argumente Für und Wider Tucholskys Urheberschaft zu wälzen, in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Wie immer die Antwort ausfallen mag, sie ist für die Einschätzung von Tucholskys Werk ohne Belang. Denn sehr belanglos sind die beiden Texte, die von einem Old Shatterhand in den Jahren 1927 und 1929 in der Weltbühne erschienen sind. Aber dennoch finden sich Gründe, sie gerade Tucholsky zuzuschreiben.

Der erste der beiden Artikel erschien am 22. März 1927 unter dem merkwürdigen Titel: »Eine Rede ist keine Rede oder: Wat macht denn nu eijentlich Else Müller?«. Dahinter versteckt sich das Lamento einer Berlinerin, die offenbar vor einiger Zeit in ihrem Haus eine Unanständigkeit beobachtet hat:

Na, man hört ja so allerlei und denkt sich dann sein Teil. Ich will ja nischt gesagt haben, aber unsereins hat ja schließlich auch seine Augen im Kopp. Wissen Se, ich hab mir mein ganzes Leben kein X vorn U machen lassen, und uff meine alten Tahre werd ich damit ooch nich mehr anfangen.

Diese Rede, die keine Rede ist, weil die entrüstete Nachbarin von Else Müller am Ende »nischt jesacht ham will«, ist kein typischer Weltbühne-Text. Die Geschichte hat keine rechte Pointe und bezieht ihren Unterhaltungswert vor allem daraus, dass die Erzählerin heftigst berlinert. Wenn in der Weltbühne jemand berlinert, ist der Gedanke an Tucholsky natürlich nicht weit. Schließlich hat er unter allen seinen Pseudonymen immer wieder Berlinismen eingeflochten und ganze Texte im Berliner Dialekt verfasst. Sogar als anonymer Autor berlinerte er, wie in dem Text »Der Portier vom Reichskanzlerpalais spricht«. Dennoch hat man in diesem Fall den Eindruck, dass diese »Rede« etwas unter dem Niveau Tucholskys liegt, weil es in diesem Fall nur um das sinnfreie Reden im Dialekt geht. Man weiß als Leser nicht, was eigentlich vorgefallen ist, von dem es heißt: »aba wat zu vill is is zu vill ick kann Ihnen nur eins saren sowat find ich unanständich einfach unanständich«. Es scheint sich um einen Insiderspaß zu handeln, eine Anspielung, die nur sehr wenige Menschen verstehen.

Wenn der Text aber nur bedingt komisch und reichlich kryptisch ist, stellt sich die Frage: Warum hat ihn der Herausgeber der Weltbühne ins Blatt genommen? Worauf die Antwort fast nur lauten kann: Er hat ihn selbst geschrieben. Denn im März 1927 war Tucholsky verantwortlich für das Blatt, da der Weltbühne-Begründer Siegfried Jacobsohn im Dezember 1926 überraschend gestorben war und der bisherige Pariser Korrespondent die Leitung übernommen hatte. Es ist kaum nachzuvollziehen, warum er einen solchen Text ins Blatt genommen haben sollte, wenn es für ihn nicht genügend Gründe dafür gab. Wenn nicht journalistische, so doch andere, persönliche. Denn gerade Tucholsky war sehr kritisch, wenn es ums Berlinern ging (»Bevor ich berlinere, überlege ich es mir dreimal, und zweimal tue ichs nicht.«). Wobei sich nun die Frage stellt, warum er nicht als Autor in Erscheinung treten wollte. Dafür lassen sich eine Reihe von Argumenten ins Feld führen.

