16.4.2006

63 Minuten Glück

Nach dem Wegfall der Urheberrechte haben sich gleich mehrere Verlage auf Tucholskys „Bilderbuch für Verliebte“ gestürzt. In diesem Jahr erscheinen bei Diogenes, dtv, Husum und Reclam Neuausgaben von „Rheinsberg“. Eine neue Hörbuch-Edition von Diogenes hat sich dagegen die Berliner Zeitung angeschaut, beziehungsweise -gehört. „Schokoladenkind“ Abini Zöllner war davon recht angetan:

Helene Grass liest dieses „Hörbuch für Verliebte“ erfrischend, macht die Charaktere sympathisch und aus einer Stunde einen Gewinn. Das Glück dauert genau 63 Minuten, ist wunderschön verpackt, hat ein ausführliches Booklet, anmutige Illustrationen und erscheint, natürlich, im Wonnemai. Und – das ist versprochen – es huscht nicht an einem vorüber.

Wozu eigentlich noch selber lesen?

9.4.2006

Fritze Griinbaum

Wenn es darum geht, Originalaufnahmen aus der kabarettistischen Frühzeit zu präsentieren, ist der Berliner Regisseur und Produzent Volker Kühn nicht weit. Die bereits vor einem Jahre von Kühn herausgegebene Doppel-CD „Das Cabaret ist mein Ruin“, die dem österreichischen Kabarettisten Fritz Grünbaum gewidmet ist, hat die FAZ nun in ihrer Ausgabe vom Samstag besprochen. Autor Uwe Ebbinghaus kommt in seinem Text „Mit Heineschem Zug“ gleich zur Sache:

Am Anfang hieß das Kabarett überall noch Cabaret, war körperbetont, erotisch aufgeladen, und eines seiner Hauptverdienste bestand darin, die Uneingeweihten von der „Existenz des außerehelichen Geschlechtsverkehrs“ in Kenntnis zu setzen, wie Kurt Tucholsky einmal witzelte.

Dieser Witz stammt mehr oder weniger sinngemäß aus Tucholskys Text „Berliner Cabarets“ vom März 1913. In diesem Artikel wird Grünbaum nicht eigens erwähnt. Dass Tucholsky den Wiener Künstler durchaus kannte, zeigt eine Passage aus einem Text über Gussy Holl, der nur wenige Monate später erschien:

Sie ist der Spiegel. Sie kann Fritze Griinbaum nachmachen und Schneider-Dunker und die Waldoff’n.
Peter Panter: „Gussy Holl“, in: Die Schaubühne, 3.7.1913, S. 688

Nach dem Ersten Weltkrieg arbeiteten Tucholsky und Grünbaum für Rudolf Nelsons Revue „Total Manoli“ zusammen. Grünbaum steuerte die Texte, Tucholsky den Titelsong bei.

In dem Artikel „Des deutschen Volkes Liederschatz“ bezog sich Tucholsky wenige Jahre später auf Grünbaums populäre Schlagertexte:

Was aber sind alle diese schönen Lieder, wie:
    Am Hügel, wo der Flieder blüht,
    und eine Rosenhecke glüht und:
(…)
Da mögen Welsche und Polen, Tschechen und blatternasige Kosaken dräun: solange wir solche Lieder haben, kann Deutschland nicht untergehn. Der Text stammt von zwei wiener Juden.

Wen Tucholsky mit den „zwei wiener Juden“ tatsächliche gemeint hat, ist unklar. Fest steht nur: Den Schlager „Dort unterm Baum“ , aus dem die obigen Verse entnommen sind, hat der im tschechischen Brünn geborene Jude Grünbaum geschrieben.

Kleine CD-Hörprobe gefällig?

