24.3.2005

Was darf Photoshop?

Wenn demnächst wieder mit dem Hinweis auf einen gewissen Herrn Tucholsky irgendwo behauptet wird, die Satire dürfe alles, sei bereits jetzt darauf hingewiesen, dass nicht unerhebliche deutsche Gerichte dies zum Teil anders sehen. So zum Beispiel das Bundesverfassungsgericht. Dort wurde unlängst einer Beschwerde des früheren Telekom-Chefs Ron Sommer stattgegeben, der seine Persönlichkeitsrechte durch eine angeblich satirische Fotomontage der „Wirtschaftswoche“ verletzt sah. Die Verfassungsrichter argumentierten in ihrer Urteilsbegründung sinngemäß: Die Satire darf alles, aber nicht so wirken, als sei sie authentisch. In der Pressemitteilung des Gerichtes heißt es halbwegs verständlich:

Die Meinungsfreiheit umfasst die grafische Umsetzung einer kritischen Aussage eines Zeitschriftenartikels auch durch eine satirisch wirkende Fotomontage. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt aber vor der Verbreitung eines technisch manipulierten Bildes, das den Anschein erweckt, ein authentisches Abbild einer Person zu sein. Ein solcher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht wird auch dann nicht durch die Meinungsfreiheit gerechtfertigt, wenn das Bild in einen satirischen Kontext gerückt wird.

Die Prozessbeteiligten waren sich einig darüber, dass Sommers Kopf nur um fünf Prozent gestreckt worden sei. Mit gravierenden Folgen für dessen Gesicht, wie Sommers Anwälte behaupteten:

Es wirke in Folge des technischen Eingriffs insgesamt länger, Wangen und Kinn seien fleischiger und breiter, der Kinnbereich fülliger und die Hautfarbe blasser als auf der Originalaufnahme. Der Kopf sei zudem im Verhältnis zum Körper insgesamt zu klein und sitze zu tief auf den Schultern, sodass der Hals kürzer und dicker erscheine.

Wie gut, dass sich ein gewisser Herr Tucholsky nicht mehr über die (ausgerechnet) hier zu findende Streckung seines Kopfes um rund 20 Prozent beschweren kann. Was darf eine Marketingabteilung? Vieles, aber bestimmt nicht so etwas:

Das Originalfoto
Das Originalfoto

Bei www.rowohlt.de

23.3.2005

Zu viel gebrummt

Zu dessen sechzigstem Geburtstag hat die „Süddeutsche Zeitung“ dem Übersetzer, Autor, „Lindenstraße“-Darsteller und Verlegersohn Harry Rowohlt ein schönes Porträt geschenkt: „Ein Mann, ein Wort, ein Brummen“. Bei der unterhaltsamen Aneinanderreihung von Beobachtungen und Anekdoten sei Autor Hilmar Klute die leicht unzutreffende Behauptung verziehen, wonach Rowohlts Vater Ernst einst „Kurt Tucholsky seine herrlichen Sommerromane aus dem Ärmel gezogen“ habe. Eigentlich müßig darauf hinzuweisen, dass die in Tucholskys Ärmeln steckende Sammlung von Sommerromanen sich auf „Schloß Gripsholm“ beschränkte und dieses Exemplar in dessen eigenen Augen auch kein Roman war, sondern lediglich eine „Sommergeschichte“, wie es im vollständigen Titel des Buches denn auch heißt.

21.3.2005

Der Welttag der Poesie ist da!

Wer es bis dato noch nicht gewusst hat, der sollte es sich von nun an merken: Der 21. März ist nicht nur Frühlingsanfang, sondern auch der „Welttag der Poesie“. Da Lyrikbände keine so verderbliche Ware wie Blumen und Pralinen sind, wird es wohl noch eine Zeitlang dauern, bis die Verlage dieses Datum als ihren marketingtechnischen Valentinstag entdecken. Die „Rhein-Main-Presse“ geht immerhin mit gutem Beispiel voran und druckt in ihren Ausgaben heute tatsächlich zwei Gedichte ab. Frühlingsgedichte natürlich. Allerdings hat sie sich nicht die Intention der Unesco zu eigen gemacht, wonach der Welttag der Poesie Verlage ermutigen soll, „poetische Werke besonders von jungen Dichtern zu unterstützen“. Da nützt auch die Ausrede nichts, dass Tucholsky erst 24 Jahre alt war, als er „Der Lenz ist da!“ schrieb.