Zunächst spricht dagegen eine Regel, die schon Tucholskys Mentor Jacobsohn aufgestellt hatte: Jeder Autor nur einmal in jeder Nummer. In besagter Ausgabe vom 22. März 1927 finden sich aber schon ein Peter Panter, Theobald Tiger und ein Ignaz Wrobel. Bleiben also noch Kaspar Hauser und Kurt Tucholsky selbst. Für die »Rede« kommt Tucholsky als Autorname nicht in Frage, da solcherart gekennzeichnete Texte meist wichtige und grundsätzliche Themen behandelten. Für den melancholischen Kaspar Hauser ist der Artikel hingegen reichlich belanglos. In dieser Zeit erschienen von Hauser vor allem die Wendriner-Geschichten und die Lebensreflexionen in der Serie »Nachher«. Ein Peter Panter hätte vielleicht noch am ehesten diesen Artikel zeichnen können, doch der war schon mit einem drei Seiten langen Artikel vergeben.

Möglicherweise war es Tucholsky auch ganz recht, nicht als Urheber in Erscheinung zu treten. Denn es gibt eine kleine Bemerkung in der Mitte des Textes, die einerseits für Tucholskys Autorschaft und andererseits für deren Verschleierung spricht:

da geh ich grade mit Lottchen iebern Hoff zum Verwalta

Bei dem Namen »Lottchen« wird man natürlich hellhörig. Für Holly, der 1989 sein Register sämtlicher Weltbühne-Autoren vorgelegt hat, ist der Name der Schlüssel zur Identifizierung des Autors:

Mit der im ersten »Old Shatterhand«-Beitrag vom 22. III. 1927 vorkommenden Figur »Lottchen« ist in Wirklichkeit die Journalistin Lisa Matthias gemeint, mit der der verheiratete Tucholsky seit Februar 1927 eine heimliche Liaison hatte. Nur acht Tage bevor der mit »Old Shatterhand« gezeichnete Tucholsky-Beitrag »Eine Rede ist keine Rede oder: Wat macht denn nu eijentlich Else Müller?« in der »Weltbühne« erschien, notierte Lisa Matthias in ihr Tagebuch, daß es »natürlich Spaß [mache], so heimlich bedichtet zu werden« (zit. nach: Lisa Matthias: Ich war Tucholskys Lottchen, Hamburg 1962, [S. 39])

Elmar Holly: Die Weltbühne 1918–1933: ein Register sämtlicher Autoren und Beiträge. Berlin 1989, S. 30

Nun hat sich Holly mit seiner Behauptung, hinter dem Weltbühne-Pseudonym Hugo Grotius stecke Tucholsky, auch schon kräftig geirrt. Aus dieser einen Feststellung von Matthias lässt sich das Pseudonym noch nicht herleiten, zumal sie in ihrem Buch zahlreiche andere Texte nennt, die sich auf ihr Verhältnis zu Tucholsky beziehen, jedoch nicht den unter Old Shatterhand veröffentlichten. Allerdings gibt es zwei Stellen in ihrer Autobiografie, die wiederum für Tucholskys Autorschaft sprechen. So heißt es auf Seite 42 über die ersten Wochen ihrer Liaison:

Aber es hatte sich doch während unseres mehr als zweimonatigen Zusammenseins herausgestellt, daß wir beide absolut die gleiche Sprache redeten — manchmal in fürchterlichstem Berliner Dialekt […]

Und da ist noch eine Widmung, die ihr Tucholsky auf einen Korrekturabzug des am 5. April 1927 veröffentlichten Gedichts »Subkutan« schrieb:


»Zur Erinnerung an einen kl. Hausstand für Lottchen von Daddy«, kritzelte Tucholsky in Sütterlin-Schrift. Schon damals benutzte er also den Spitznamen »Lottchen« für Lisa Matthias, so wie sie ihn von Anfang an »Daddy« genannt hatte (S. 44).

»Subkutan« nimmt am Ende auch das Motiv auf, wonach die Nachbarn eine verfängliche Beobachtung machen könnten:

Und dann sieht dich jemand in ihrem Haus.
Und dann ist die ganze Bescherung aus.