28.3.2006

Wo gekalauert wird

Also, was die taz heute auf ihrer Wahrheit-Seite an Dichter-Anekdoten präsentiert, das ist ja ungeheuerlich. Da berichtet Thomas Schäfer über eine geradezu unglaubliche Begebenheit in der Weltbühne-Redaktion:

Wieder einmal hatte Kurt Tucholsky dem Schriftleiter der Weltbühne, Siegfried Jacobsohn, ein, diesmal unter dem Pseudonym „Ignaz Wrobel“ verfasstes, die Spitzen der Weimarer-Republik-Gesellschaft böse aufs Korn nehmendes politisches Feuilleton auf den Redaktionstisch gelegt, das so heikel war, dass Jacobsohn erhebliche Schwierigkeiten mit Zensur-, Polizei- und sonstigen Behörden befürchtete und Tucholsky bat, den Artikel ein wenig abzumildern. Tucholsky jedoch winkte ab, bezichtigte seinen Auftraggeber der Feigheit und verließ dessen Büro mit dem Hinweis: „Wo gewrobelt wird, da fallen eben Späne.“

Also, wenn man der apokryphen Kalauer-Forschung Glauben schenken darf, kann es sich bei diesem Manuskript nur um den Text „Ludendorffs Luderleben“ gehandelt haben, wobei Jacobsohn jedoch weniger Schwierigkeiten mit Zensur und Polizei befürchtete, sondern…

15.3.2006

Neues Chanson

Die FAZ wartet in ihrer heutigen Literaturbeilage mit einer literarischen Rarität auf. In einem Artikel, der sich mit Ruth Berlaus Erzählungen über das kärgliche Liebesleben der Frauen befasst, schreibt Autor Dieter Bartetzko:

„Im alten Stile leben wir geregelt. Und nur am Sonnabend, da wird ,gekegelt‘ – das ist die älteste Gymnastikart.“ Dieses Chanson, 1926 von Kurt Tucholsky verfaßt, tönt noch heute von jeder Kleinkunstbühne.

Das Lied mag zwar tatsächlich in einigen Kabaretts gesungen werden. Aber von Tucholsky ist es deswegen trotzdem noch nicht.

8.3.2006

Linkes Lachen

Die Wochenzeitung Jungle World beschäftigt sich in ihrer heutigen Ausgabe ausgiebig mit dem Thema „linker Humor“. Ob das etwas mit dem Weltfrauentag zu tun hat, wird nicht erklärt.

In den Artikeln „Die SPD, juchhee, juchhee, juchhee!“ von Gerhard Henschel, „Ernst der Lage“ von Kay Sokolowsky sowie in einem Interview mit Martin Buchholz geht es irgendwie auch um Tucholsky.

Richtig schlimm dagegen ist das, was dabei rauskommt, wenn „Linke aller Couleur“ nach ihrem Lieblingswitz gefragt werden. Vielleicht haben die lustigen Linken die Anfrage auch nur mit dieser Aktion verwechselt.

Extreme Historie

Etliche Wochen nach der FAZ hat nun auch die Frankfurter Rundschau ein Buch des Historikers Riccardo Bavaj rezensiert, das sich mit „linkem, antiparlamentarischem Denken in der Weimarer Republik“ beschäftigt.

Sowohl die FAZ als auch die FR tun sich schwer damit, das Buch einzuordnen. Bavaj lasse zwar keinen Zweifel daran, dass die Weimarer Republik im wesentlichen von rechts zerstört wurde. Mit der Einschränkung:

Doch auch von links suchten extremistische Kräfte, der ersten Demokratie ein Ende zu bereiten. Auch diese Seite brachte einen Extremismus hervor, der beständig gegen die Weimarer Republik agitierte, sie bekämpfte, sie mit ideologischer Energie zu überwinden trachtete.

Nun sollte einen wundern, dass sich Bavaj in seinem Buch überhaupt mit der Weltbühne beschäftigt. Wenn Journalisten wie Carl von Ossietzky oder Kurt Tucholsky des Linksextremismus bezichtigt werden, stellt sich in der Tat die Frage, was die normale Linke gewesen sein soll. Etwa die SPD? Auch der FR gefällt diese Einordnung nicht:

Erstens verwendet Bavaj den nicht leicht universalisierbaren Terminus des Linksextremismus für die Weimarer Republik, ohne ihn näher zu erläutern. So läuft er Gefahr, manche durchaus ambivalente Position von vornherein zu stigmatisieren und zu enthistorisieren. Andere Begriffe wie Linkskommunismus, -sozialismus und -radikalismus, die oftmals nur in Nuancen zu variieren scheinen, kann er nicht von ihren Unschärfen befreien.