Ob sich die „Rhein-Main-Presse“ bei ihrer Auswahl von der „Welt am Sonntag“ hat inspirieren lassen? Dort sammelte Peter Wägner lyrische Frühlingsimpressionen in seinem Artikel „Wenn laue Frühlingswinde wehen“. Die zu Jahreszeit und Stimmung besser passende Wahl wäre in diesem Fall aber ein Gedicht gewesen, aus dem folgende Zeilen stammen:

Und wenn man dieses Deutschland sieht und diese
mit Parsifalleri – und -fallerein
von Hammeln abgegraste Geisteswiese –
ah Frühling! Hier soll immer Winter sein!
Theobald Tiger: „Vorfrühling“, in: Die Schaubühne, 5.2.1914, S. 169

12.3.2005

Apropo’s Apostrophe

Der Missbrauch von Apostrophen an vornehmlich ostdeutschen Imbissbuden und Sonnenstudios (aber nicht nur dort) ist schon viel beschrieben, beklagt und bewiesen worden. Wie es die „Welt“ aber schafft, dem Apostrophverächter Tucholsky ein solches Auslassungszeichen unterzuschieben, ist wirklich sehenswert:

Doch was dabei herauskommt, ähnelt dem Befund, den der Dichter Kurt Tucholsky schon 1927 in die sarkastische Erkenntnis gekleidet hatte: „Ja, das möchte’st de: Vorn die Ostsee, und hinten die Friedrichstraße.“

Wie in fast allen Fällen von verunglückten Apostropheinsätzen geht es auch in diesem Fall viel einfacher:

Ja, das möchste:

heißt es in dem Gedicht „Das Ideal“, das 1927 in der „Berliner Illustrirten Zeitung“ erschien.

Mit der obigen Zitationsweise des Tucholsky-Bonmots fällt die „Welt“ leider hinter ihre eigenen Vorgaben zurück. Zwar klappte es beim vorigen Mal auch nicht ideal, aber doch um einiges besser.

9.3.2005

Blubbernde Fettkugel

„Verehrt, Verfolgt, Vergessen“ lautet der Titel einer Ausstellung, die derzeit im Potsdamer Filmmuseum gezeigt wird. Sie ist dem Andenken von Künstlern gewidmet, die von den Nationalsozialisten von Bühnen und Leinwänden verbannt wurden. Zu diesen vergessenen Filmgrößen zählt auch der Berliner Schauspieler Otto Wallburg. Dessen Schicksal stellen die „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ in ihrem Ausstellungsbericht sehr ausführlich vor. Denn zur Ausstellungseröffnung wurde Wallburgs typische Sprechweise von dem Schauspieler und Synchronsprecher Friedrich Schoenfelder imitiert. Diese muss sehr interessant geklungen haben:

Bekannt geworden war Otto Wallburg vor allem dank seiner Kodderschnauze. Sein „Blubbern“, wie es die Berliner liebevoll nannten, bevor sie lieber den schnarrenden Tönen aus dem Volksempfänger lauschten, begeisterte sogar den gestrengen Alfred Kerr. Kurt Tucholsky hatte Wallburgs Sprachartistik als „gesprochene Stenographie“ gewürdigt.

Tucholsky war in der Tat sehr angetan von Wallburgs Auftritten und porträtierte den „Badeengel aus Zelluloid“ sehr wohlwollend:

Diese Fettkugel spricht Stenographie (Debattenschrift); die Sätze fallen, fertiggenäht, aus dem Mund, sind hundertmal gesprochen, werden als bekannt vorausgesetzt und daher nur leicht angeschlagen. (…) Er ist immer ein bißchen naß, weil er schwitzt, immer in Bewegung, und was er einmal in einer Posse zu sagen hatte, könnte sein Wahlspruch sein: „Nehmen Sie nur! Ich habe davon vierhundert Stück.“
Peter Panter: „Otto Wallburg“, in: Die Weltbühne, 15.2.1927, S. 274