Warum Matthias den Old Shatterhand-Text in ihrem Buch nicht erwähnt, bleibt ihr Geheimnis. Hat am Ende diejenige, die die Anspielungen verstanden haben könnte, gar nichts von dem kleinen Spaß mitbekommen? In dem Abschnitt ihres Buches (S. 50f.), der über die Entstehung der literarischen Figur des Lottchens handelt, bemerkt sie lediglich:

Der Name selbst kommt in Tucholskys Produktion frühzeitig vor. Lottchen ist an und für sich die typische Berliner Jöhre.

Womit Matthias in beiden Fällen recht hat. Allerdings tauchen die Lottchens in der Weltbühne bis auf eine Ausnahme nur in Tucholsky-Texten auf.

Alles in allem gibt es sicherlich mehr Argumente, die für eine Autorschaft Tucholskys in dem Fall sprechen. Vor allem gibt es keinen ersichtlichen Grund, warum Tucholsky als Herausgeber diesen nicht besonders originellen Artikel unter einem neuen Pseudonym ins Blatt nehmen sollte, wenn er keinen Hintergedanken dabei hatte.

Wie verhält es sich nun mit dem zweiten »Old Shatterhand«? Dabei handelt es sich um den Text »Festprogramm zur berliner Season«, erschienen am 21. Mai 1929 in der Weltbühne. Auch in diesem Fall könnte es sich von Stil und Thema her um einen Text Tucholskys handeln, allerdings nicht um einen seiner besten. Ähnlich wie bei den Aphorismen-Sammlungen »Nationales« oder »Schnipsel« enthält auch das »Festprogramm« eine Reihe spöttischer Bemerkungen, in diesem Fall sogar durchnummeriert. So heißt es unter Punkt 5:

Eröffnung der Großen berliner Kunstausstellung im Funkturmrestaurant; im Fahrstuhl: Max Liebermann mit seinem Originalgemälde: Der Reichspräsident in Stahlhelmuniform vor schwarzrotgoldnem Grunde, von 21.30 bis 24.15 Scheinwerferbeleuchtung; anschließend Besichtigung der Rundfunkzensur unter sachverständiger Führung. Jeder Teilnehmer zahlt 5000 Mark Konventionalstrafe.

Und so fort. Verständlich, wenn Tucholsky diese Liste nicht unbedingt unter seinem Namen hat erscheinen lassen wollen. Gegen seine Urheberschaft könnte sprechen, dass er im Mai 1929 keinen besonderen Bezug mehr zu Berlin besaß, wo er zuletzt im März einige Tage verbracht hatte. Allerdings sind die meisten Motive recht zeitlos. Auch die Personen, über die sich Old Shatterhand mokiert, tauchen immer wieder in Tucholskys Texten und Briefen auf (Georg Bernhard, Gertrud Bäumer, Katharina von Oheimb). Über den »Dachschützen« Kurt Robitschek, Kabarettist und Theaterdirektor, beklagte sich Tucholsky nur wenige Tage zuvor in einem Brief an seine Frau Mary Gerold: »Herr Robitschek mit seinem Publikum hat keine Veranlassung sich über Wendriner lustig zu machen«. Auch die Tennisspielerin Cilly Außem war ihm ein Begriff, sie tauchte 1931 in dem Text »Weltbild, nach intensiver Zeitungslektüre« wieder in der Weltbühne auf. Über die Angst von einer Konventionalstrafe hatte er Mary Gerold in einem Brief vom 12. Juli 1926 berichtet.

Das alles sind keine hieb- und stichfesten »Beweise« für die Urheberschaft Tucholskys, sondern höchstens Indizien, über deren Aussagekraft wohl jeder Leser selbst sein Urteil fällen muss. Aber zusammengenommen deuten beide Texte schon sehr stark auf einem Autor vom Profil Tucholskys hin. Und zu guter Letzt: Welcher andere Weltbühne-Mitarbeiter sollte gerade diese beiden Texte geschrieben haben?