Festzuhalten bliebe, dass Bavaj die Weltbühne zu den Vertretern des Linkssozialismus innerhalb des damaligen Kulturlebens rechnet. Was durchaus zutreffend ist, wenngleich es nichts darüber aussagt, welche Stellung die Zeitschrift zu Demokratie und Parlament bezog.

Ein wenig merkwürdig erscheint, wie sehr sich FAZ-Rezensent Joachim Radkau auf Aussagen Tucholskys und Ossietzkys stürzt, als gäben die beiden besonders gute Beispiele dafür ab, wie die Weimarer Republik von links unterminiert wurde. Wobei er später zu dem Schluss kommt:

Nicht jede Kritik am aktuellen Parlamentsbetrieb zeugt von Demokratiefeindschaft, ganz im Gegenteil: Die Demokratie braucht solche Kritik.

Wie überraschend.

Bei der FR schafft es Tucholsky mit dem Begriff „Ri-Ra-Rücksichten“ sogar in die Überschrift der Rezension. Es ist aber bezeichnend, wie der Ausdruck innerhalb des Textes Verwendung findet:

Ihr Hass galt zuvorderst Parlament und Parteien, deren Partikularinteressen, Kompromisslertum und „Ri-Ra-Rücksichten“, wie Tucholsky einst spottete.

Im Original hat die Rücksichtnahme überhaupt nichts mit Hass oder Spott zu tun. Als Chefredakteur der Satirebeilage Ulk gebrauchte Tucholsky den Ausdruck in einem Brief vom 27.12.1918 (!) an den Schriftsteller Hans Erich Blaich:

Mit den Zeichnern will ich versuchen, was ich machen kann. Es ist zur Zeit sehr schwer – und künstlerisch ist die ganze Aufgabe ja überhaupt nicht lösbar, wegen der Ri-Ra-Rücksichten. Aber gründet vielleicht ein idealer Billionär ein gutes, großes, deutsches Witzblatt und stellt mich als Redaktionssekretär ein? Mit nichten.

Wenn das Jammern über fehlende künstlerische Freiheit schon als linksextremer Antiparlamentarismus ausgelegt wird, dann hat die Diskussion um die Mohammed-Karikaturen den zukünftigen Historikern viel Stoff für dicke Wälzer geliefert.

Nebenbei bemerkt: Laut FAZ schmähte Ossietzky mit Heinrich Brüning „den letzten parlamentarisch gewählten Reichskanzler der Weimarer Republik“. Räusper. Laut Artikel 53 der Weimarer Verfassung wurde der Reichskanzler nicht vom Reichstag gewählt, sondern vom „Reichspräsidenten ernannt und entlassen“. Das galt auch für Brüning. Und im Gegensatz zu der großen Koalition unter Hermann Müller (SPD) stützte sich die Regierung Brüning eben nicht mehr auf die Mehrheit des Reichstages, sondern nur noch auf das Vertrauen des Reichspräsidenten, der nun einmal Paul von Hindenburg hieß.

5.3.2006

Sammeln für Salzmann

Für die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 durch die deutschen Studenten hatte Kurt Tucholsky kaum mehr als ein Achselzucken übrig:

In Frankfurt haben sie unsere Bücher auf einem Ochsenkarren zum Richtplatz geschleift. Wie ein Trachtenverein von Oberlehrern.
Nun aber zu Ernsthafterem.

… schrieb er am 17. Mai 1933 in einem Brief an Walter Hasenclever.

Sehr viel ernsthafter hat sich Georg P. Salzmann mit diesem Thema beschäftigt. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges sammelt er an seiner
„Bibliothek der verbrannten Bücher“. Rund 10.000 Exemplare hat er inzwischen beisammen. Doch es ist gar nicht so einfach, wie das Neue Deutschland berichtet, irgendwo im Lande einen dauerhaften Aufbewahrungsort für die „Salzmann-Sammlung“ zu finden. Nun besteht laut ND Hoffnung, dass sich in der Stadt Greifswald ein Platz für die Bücher auftut. Allerdings sei es noch nicht gelungen, die 800.000 Euro aufzutreiben, die Salzmann für seine Sammlung haben möchte.