8.3.2005

Tucholsky für Moderatoren

Der frühere Musikkritiker Thomas Veszelits ist inzwischen zum Kommunikationsexperten mutiert und hat als solcher 30 deutschen Prominenten „Auf’s Maul geschaut!“, wie der Titel seines neuen Buches lautet. Der Zweck des Ganzen, laut Verlagsprospekt:

Aus deren Sprachschatz, rhetorischen Tricks und individuellen Eigen­heiten entwickelte er zehn Kommunikationstypen, mit deren Hilfe man das Geheimnis ihres Erfolges verstehen und für sich nutzen kann.

In einem Interview mit der „Welt“ erläuterte Veszelits nun unter anderem, warum er welchen Prominenten in eine bestimmte Kategorie gesteckt hat:

Müntefering, der Moderator, der als Vorbild immer Tucholsky nennt und auch selbst schon kleine Theaterstücke geschrieben hat, redet anders als der Gutachter Fischer, der voller Leidenschaft in Rätseln, Vergleichen oder Provokationen spricht.

Dass SPD-Chef Franz Müntefering eine andere Sprache spricht als Außenminister Joschka Fischer, ist in der Tat nicht ganz unzutreffend. Was nun aber das Vorbild Tucholsky damit zu tun haben soll, dass Müntefering zu den „Moderatoren“ zählt, ist allerdings nicht ganz nachzuvollziehen. Müsste Müntefering dann nicht eher ein „Klartexter“ sein, der die Dinge beim Namen nennt? In diese Kategorie fallen in Veszelits‘ Buch die „Kultfigur“ Harald Schmidt, der „Reformkanzler“ Gerhard Schröder und der „Liberalen-Kapitän“ Guido Westerwelle.

Die Nähe des SPD-Chefs zu Tucholsky kann so groß ohnehin nicht sein kann, wenn man dem Inhalt des hier zu findenden Textes Glauben schenken darf. Vielleicht meint Veszelits aber auch nur, dass Müntefering sich bei seinen öffentlichen Auftritten an Tucholskys Ratschläge für einen guten/schlechten Redner hält. Was auch immer noch günstiger käme, als die 12,90 Euro für Veszelits‘ Buch auszugeben.

26.2.2005

Bouillon für den Kanzler

Wenn Kritikerpapst Marcel Reich-Ranicki sich zu James Joyces „Ulysses“ äußerst, bedient er sich gerne eines Tucholsky-Bonmots:

Liebigs Fleischextrakt. Man kann es nicht essen. Aber es werden noch viele Suppen damit zubereitet werden.
Peter Panter: „Ulysses“, in: Die Weltbühne, 22.11.1927, S. 788

So auch geschehen bei der Veranstaltung „Der Kritiker als Komödiant“ im Bundeskanzleramt, bei der, den Beobachtungen Michael Rutschkys für die „taz“ zufolge, neben dem schwerhörigen Reich-Ranicki auch der feierliche Dichter Durs Grünbein, der lachende Bundeskanzler Gerhard Schröder, die moderierende Kulturstaatsministerin Christina Weiss sowie eine junge, fleißig mitschreibende Reporterin zugegen waren.

24.2.2005

Klein – unverständlich

Wenn ein Journalist wie Wiglaf Droste sich mit der Zeitschrift „Die Weltbühne“ befasst, artet das sehr leicht in politische Grundsatzmanifestationen aus. So leider auch in einem Text für die „Frankfurter Rundschau“ , in dem er auf ein Feature aufmerksam macht, das Axel Eggebrecht 1968 über die “ Geschichte einer berühmten Zeitschrift“ aufgenommen hat. Mehr als die reine Tatsache, dass es eine solche Aufnahme gibt, erfährt der Leser nicht. Statt dessen liefert Droste Fundstücke für die Aphorismensammlung:

Politik in Deutschland heißt Durchsetzung wirtschaftlicher Zwecke mit Hilfe der Gesetzgebung.
Wiglaf Droste: „Klein – klug“, in: Frankfurter Rundschau, 24.2.2005, S. 25

Und er ergänzt:

Eine Zeitschrift, die hinter diese Grunderkenntnis nicht zurückfiel, als das Publikum sie nicht wahrhaben und der Staat sie verbieten wollte, war Die Weltbühne.