15.3.2010

Goldene Zwanziger in Idada-Oberstein

Einen musikalische Revue der besonderen Art konnten die Idar-Obersteiner am vergangenen Sonntag erleben. Wenn es stimmte, was die Allgemeine Zeitung in ihrer Ankündigung schrieb, wurden bislang nie gehörte Werke aufgeführt:

Den widersprüchlichen Gefühlen der »Goldenen 20er« entsprachen mit dadaistischen Texten Autoren wie Kurt Tucholsky und Walter Mehring, Mitbegründer des Berliner politisch-literarischen Kabaretts, und spröde Musik wie die Paul Hindemiths.

Nun kann man von Tucholskys und Mehrings* Gedichten ja sagen, was man will, aber dadaistisch waren sie auf jeden Fall nicht. Derartiges behaupten auch nicht die Künstler in ihrem Programmzettel, sondern die Zeitung exklusiv für sich. Was Tucholsky von Dada hielt, brachte er 1920 auf die knappe Formel:

Wenn man abzieht, was an diesem Verein Bluff ist, so bleibt nicht so furchtbar viel.

Peter Panter, »Dada«, in: Berliner Tageblatt, 20. Juli 1920

Das gilt auch für so manche Pressemeldung.


* Mehring war wohl doch ein bisschen dada. Dank an R. Templin für den Hinweis!

27.1.2010

Tucholskys letzte Hemden

Es ist dem Tagesspiegel und dem Neuen Deutschland aufgefallen: Das im vergangenen als Printausgabe eingestelle Blättchen erscheint nun wieder als Online-Ausgabe. Beide Zeitungen loben das Weltbühne-Nachfolgeprojekt, laut Neuem Deutschland waren die 300 Printausgaben »tapfer und ausdauerheiter, intelligent und traditionsbewusst in Szene gesetzt von Jörn Schütrumpf, Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski«. Die erste Online-Ausgabe warte in ihrem Sonderteil gar mit einer »kleinen Kostbarkeit« auf: Tucholskys Nachlassverzeichnis, das erstmals aus dem Schwedischen ins Deutsche übersetzt wurde.

Was ist nun so »kostbar« an dieser Aufstellung?

Nun weiß man immerhin, dass Tucholsky im Keller seiner Villa im schwedischen Hindas ein Feuerlöschgerät der Firma Kustos im Keller stehen hatte (Wert: 15 Kronen), auf einer Rosshaarmatratze schlief, zwei Briefwaagen und zwei Papierkörbe im Arbeitszimmer besaß (gut für die Ordnung) und ein 44-teiliges geblümtes Essservice (Wert: 20 Kronen) sein eigen nannte. Was bereits bekannt war: Tucholsky steckte an seinem Lebensende in den Miesen. Seine Schulden betrugen knapp 12.000 Kronen, die seine Erbin Mary Gerold-Tucholsky erst nach dem Krieg durch die Verkaufserlöse der Bücher wieder begleichen konnte.

Ansonsten bleibt der Eindruck, den der Tagesspiegel treffend formulierte: »So viel Hausrat, und er deckte doch nicht die Kosten seines Ablebens. Man kann nichts mitnehmen.«

9.1.2010

Ein bunter Strauß Geburtstagsgrüße

Was Tucholsky wohl zu den Blumen gesagt hätte, die ihm die deutschen Medien heute aufs Grab gestellt haben?

Vermutlich herzhaft gelacht hätte er über die Berliner BZ, die keine Mühen gescheut hat, eine Tucholsky-Würdigung von Christoph Stölzl mit einem ausgefallenen Foto zu illustrieren. Ihr ist es offenbar gelungen, nicht nur ein Bild von Tucholsky, sondern sogar von einem seiner Pseudonyme aufzutreiben. Aber um welches handelt es sich dabei: den bitterbösen Ignaz Wrobel, den kugelrunden Peter Panter, den melancholischen Kaspar Hauser oder den dichtenden Theobald Tiger?