Auch Tucholskys zu Lebzeiten erschienene Bücher sind Bestandteil der Bibliothek. Die Tucholsky-Gesellschaft hat die Patenschaft für das Buch „Deutschland, Deutschland über alles“ übernommen. Dies mit gutem Grund. Denn von diesem Werk fühlten sich die Studenten 1933 besonders angegriffen, wie das ND berichtet:

Auch in Greifswald haben 1933 Studenten auf dem Marktplatz die Bücher angezündet. Sie schrieben u. a. in einem Aufruf an die Bevölkerung: „Ein Tucholsky beispielsweise hat sich … unsere Feindschaft durch die Tatsache geschaffen, dass er in seinem Buch ‚Deutschland über alles‘ unsere Feldherren als Tiere bezeichnete (…)“

Wobei sich die Studenten irrten. Denn die Montage der Generalsköpfe mit der Bildunterschrift „Tiere sehen dich an“ stammte von John Heartfield. Aber Tucholsky wollte in der Öffentlichkeit die Verantwortung für das komplette Buch übernehmen, wie am 1. März 1931 an Jakob Wassermann schrieb:

Das Blatt ‚Tiere sehen dich an‘ ist nicht von mir. Es stammt von dem Bildermann John Heartfield, der das Buch ausgestattet hat.
Herr Heartfield hatte, was vereinbart war, auch selbständig einige Bilder mit Unterschriften montiert, wie man sagt – und als ich die Druckbogen bekam, war noch nicht alles fertig. Dann hielt ich das fertige Buch in der Hand, sah jene Seite und bekam einen Klaps vor den Magen.
Mein erster Gedanke war: „Schade, daß dir das nicht eingefallen ist“ – mein zweiter war: „Hm …“ und dabei ist es denn bis jetzt geblieben.
Das ist nicht meine Satire. Es ist mir zu klobig; ich habe mit Ihnen nicht das leiseste Mitgefühl für die dargestellten Typen, die mir in ihrer Wirksamkeit hassenswert erscheinen. – aber ich hätte das nie so formuliert. Die Beleidigung der Tiere schmeckt mir nicht, und das trifft es auch nicht: unter „tierisch“ verstehe ich in solchem Zusammenhang etwas Dumpfes, Animalisches – also etwa einen brutalen Henker … nicht diese da.
Ich habe den Sturm, den dieses Bild seit Jahren erregt, ruhig über mich ergehen lassen, und ich gedenke auch weiterhin die Sache zu decken, und nicht mit einem Protest an die Öffentlichkeit zu gehen. Daher bitte ich auch Sie, diesen Brief durchaus als eine private Meinungsäußerung aufzufassen. Ich habe Ihnen das geschrieben, weil ich vor Ihnen gern richtig dastehen möchte: also nur mit den Fehlern, die ich wirklich begangen habe.

23.2.2006

Diktatorische Requisiten

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beschäftigt sich in ihrer heutigen Ausgabe mit dem besonderen Verhältnis von Diktatoren zum Medium Film. Enno Patalas stellt in seinem Text „Die manipulierten Manipulatoren“ die folgende, etwas gewagte These auf:

Nirgends sonst und nie zuvor oder danach sind Kino und Macht so intime Verbindungen eingegangen wie im Italien, Deutschland und Rußland Mussolinis, Hitlers und Stalins, und kein anderes Medium hat sich bei den Diktatoren eines so intensiven Interesses erfreut.

Nun gut, damals gab es eben noch kein Fernsehen. Aber ob die Nationalsozialisten nicht viel stärker auf das Radio setzten, wäre sicherlich ebenfalls eine Überlegung wert gewesen.

Dass man Adolf Hitler vom Äußeren her recht früh mit einem prominenten Filmstar assoziierte, ist auch Patalas aufgefallen:

Früh schon mußte Hitlers Erscheinungsbild sich den Vergleich mit einer Filmfigur gefallen lassen. „Und da ist plötzlich der Führer gekommen. Er hat einen Bart wie Chaplin, aber lange nicht so komisch“ (Kurt Tucholsky in einem „Schulaufsatz“). Soziales Schicksal und Charakterzüge des Mannes Hitler und der Filmfigur Charlie ähneln sich.