Anstatt zu beschreiben, wie ein ehemaliger „Weltbühne“-Mitarbeiter wie Eggebrecht die Geschichte der Zeitschrift erzählt, scheitert Droste lieber bei dem Versuch, diese bewegte Vergangenheit selbst in 40 Zeilen zu pressen. Und wenn dann auch noch Bezüge zur Gegenwart nicht fehlen dürfen, kommt es schon mal zu der schiefen Behauptung, wonach Carl von Ossietzky von den Vorläufern der heutigen NPD ermordet wurde. Zu schreiben, dass von Ossietzky an der Folgen seiner KZ-Haft starb, wäre wohl zu groß und nicht klug genug gewesen.

18.2.2005

Ein bisschen Tamerlan

„Mir ist heut so nach Tamerlan, nach Tamerlan zumut, ein kleines bisschen Tamerlan, ach Tamerlan, wär gut“, dichtete Theobald Tiger 1922 für das Berliner Kabarett von Rudolf Nelson. Auch der „Welt“ war heute nach dem türkisch-mongolischen Gewaltherrscher zumute, denn Timur Lenk, wie er eigentlich hieß, ist vor genau sechshundert Jahren gestorben.

Wer diese Leute waren, die sich schon Anfang der zwanziger Jahre einen kleinen Diktator wünschten, schrieb Tucholsky in seinem eigenen Nachruf:

„Mir ist heut so nach Tamerlan!“

Das war eines jener zahllosen Chansons des Verstorbenen, angefertigt für die Kreise, die er so zu verachten vorgab; mit der einen Hand kritisierte er sie, mit der andern zapfte er ihnen den Sekt ab. Er war eben eine problematische Natur …
Ignaz Wrobel: „Requiem“, in: Die Weltbühne, 21.6.1923, S. 728

Dass diesen Kreisen tatsächlich nach einem „starken Mann“ zumute war, sollte sich gegen Ende der Weimarer Republik immer deutlicher herausstellen. Und dass es „ein kleines bisschen Tamerlan“ – ein kleines bisschen Diktatur – eben nicht gibt, leider auch.

16.2.2005

Berlinernde Verwandtschaft

Der Aufforderung Tucholskys, nie etwas mit der Verwandtschaft anzufangen, dürfte im Falle Peter Bohleys nicht so leicht zu folgen sein. Hat der aus Halle stammende Naturwissenschaftler und Schwager Bärbel Bohleys doch alleine sechs Brüder. „Sieben Brüder auf einer fliegenden Schildkröte“ laute daher auch der Titel von Bohleys Lebenserinnerungen, wie die „Mitteldeutsche Zeitung“ in dem gleichnamigen Artikel zu berichten weiß.

Mit Erstaunen lässt sich in dem eigentlich interessanten Text feststellen, zu welchen Wandlungen Zitate bisweilen fähig sind:

Man denkt bei der Lektüre auch an den schönen Doppelsinn des Wortes „Familienbande“ und daran, dass Tucholsky sagte: „Schere dir nich‘ um die Verwandtschaft / Kieke lieber in die Landschaft“.

Ein sehr souveräner Umgang mit dem Original, wie ein Vergleich zeigt:

Fang nie
was mit Verwandtschaft an -!
Denn das geht schief, denn das geht schief!
Sieh dir lieber ’ne fremde Landschaft an –
Die Familie wird gleich so massiv!
Peter Panter: „Das Fotografie-Album“, in: Das Stachelschwein, 14.02.1925, S. 4-12.

Und diese durchaus kreative Leistung ist leider ein schlagender Beweis für eine andere Feststellung Tucholskys:

Bevor ich berlinere, überlege ich es mir dreimal, und zweimal tue ichs nicht.
Peter Panter; „Ein besserer Herr“, in: Die Weltbühne, 25.06.1929, Nr. 26, S. 935ff.

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