Wenn es nicht doch jemand anderes wäre, könnte man ganz gut auf Kaspar Hauser tippen. Und wie muss man sich die Bildunterschrift erklären (inhaltlich, nicht grammatisch)? Also direkt nach seinem 45. Geburtstag dachte Tucholsky, mit diesem halbrunden Alter ist Schluss? Da lebte er aber noch fast zwölf Monate.

Stölzl selbst bemüht eher die Klischees, um seinen Lesern Tucholsky näherzubringen:

Der Jammer über den Höllensturz seines Vaterlandes hatte ihm das Herz gebrochen. (Wirklich?)

Sie vergalten es ihm mit ihrem Hass, der ihn 1933 sofort zur Flucht zwang. (War er nicht schon 1924 aus Deutschland weggegangen?)

Alles, was Tucholsky machte, wurde sogleich zur öffentlichen Angelegenheit. (Lebte er in einem prä-endemoligen Big-Brother-Container? War er Dauergast bei Kerners Großvater?)

Aber auch der WDR hat in seinem »Stichtag« einmal kräftig daneben gelangt:

Gegen den Kriegseintritt Deutschlands 1914 schreibt Tucholsky ebenso an wie gegen den Kommunismus.

Das hat Stölzl richtiger getroffen: »1914 wurde er Soldat, aber anders als die meisten seiner Generation blieb er immun gegen den Hurra-Patriotismus.« Und schrieb die ersten Kriegsjahre rein gar nichts. Gegen kommunistische und sozialistische Bestrebungen zum Nutzen der Arbeiter und des Pazifismus hatte er recht wenig einzuwenden, wenn auch gegen die Politik der KPD.

Eine recht schöne Würdigung findet sich in der Wiener »Presse. Ob die stark bemühte Tinten-Metapher aber bei einem Menschen angebracht ist, der zeitlebens nur auf der Schreibmaschine klapperte und sogar bei Privatbriefen fragte: »Darf man tippen?«

Eher geschmunzelt hätte Tucholsky wohl über eine Formulierung in der Ostthüringer Zeitung:

Die Grabplatte ziert ein Gleichnis aus Goethes »Faust«.

Wie dieses sehr vergängliche Gleichnis wohl lautet??

Vielen Dank an Roland Templin für den Hinweis zu Tschechow.

6.1.2010

Auftakt zum 120.

Der in Kürze anstehende 120. Geburtstag Tucholskys wirft seinen Schatten voraus, wenn diese eher sommerliche Metapher einmal erlaubt sein darf. Die Nachrichtenagentur AP (oder APD, oder APN) hat zum 9. Januar einen Artikel unter dem Titel »Der melancholische Satiriker« verbreitet. Dem Autor kann zumindest nicht vorgeworfen werden, den Wikipedia-Artikel zu Tucholsky nicht gelesen zu haben. Man darf gespannt sein, ob es noch andere Würdigungen zu diesem Jahrestag geben wird.

10.12.2009

Kurt Tucholsky – ein Sozialist?

Kann man von Kurt Tucholsky behaupten, dass er sich selbst als Sozialist verstanden hat? Über diese Frage gibt es seit einiger Zeit eine umfängliche Diskussion in der Wikipedia. Zu recht?

Unstrittig ist auf jeden Fall, dass man über diese Behauptung diskutieren kann. Denn wer oder was ist eigentlich ein Sozialist? Und hat sich Tucholsky zu der laut Wikipedia »politischen Ideologie« des Sozialismus überhaupt einmal bekannt?