Auf die Ähnlichkeit des englischen Komikers mit dem deutschen Politiker spielte Tucholsky noch ein weiteres Mal an:

Chaplin hat Hitler um die Leihweise Hergabe seines Schnurrbarts gebeten. Die Verhandlungen dauern an.
Kaspar Hauser: „Kleine Nachrichten“, in: Die Weltbühne, 15.3.1932, S. 411

Vermutlich hat Charly Chaplin in dem Film „Der große Diktator“ aber nicht das Original benutzt.

15.2.2006

„Dem Satiriker gab ein Gott zu sagen, was sie treiben“

Nachdem der erste Rauch brennender Botschaften sich verzogen hat und viele Positionen im Streit um die Mohammed-Karikaturen ausgetauscht wurden, sollte sich einmal Zeit genommen werden, Tucholskys Satireverständnis und -praxis genauer zu betrachten. Dass die Satire „alles“ dürfe, ist in jüngster wohl häufig genug wiedergekäut worden. In zahlreichen Artikeln und Briefen hat sich Tucholsky aber sehr differenziert mit der Satire, ihren Grenzen und ihren Kritikern auseinandergesetzt. Vor allem die „Briefe an eine Katholikin“ geben Auskunft über Tucholskys Verhältnis zur Religion im politischen Kampf.
Grenzen der Satire
In dem vielzitierten Text „Was darf die Satire?“ wird Anfangsfrage erst ganz zum Schluss mit einem kategorischen „Alles“ beantwortet. Ganz zum Schluss deshalb, weil Tucholsky zunächst definiert, was er unter einer angemessenen Satire zu verstehen glaubt. Dazu zählen für ihn Angriffe, die die Wahrheit aufblasen, damit sie umso deutlicher hervortritt. Die die Welt gut haben wollen und gegen das Schlechte anrennen. Die boshaft sein können, wenn sie nur ehrlich sind. In diesem Sinne darf die Satire „alles“, – auch Kollektivitäten angreifen, wenn nicht jeder in dem Kollektiv den Angriff verdient hat.
Weniger bekannt als der berühmte Satire-Text ist eine Analyse aus dem Jahre 1912, in der Tucholsky sich über „Die moderne politische Satire in der Literatur“ ausbreitet. Darin heißt es lapidar: „Der Satiriker darf keine, aber auch gar keine Autorität anerkennen.“ Der gesamte Abschnitt, in den dieser Satz eingebettet ist, ist ebenfalls sehr aufschlussreich:

Aus diesen klaren und richtigen Worten folgt zweierlei: erstens, daß man verstanden haben muß, bevor man karikiert, daß man überhaupt nur das satirisch behandeln kann, was man in seinem tiefsten Kern begriffen hat, und zweitens, daß notwendigerweise die rechtsstehenden Parteien keine gute Satire haben können, weil das restlose Kapieren der Dinge Objektivität und oft genug Respektlosigkeit erfordert. Der Satiriker darf keine, aber auch gar keine Autorität anerkennen. Das widerstrebt den Priestern der Autorität und den Halben, Lauen, und niemals werden sie eine künstlerisch gute Satire hervorbringen können (…)

Ähnlich äußerte sich auch Titanic-Mitbegründer Robert Gernhardt in der jüngsten Debatte, als er in einem Interview erklärte: „Eine einzige Grenze [der Satire] gibt es da, wo ich mich nicht auskenne.“ Tucholskys Aussagen zu politischen Satiren lassen sich aber nicht uneingeschränkt auf religiöse Themen übertragen, wie die im Folgenden zitierten Passagen zeigen.

