Unser Ausland

Die unklare politische Situation in Thailand nimmt Kai Strittmatter in der Süddeutschen zum Anlass, sich Gedanken über das Verhältnis der Deutschen zum Ausland zu machen. Sein Leitartikel »Unser Thailand« beginnt mit dem Zitat:

Kurt Tucholsky hätte die Idee mit den Konsumgutscheinen gut gefunden. Und auch eine Verwendung dafür gehabt: »Man sollte jedem Deutschen noch fünfhundert Mark dazugeben, damit er ins Ausland reisen kann«, schrieb der Schriftsteller und Journalist 1924: »Er würde sich manche Plakatanschauung abgewöhnen – wenn er vorurteilslos genug ist, die Augen aufzumachen.« Ein schöner Traum. Der vom Reisen, das bildet. Ein Traum, in dem vor dem Hinausrufen der Weltanschauung das genaue Anschauen der Welt steht. Tucholsky wollte den Deutschen damals ihre Klischees über die Franzosen austreiben.

Gegen Ende seiner Ausführungen kommt Strittmatter dann noch auf die Bedeutung der Auslandsberichterstattung zu sprechen.

Die Welt ist so klein wie nie, aber ist der Wissensdurst gewachsen? Eine Reihe von Korrespondenten von ARD und ZDF hat sich im letzten Jahr zu Wort gemeldet und einen sinkenden Stellenwert der Auslandsberichterstattung beklagt. Auch eine neue Studie des »Netzwerk Recherche« stellt »erhebliche Defizite« in deutschen Medien fest: Zum einen gebe es eine Hinwendung zu Innenpolitik und Lokalem, zum anderen nehme auch bei Auslandsberichten der Deutschlandbezug stark zu.

Bei aller Kritik ist die Arbeit der Korrespondenten weit davon entfernt, auf das Niveau früherer Zeiten zu sinken. Vor dem Zweiten Weltkrieg bestand sie häufig daraus, die Zeitungen des Gastlandes abzuschreiben, was Tucholsky in einer Generalabrechnung mit der Auslandsberichterstattung beklagte:

Das Leben eines Landes spielt sich eben nicht in seinen Zeitungen ab. Man kann zwar aus diesen Zeitungen viel ersehen, wenn man auch sonst gut Bescheid weiß — ihre Macht soll nicht unterschätzt werden. Aber eine Zeitung ist keine Kamera — Journalisten sind Abzeichner. Man muß immer wieder Bild und Wirklichkeit vergleichen.

Ignaz Wrobel: »Auslandsberichte«, in: Die Weltbühne, 12.5.1925, S. 694

Auch die beliebten Meldungen aus dem »Vermischten« waren darin Grund zur Klage:

Die faits divers sind auch schuld daran, daß die eine Nation die andre für einen Haufen tobsüchtig gewordener, ewig ehebrechender, halbirrer, sonderlinghafter, unter völlig desperaten Umständen lebender und mit Revolvern herumfuchtelnder Menschen hält.

Was ja immer noch zu stimmen scheint.

Nach Ansicht von Weltbühne-Herausgeber Siegfried Jacobsohn trug die unzureichende Auslandsberichterstattung sogar Mitschuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges:

Ich für mein Teil will nicht ablassen, den Anteil der Presse an dieser brennenden Schmach unsrer Tage festzustellen — in der Zuversicht, durch Mahnung, Spott, Warnung und bloße sachliche Feststellung am Ende doch zu einer Gesundung der Verhältnisse beizutragen. Da kommt mir der Schutzverband deutscher Schriftsteller höchst dankenswert zu Hilfe. In dessen Organ begründet ein Mann, der durch viele Jahre zwei große deutsche Zeitungen aus London bedient hat, die Überzeugung, »daß der Krieg mit England bei einer bessern Vertretung der deutschen Presse in London während des letzten Jahrzehnts zu vermeiden gewesen wäre«.

»Antworten. Hermann M.«, in: Die Schaubühne, 22.7.1915, S. 95

Sein Text endet mit einem flammenden Appell, die Auslandskorrespondenten finanziell gut auszustatten, um eine sinnvolle Berichterstattung zu ermöglichen:

Auch um dieser Auslandskorrespondenten willen wird Deutschland in der Welt verlacht. Die Verleger scheffeln Millionen, von Jahr zu Jahr mehr Millionen, und mieten sich — die Ausnahmen sind allzu schnell hergezählt — für eine Arbeit, von der letzten Endes unser aller Leben abhängt, um ein Almosen einen Kuli, der nichts weiß, nichts sieht und nichts hört, sich so schlecht anzieht, wie er schreibt, keine Manieren hat, die Hintertreppe benutzen muß und sich am allerwenigsten den Luxus eines Gewissens oder gar des Interesses für seine Tätigkeit leisten kann. Schadet nichts, da Deutschland ja trotzdem siegt, die lachende, längst nicht mehr lachende Welt besiegt? Aber unser Sieg wird zu teuer erkauft und wäre ohne Krieg zu haben gewesen, wenn unsre Zeitungen, soweit sie wirklich Einfluß haben, nicht meistens im Dienst mehr oder minder skrupelloser Plusmacher, sondern des Geists, der Freiheit und der Menschlichkeit stünden.

PS: Die Ausgabe des Economist, in der der im ersten Satz verlinkte Artikel erschien, wurde deswegen in Thailand verboten.

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