Während die erste Frage nicht so leicht zu beantworten sein wird, genügt zur Klärung der zweiten einfach ein Blick in Tucholskys Werk. Wie auch in der Wikipedia argumentiert wird, schrieb er unter anderem:

»Für uns Sozialisten kann es nur eine einzige Lehre dieses Krieges geben.«
»Nie wieder in Krieg«, in: Die Freiheit, 1.8.1922

»Wer schützt unsre Gefühle? unsern Glauben an den Sozialismus?«
»Von den Kränzen, der Abtreibung und dem Sakrament der Ehe», in: Die Weltbühne, 17.2.1931

Das erstmalige Erscheinen der Wiener Weltbühne kündigte er unter der Überschrift an:

»Berliner in Österreich? Nein: Sozialisten bei Sozialisten!«
in: Die Weltbühne, 29.9.1932

Auch schien Tucholsky klar gewesen zu sein, was Sozialismus bedeutet. So schrieb er 1928 auf die Frage »Was würden Sie tun, wenn Sie die Macht hätten?«:

»Hätte ich die Macht mit den kommunistischen Arbeitern und für sie, so scheinen mir dies die Hauptarbeiten einer solchen Regierung zu sein: Sozialisierung der Bergwerke; Sozialisierung der Schwerindustrie; Aufteilung des Großgrundbesitzes; …?«
In: Literarische Welt, 9.11.1928

Und in einer Analyse der Novemberrevolution kam er zu dem Schluss:

»Folgende Möglichkeiten sind damals ausgelassen worden: Zerschlagung der Bundesstaaten; Aufteilung des Großgrundbesitzes; Revolutionäre Sozialisierung der Industrie …«
»November-Umsturz« in: Die Schwarze Fahne, 1928, Nr. 44

Bis zum Ende seines Lebens verfolgte er aufmerksam die Entwicklung der sozialistischen Bewegung. Am 10. Februar 1935 schrieb er an seinen Freund Walter Hasenclever:

Der Sozialismus, der den Arbeitern viel Gutes gebracht hat, hat in dieser Form seine Rolle ausgespielt. […] Je eher das, was man heute Sozialismus nennt, untergeht, desto besser – sein Grundsatz ist sowieso falsch, das haben gerade wir immer gewußt.

Daraus spricht deutlich der enttäuschte Liebhaber, der seine Ideale verraten sieht und vom Sozialismus in dieser Form beziehungsweise von dem, was man heute so nennt, nichts mehr hält.

Warum sollte man trotz dieses eindeutigen Befundes Probleme damit haben, Tucholsky als Sozialisten zu bezeichnen? Dies muss wohl mit dem heutigen Verständnis des Begriffs zusammenhängen, beziehungsweise mit dem Personal, das damit in Verbindung gebracht wird. Wen würde man heutzutage so titulieren? In Deutschland in erster Linie Vertreter der Linkspartei, schon deswegen, weil diese sich in alter Tradition selbst als Sozialisten bezeichnen. Bei SPD-Politikern hat man schon seine Probleme damit, auch wenn sich die Genossen in ihrem Hamburger Programm von 2007 noch »der stolzen Tradition des demokratischen Sozialismus« verpflichtet sehen.

Vielleicht liegt da das Problem. Möchte man sich Tucholsky in intimer geistiger Nähe zu Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht vorstellen? Als Autor des Neuen Deutschland? Als Kolumnist der jungen welt. Wohl lieber nicht. Auch wenn sich die Vertreter der Linkspartei bei passender oder unpassender Gelegenheit gerne auf Tucholsky berufen.