Satire und Religion
In der Karikaturen-Debatte wurde häufig die Frage aufgeworfen, ob Satire nicht stärker Rücksicht auf religiöse Gefühle nehmen müsse. Auch diese Frage lässt sich mit Bezug auf Tucholsky nicht mit einem pauschalen Ja oder Nein beantworten. Für Tucholsky hatten die christlichen Kirchen durch ihr Verhalten im Ersten Weltkrieg zu viel von ihrer Glaubwürdigkeit verloren, um sich von Staats wegen weiter vor Kritik schützen zu lassen. Er griff sie daher scharf an, wenn sie seiner Meinung nach aus dogmatischen Überzeugungen die weltliche Not der Gläubigen nicht zu lindern halfen, sondern sie durch strikte Forderungen noch vergrößerten. Dies galt in Fragen der Sexualmoral und der allgemeinen Lebensführung.
Tucholskys Vorteil bestand natürlich darin, dass er mit der Amtskirche oder der katholischen Zentrumspartei eine deutliche Zielscheibe für seine Kritik besaß. Ihm ging es jedoch nicht darum, das Christentum oder religiöse Überzeugungen im allgemeinen verächtlich zu machen. Dies geht auch aus der Feststellung hervor:

Die Satire hat eine Grenze nach oben: Buddha entzieht sich ihr.
»Schnipsel«, in: Die Weltbühne, 8.3.1932

Tucholsky beklagte sich aber darüber, dass von katholischer Seite diese Selbstbeschränkung nicht ausreichend wahrgenommen wurde. So wehrte er sich gegen entsprechende Vorwürfe, die ihm im Zentrumsblatt Germania von der Journalistin Marierose Fuchs gemacht wurden. Seine Entgegnung lautete:

Ist nicht überall sauber unterschieden zwischen der Kirche als Hort des Glaubens, über den ich mich niemals lustig gemacht habe – und der Kirche als politische Institution im Staat?
Brief an Marierose Fuchs vom 14.8.1929

Scharf attackierte er aber die Position des Zentrums, sich im politischen Kampf auf religiöse Überzeugungen zurückziehen zu wollen:

Also darf man sich nicht auf das „Heilige“, auf das „religiöse Empfinden“ zurückziehen, wenns einem grade paßt. Das ist nicht ehrlich.
Brief an Marierose Fuchs vom 17.12.1929

Und weiter:

In dem Augenblick aber, wo die Kirche sich erdreistet, uns andern ihre Sittenanschauungen aufzwingen zu wollen –
unter gleichzeitiger Beschimpfung der Andersdenkenden
als „Sünder“ –
in dem Augenblick halte ich jede politische Waffe für erlaubt – auch den Hohn, grade den Hohn. Und zwar nicht den dummen, abgestandenen gegen die Pfarrersköchin – grade den lehne ich aus tiefstem Herzen ab.

Ebenso verwahrte er sich gegen den überkommenen Anspruch der Religionen, die Gesellschaft vor einer Verwahrlosung der Sitten zu schützen:

Es gibt kein religiöses Monopol der Ethik, Millionen von anständigen und sittlich gefestigten Menschen schmähen die Kirche nicht, leben aber bewußt und ganz und gar an ihren Lehren vorbei, und sie tun recht daran. Es ist unrichtig, daß der, der die Lehren der Kirche überwunden hat, ein sittlich minderwertiges Individuum ist.
In: „Auch eine Urteilsbegründung“

An zahlreichen Stellen betonte er aber, sich aus rein religiösen Fragen herauszuhalten:

Wenn ernste und große katholische Männer über ihre Religion sprechen und nur über diese, so schweige ich.
Brief an Marierose Fuchs vom 28.7.1930

Was Tucholsky jedoch nicht als Freibrief für theologische Spekulationen galt, wonach letztlich doch jeder Mensch eine verborgene religiöse Ader besäße:

Ihr müßt euch schon daran gewöhnen, daß es sehr vergnügte Heiden gibt – die geht das gar nichts an. Feuerländer sind keine Widerlegung gegen die französische Grammatik – sie beweisen aber, daß es auch ohne diese Grammatik geht.
Brief an Marierose Fuchs vom 27.12.1930

Satire und ihre Kritiker
Schon der Text „Was darf die Satire?“ war ein einziger Appell an die politischen Kontrahenten, satirische Angriffe nicht bierernst, sondern mit einem gewissen Humor zu nehmen.

