29.12.2008

Nichts als Zitate

Es scheint inzwischen bei der Süddeutschen Zeitung einen redaktionsinternen Wettstreit zu geben, im Leitartikel möglichst ein Zitat von Tucholsky unterzubringen. Nach Kai Strittmatter zu Thailand und Ulrich Schäfer zur Post war nun Stefan Kornelius an der Reihe. In seinem Kommentar »Zu viel der Guten« zur Lage der Menschenrechte schrieb er am Schluss über die Rolle der Pazifisten:

Der Realist drängt, droht und schlägt zur Not auch zu. Er lockt, kauft und fördert. Der Realist sucht die Mitte zwischen dem Utopisten und dem Zyniker. Er würde zum Thema Krieg und Friedfertigkeit mit Kurt Tucholsky antworten, der 1935 im Schatten der Nationalsozialisten schrieb: Pazifist sein, das heiße ungefähr so viel wie gegen Pickel sein, damit heile man nicht. Heilen – im Maßstab der Welt mit all ihren Krankheiten ein utopisches Ziel.

Dieses Zitat ist nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig wiedergegeben. Es erweckt den Eindruck, als sei Tucholsky gegen Ende seines Lebens von seinen pazifistischen Positionen abgerückt. Dem war jedoch nicht so. In einer Beilage zu einem Brief vom 13. März 1935 an seine Freundin Hedwig Müller schrieb er:

Nichts als Pacifist zu sein – das ist ungefähr so, wie wenn ein Hautarzt sagt: «Ich bin gegen Pickel.» Damit heilt man nicht. Ich weiß Bescheid, denn ich habe diese Irrtümer hinter mir. […]

Will man aber den Krieg verhindern, dann muß man etwas tun, was alle diese nicht tun wollen: Man muß bezahlen.

Ein Ideal, für das man nicht bezahlt, kriegt man nicht.

Ein Ideal, für das ein Mann oder eine Frau nicht kämpfen wollen, stirbt – das ist ein Naturgesetz. Der Rest ist Familiäre Faschingsfeier im Odeon. […]

Ich habe einen Interventionskrieg stets für wahnsinnig gehalten, das wäre so, wie wenn man meine Mama, um sie zu ändern, ins Gefängnis sperren wollte. Was sollte dieser Krieg? Die boches sind boches – was nützt der Krieg? Aber:

Zwischen diesem Krieg und einer energischen und klaren Haltung aller Mächte Europas ist noch ein großer Unterschied.

Gut möglich, dass Tucholsky diese energische, aber nicht kriegerische Haltung heute in vielen Fällen wieder vermissen würde. Ob sie damals den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhindert hätte, wird jedoch nicht mehr zu beantworten sein.

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