Wer aber ist denn ein Sozialist – damals wie heute? Gilt das nur für

  • a) Funktionäre einer explizit sozialistischen Partei?
  • b) Schon für deren Mitglieder und Wähler? Oder gar
  • c) für alle Menschen, die die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse mit dem Ziel sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit verändern wollen, und eine nach diesen Prinzipien organisierte Gesellschaftsordnung anstreben? (Sozialismus-Definition laut Zeit-Lexikon 2005)

Im Falle von c) wäre Tucholsky auf jeden Fall als Sozialist zu bezeichnen. Und er hätte sich auch so verstanden. Das machen die obigen Zitate mehr als deutlich. Aber auch im Falle von b) trifft dies zu, denn schließlich machte er schon 1911/12 für die SPD Wahlkampf, trat 1920 gar der USPD bei und schrieb regelmäßig für sozialistische Blätter wie Die Freiheit. Fritz J. Raddatz schreibt daher im Vorwort zu den Gesammelten Werken lapidar:

Tucholsky wurde Sozialist. Er trat der USPD bei und war nach deren Verschmelzung mit der Sozialdemokratischen Partei im Jahre 1922 Mitglied der SPD.
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in 20 Bänden, Reinbek 1975, Bd. 1, S. 21

Bliebe nur noch Fall a), der offenbar nicht zutrifft. Dass Tucholsky trotz seiner politischen Überzeugungen kein Parteiführer sein wollte, hat er oft genug betont:

»Ich bin kein großer Führer, ich weiß das. Ich bin ausgezeichnet, wenn ich einer noch dumpfen Masseneinsicht Ausdruck geben kann.«
Brief an Arnold Zweig vom 15.12.1935

»Wir haben niemals beansprucht, die Führer der Arbeiterklasse zu sein.«
»Die Rolle des Intellektuellen in der Partei«, in: Die Front, 1929, Nr. 9

Aber die Tatsache, dass Tucholsky sich nach Auflösung der USPD nicht mehr parteipolitisch engagierte, könnte genau damit zusammenhängen, dass weder die SPD noch die KPD eine sozialistische Politik in seinem Verständnis propagierten. Die SPD war ihm zu zahm und kapitalismusfreundlich, die KPD zu dogmatisch-marxistisch und zu moskauhörig. Er war politisch heimatlos geworden und verließ Deutschland dann auch bald in Richtung Paris.

Ein weiterer wichtiger Beleg für Tucholskys sozialistische Überzeugungen ist die Mitgliedschaft in Kurt Hillers Gruppe Revolutionärer Pazifisten. Nach Ansicht Hillers sollte der Weltfrieden über den Umweg des weltweit siegreichen Sozialismus eingeführt werden. Wobei der Sozialismus mit revolutionären Mitteln erzwungen werden sollte. Kaum vorstellbar, als Nichtsozialist Mitglied in dieser Hiller-Gruppierung sein zu können. In diesem Zusammenhang zeigt sich auch die eminent pazifistische Überzeugung, die zur damaligen Zeit mit dem Sozialismus verknüpft war. Schließlich wurde der Ausbruch des Ersten Weltkrieges auch als Folge des kapitalistischen Wirtschaftssystems gesehen. Aus diesem Grund gab es bei Tucholsky eine enge Verbindung von Demokratie, Sozialismus und Pazifismus.

Vor diesem Hintergrund scheint es nur konsequent, wenn Riccardo Bavaj in seiner Studie Von links gegen Weimar. Linkes antiparlamentarisches Denken in der Weimarer Republik die Weltbühne und ihre Repräsentanten Tucholsky, Ossietzky und Hiller unter dem Kapitel »Linkssozialismus« zusammenfasst.

Zu guter Letzt sei darauf verwiesen, dass es in früheren Jahrzehnten gang und gäbe war, Tucholsky den Sozialisten zuzurechnen, wie ein Blick in den Spiegel zeigt:

»Entschiedener, als er es schon früher getan hatte, verurteilte der pazifistische Sozialist Tucholsky nach 1933 den Stalin-Kommunismus, der die von Hitler verfolgten deutschen Genossen im Stich gelassen habe.«
»Adofs Doitsche«, in: Der Spiegel, 6.2.1963

Und 20 Jahre später:

Der Sozialist Tucholsky, gleichzeitig auch Mitarbeiter linker und linksradikaler Blätter, […]
» Tucholsky ein Deutschnationaler?« in: Der Spiegel, 21.10.1985

Bevor es in der Wikipedia wieder zu Missverständnissen und Diskussionen kommt, sei hier schon mal klargestellt: Tucholsky verstand sich definitiv nicht als Deutschnationaler.