Wir sollten nicht so kleinlich sein. (…) Das ist kein rechter Mann und kein rechter Stand, der nicht einen ordentlichen Puff vertragen kann. Er mag sich mit denselben Mitteln dagegen wehren, er mag widerschlagen – aber er wende nicht verletzt, empört, gekränkt das Haupt.

Diese Aufforderung verhallte im politisch aufgeheizten Klima der Weimarer Republik ungehört. Tucholsky selbst musste Anfang der zwanziger Jahre damit rechnen, als Jude und politisch links stehender Journalist ebenso wie Maximilian Harden das Opfer eines Attentats zu werden. Allerdings lässt sich nicht belegen, inwieweit dieses Bedrohungsgefühl sein Schreiben beeinflusste. Der Wechsel nach Paris wurde jedoch von der aggressiven, ihm unangenehmen Stimmung in der deutschen Gesellschaft und Politik mitbestimmt. Als Rechtfertigung für diese Flucht könnte der Artikel „Wie mache ich mich unbeliebt“ vom Oktober 1924 dienen:

Wenn man ganz sichergehen will, gleich eine ganze Kompanie auf Jahre hinaus zu verärgern, dann braucht man nur Witze über einen Stand zu reißen. Man tue es – gehe aber unmittelbar nach Begehung des Delikts außer Landes. (…) Wenn du aber auf alle Grafen, auf die Postschaffner und auf den Kaufmannsstand etwas sagst – und nun gar etwas Lustiges –: dann verteile die Güter dieser Erde – Anzüge, Blumentöpfe und Zeitschriftenabonnements – an deine Kinder; ordne deine Schulden – Miete, Effekten und Zeitschriftenabonnements – und entwetze. Dein Leben ist verwirkt.

Beinahe verzweifelt wirkt der Appell, mit dem er den Artikel beschließt:

Dem Satiriker gab ein Gott zu sagen, was sie treiben. Man kann ja nun nicht gerade verlangen, daß der Großpapa, dem der Enkel einen kleinen Flitzbogenpfeil in die hintere, untere Schlafrockseite bohrt, dem guten Kind auch noch einen Bonbon gibt. Aber nicht gleich aufspringen und mit harten Gegenständen werfen. Die Würde muß es sich gefallen lassen, daß sie manchmal am Bart gezupft wird. (Auch Bartlose haben einen Bart, mitunter.)
Denn die moderne Sorte Humorist muß heute noch mit einem Schutzpanzer umhergehen:
Gute Leute! Nicht schießen!

Anfang 1932, als die Machtbeteiligung der Nationalsozialisten nur noch eine Frage der Zeit zu sein schien, stellten die Weltbühne-Herausgeber Tucholsky und Carl von Ossietzky jedoch Überlegungen an, bestimmte Artikel aus Furcht vor Übergriffen nicht zu drucken. Zwar hatte Tucholsky noch im März 1932 geschrieben:

Satire hat auch eine Grenze nach unten. In Deutschland etwa die herrschenden faschistischen Mächte. Es lohnt nicht – so tief kann man nicht schießen.

Gleichzeitig verfasste er aber den satirischen Schulaufsatz „Hitler und Goethe“, in dem er die Rhetorik der Nazi-Bewegung verspottete. Jedoch warnte er Ossietzky davor, diesen Artikel bei einem möglichen Erfolg Adolf Hitlers bei der Wahl zum Reichspräsidenten abzudrucken:

Mein Aufsatz über Hitler. Ich habe mich nicht klar ausgedrückt. „Stichwahl“ gibts ja gar nicht. Ich schlage also vor, daß ich nach der zweiten Wahl schreibe – wenn er geschlagen wird. Man kann, wenn der morgige Tag besondere Überraschungen bringt, vielleicht zwischen den beiden Wahlen schreiben – aber das ist so unsicher … ich mag nicht gegen Hitler das gröbste Geschütz auffahren, dann wird er gewählt, ich bin nicht da … aber Sie sind da.
Brief an Carl von Ossietzky, 12.3.1932

Der Artikel erschien schließlich am 17. Mai 1932. Tucholsky hielt sich damals in Schweden auf, Ossietzky war hinter preußischen Gefängnismauern sicher verwahrt.
Resümee
Aus den zitierten Text- und Briefstellen geht hervor, dass Tucholskys Position in Sachen Satire nicht auf die Position „sie darf alles“ reduziert werden sollte. Vor allen in religiösen Fragen unterschied er klar zwischen den geistigen Inhalten und den daraus entspringenden gesellschaftlichen Ansprüchen. Dass diese Trennung den Glaubensvertretern selbst schwerer fällt, liegt in der Natur der religiösen Überzeugungen.
Die Positionen Tucholskys lassen sich zum Teil uneingeschränkt auf die heutigen Verhältnisse übertragen. Zum anderen lässt sich die von ihm gepflegte Trennung zwischen Glaubensinhalten und Politik teilweise nur schwer aufrechterhalten. Dies zeigt sich beispielsweise an der Debatte über die Evolutionstheorie in den USA. Ein Anhänger des Schöpfungsglaubens kann sich nicht darauf berufen, dass die Lehren Charles Darwins seine religiösen Gefühle verletzten und dadurch verboten werden müssten. Ein Beispiel für eine gelungene religiöse Satire ist in diesem Sinne die Persiflage der amerikanischen Satire-Zeitung The Onion auf die Vertreter des „intelligenten Designs“: „Evangelikale Wissenschaftler ersetzen Schwerkraft durch neue Theorie des „Intelligenten Fallens“.
Von den Onion-Redakteuren ist bislang nicht bekannt geworden, dass sie außer Landes gegangen sind. Aber um es noch einmal zu wiederholen: „Gute Leute! Nicht schießen!“

14.2.2006

Selten so vermutet

Was dem einen sein Witz, ist dem anderen seine Beleidigung, lässt sich nicht nur anhand dieses aktuellen Beispiels belegen. Daher ist auch die Frage müßig, ob die eine Nation mehr oder weniger Humor als die andere hat. Bei Literaturen sind diese Vergleiche nicht viel sinnvoller, wie uns niemand Geringeres als Marcel Reich-Ranicki zu beweisen versucht. Wenn Sie diesen fragten, – was ein Mr. John Grey aus Brighton getan hat -, warum Schiller nicht so witzig wie Shakespeare dichtete, antwortete er, unter vielem anderen:

Dennoch wage ich zu vermuten, daß, von der englischen abgesehen, kaum eine Literatur der Welt so viel Humor habe wie die deutsche. Und daß also die gegenteilige Behauptung bloß ein Klischee sei, das von Generation zu Generation ungeprüft weitergereicht werde.

Erstaunlicherweise hat Tucholsky, für Reich-Ranicki ein Autor mit „Pfiff und Humor“, zu diesem Klischee sein Scherflein beigetragen. Allerdings versuchte er zwischen dem deutschen Humor an sich und seinem literarischen Niederschlag zu unterscheiden. So heißt es in „Etwas vom Humor“, einem der wenigen Tucholsky-Texte, die in der Frankfurter Zeitung erschienen:

Wir Deutschen haben Humor – ja, man kann fast versucht sein, zu sagen, deutscher Humor, das sei fast ein Pleonasmus, so wie deutsche Musik. Und beinahe ist es in der Tat auch so.
Doch haben wir nicht viele Humoristen.

Letzterem würde Reich-Ranicki widersprechen, aber Tucholsky bezog sich vermutlich auf die Gegenwart des Jahres 1918, das in dieser Hinsicht nicht viel zu bieten hatte. Denn wer erinnert sich noch an Stefan von Kotze, den Tucholsky in seinem Text als Naturbursche des Humors anpreist.

Wenn jemand wie Reich-Ranicki aber nur zu „vermuten“ und nicht zu „behaupten“ wagt, scheint er seiner Sache wirklich nicht sehr sicher zu sein. Wie lässt es sich sonst erklären, dass ausgerechnet Deutschlands prominentester Literaturkritiker in diesem Satz in einen falschen Konjunktiv verfällt. Vielleicht ist die deutsche Sprache einfach zu schwer, um gute Witze zu machen. Auch nur so ’ne Vermutung.

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