26.10.2009

Tucholsky-Preis an Volker Weidermann verliehen

Zum Abschluss der diesjährigen Tagung der Kurt Tucholsky-Gesellschaft zum Thema Anti-Faschismus hat der Literaturkritiker und Journalist Volker Weidermann den Tucholsky-Preis für literarische Publizistik erhalten. Anders als in früheren Jahren hatte die Tucholsky-Gesellschaft dazu nicht ins Deutsche Theater, sondern ins Haus der Demokratie und Menschenrechte geladen. Trotz widriger Akustik sei die Veranstaltung »auf gewohntem Niveau« gewesen, sagte Jens Brüning in seinem Resümee im Deutschlandradio Kultur (nachzuhören als podcast).

In seiner Laudatio ging Weidermanns Verleger Helge Malchow (Kiepenheuer & Witsch) auf die Debatte ein, die der Preisträger durch seine Literaturgeschichte Lichtjahre angestoßen habe. Weidermann sei sowohl »Gnostiker« als auch »Emphatiker«, sagte Malchow in Replik auf einen Beitrag von Hubert Winkels in der Zeit.



Tucholsky-Preisträger Weidermann

Weidermann, der den Preis für sein Buch der verbrannten Bücher verliehen bekam, verwies in seiner Dankesrede darauf, dass er die rund 500 Rezensionen des »fantastischen Literaturkritikers« Tucholsky immer wieder mit Begeisterung lese. »Was heute modern sein könnte, das kann man lernen in Texten, die vor 80 Jahren erschienen sind», sagte Weidermann.

Lernen kann man von den Autoren der Weltbühne aber nicht nur das Schreiben von Buchkritiken. Das ging auch aus den Beiträgen der diesjährigen Tagung hervor, die sich mit dem Kampf der linksintellektuellen Schriftsteller und Journalisten gegen den aufkommenden Nationalsozialismus befassten. Laut Neuem Deutschland drehte es sich dabei auch um die Frage:

War die Weltbühne in ihrer Auseinandersetzung mit der NSDAP mutig und vorausschauend?

Was das Vorausschauen betrifft, so sind im Falle des vom ND erwähnten Ossietzkys in der Tat einige Zweifel angebracht (und auch im Laufe der Nachkriegsgeschichte schon häufig geäußert worden). Dass die Weltbühne-Autoren mutig waren, steht aber nicht zur Disposition. Einer anderslautenden Behauptung würde deren angeblicher Urheber auch entschieden widersprechen. Was hiermit geschehen sei.

21.10.2009

Neues Herzstück bezahlt

Vor einigen Monaten hatte das Rheinsberger Tucholsky-Museum um Spenden für ein sehr seltenes Buchexemplar geworben: ein Widmungsexemplar des Büchleins Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte von Kurt Tucholsky an seine spätere Frau Else Weil. Nun hat Museumsleiter Peter Böthig den Erfolg der Aktion bekanntgegeben. Laut Märkischer Allgemeiner teilte er mit,

dass die Spenden zusammen mit Fördermitteln aus dem Wissenschaftsministerium und der Staatskanzlei nun ausreichen, um das Darlehen für den Kauf zurückzuzahlen. Böthig dankte den Spendern und lud sie zur Langen Nacht der Künste am 7. November ein. Dort will er das Buch bei der Langen Nacht erstmals der Öffentlichkeit präsentieren.

Damit hat Böthig die 10.000 Euro zusammen, die das Buch im Besitz eines privaten Sammlers kosten sollte. Und das Museum in der Tat ein faszinierendes Exponat mehr, dass laut Böthig »Herzstück einer Ausstellung zu Tucholskys 75. Todestag« werden soll.

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