Brief an das Nobelkomitee

Hindås Schweden
27-9-34

Nobel-Comité
Oslo

Sehr geehrte Herren,

wie ich in schwedischen Zeitungen lese, steht mein Freund Carl von Ossietzky in engerer Wahl bei der Verleihung des Friedenspreises.

Ich habe mit Carl von Ossietzky gemeinsam die ‹Weltbühne› in Berlin herausgegeben und kenne ihn seit 10 Jahren. Ich habe ihn dem Begründer der Wochenschrift als Mitarbeiter vorgeschlagen und ihn nach dem Tode des Gründers gebeten, an meiner Stelle die Herausgabe zu übernehmen – wir haben beide gemeinschaftlich redigiert. Ich kenne den Mann also genau, und es ist mir ein Bedürfnis und eine Pflicht, Ihnen zu sagen:

Die Arbeit Ossietzkys für den Weltfrieden ist immer uneigennützig und tapfer gewesen, und, wie ich meine, nicht ohne Erfolg.

Uneigennützig: Ossietzky hat keiner Partei angehört, er hat nicht für irgend eine begrenzte Doktrin gefochten, sondern für die Idee der Humanität. Er hat, wie man zu sagen pflegt, «nichts davon gehabt» – es ist keine dankbare Aufgabe gewesen, in Deutschland für den Pacifismus einzutreten.

Tapfer: Ossietzky ist nach seiner Verurteilung im Jahre 1931 nicht aus Deutschland geflohen, was er hätte tun können und was der Regierung sicherlich angenehm gewesen wäre. Er hat in einem großen Artikel ‹Rechenschaft›, einer klassischen Leistung, dargelegt, daß er für die Sache des Friedens das Opfer bringen will. Er hat es gebracht. Was er aber dann, nach seiner Freilassung im Jahre 1932, getan hat, verdient die allerhöchste Anerkennung:

Dieser Mann, dessen prophetische Arbeiten dartun, wie sehr er seine Zeit und sein Land erkannt hat, hat noch im Dezember 32 gewagt, das heraufziehende Hitlerregime wegen seiner Kriegsfreundlichkeit anzugreifen, und zwar in derart scharfen Formen, daß die Rache denn auch nach dem Reichstagsbrand prompt über ihn hereingebrochen ist. Er leidet noch heute, während Sie dies lesen.

Sie wissen, sehr geehrte Herren, besser als ich, daß es überall einen sozusagen officiellen Pacifismus gibt, eine sanft geölte Denkungsart, die für den Frieden eintritt, solange kein Krieg ist. Diese Gesinnung kostet nichts, sie ist bequem. Ossietzky hat sich seine Friedensgesinnung etwas kosten lassen – wir wissen alle nicht, ob er mit dem Leben davonkommt. Wenn ich, als sein langjähriger Kampfgenosse, Sie bitte, den Idealismus, die Sauberkeit und die so seltene Zivilcourage dieses Friedenssoldaten anzuerkennen, so tue ich das in voller Kenntnis der Person und der Sache. Dieser Mann ist für den Frieden ans Kreuz geschlagen worden.

Ich habe bisher geschwiegen, um nicht durch meinen Namen, der auf die deutsche Regierung wie das rote Tuch wirkt, zu bewirken, daß Ossietzky geschlagen wird. Man hat mir die Staatsangehörigkeit aberkannt – alles, was ich öffentlich für ihn täte, hätte er zu büßen. Ihnen aber darf ich sagen: Sie geben Ihren Preis dem Würdigsten. Ich gehöre nicht zu denen, die in der Verleihung des Preises an Ossietzky in erster Linie eine Demonstration gegen die deutsche Regierung erblicken, denn das ist nicht der Sinn des Preises. Ich erblicke in der Verleihung an ihn eine Erfüllung der Nobelschen Ideen.

Mir sind Ihre Statuten bekannt – ich übe hier keinerlei Vorschlagsrecht aus. Ich genüge einer Freundespflicht.

Ich bin Ihr sehr ergebener

Kurt Tucholsky.

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1.1.2004

Brief an das Nobelkomitee

Hindås Schweden
27-9-34

Nobel-Comité
Oslo

Sehr geehrte Herren,

wie ich in schwedischen Zeitungen lese, steht mein Freund Carl von Ossietzky in engerer Wahl bei der Verleihung des Friedenspreises.

Ich habe mit Carl von Ossietzky gemeinsam die ‹Weltbühne› in Berlin herausgegeben und kenne ihn seit 10 Jahren. Ich habe ihn dem Begründer der Wochenschrift als Mitarbeiter vorgeschlagen und ihn nach dem Tode des Gründers gebeten, an meiner Stelle die Herausgabe zu übernehmen – wir haben beide gemeinschaftlich redigiert. Ich kenne den Mann also genau, und es ist mir ein Bedürfnis und eine Pflicht, Ihnen zu sagen:

Die Arbeit Ossietzkys für den Weltfrieden ist immer uneigennützig und tapfer gewesen, und, wie ich meine, nicht ohne Erfolg.

Uneigennützig: Ossietzky hat keiner Partei angehört, er hat nicht für irgend eine begrenzte Doktrin gefochten, sondern für die Idee der Humanität. Er hat, wie man zu sagen pflegt, «nichts davon gehabt» – es ist keine dankbare Aufgabe gewesen, in Deutschland für den Pacifismus einzutreten.

Tapfer: Ossietzky ist nach seiner Verurteilung im Jahre 1931 nicht aus Deutschland geflohen, was er hätte tun können und was der Regierung sicherlich angenehm gewesen wäre. Er hat in einem großen Artikel ‹Rechenschaft›, einer klassischen Leistung, dargelegt, daß er für die Sache des Friedens das Opfer bringen will. Er hat es gebracht. Was er aber dann, nach seiner Freilassung im Jahre 1932, getan hat, verdient die allerhöchste Anerkennung:

Dieser Mann, dessen prophetische Arbeiten dartun, wie sehr er seine Zeit und sein Land erkannt hat, hat noch im Dezember 32 gewagt, das heraufziehende Hitlerregime wegen seiner Kriegsfreundlichkeit anzugreifen, und zwar in derart scharfen Formen, daß die Rache denn auch nach dem Reichstagsbrand prompt über ihn hereingebrochen ist. Er leidet noch heute, während Sie dies lesen.

Sie wissen, sehr geehrte Herren, besser als ich, daß es überall einen sozusagen officiellen Pacifismus gibt, eine sanft geölte Denkungsart, die für den Frieden eintritt, solange kein Krieg ist. Diese Gesinnung kostet nichts, sie ist bequem. Ossietzky hat sich seine Friedensgesinnung etwas kosten lassen – wir wissen alle nicht, ob er mit dem Leben davonkommt. Wenn ich, als sein langjähriger Kampfgenosse, Sie bitte, den Idealismus, die Sauberkeit und die so seltene Zivilcourage dieses Friedenssoldaten anzuerkennen, so tue ich das in voller Kenntnis der Person und der Sache. Dieser Mann ist für den Frieden ans Kreuz geschlagen worden.

Ich habe bisher geschwiegen, um nicht durch meinen Namen, der auf die deutsche Regierung wie das rote Tuch wirkt, zu bewirken, daß Ossietzky geschlagen wird. Man hat mir die Staatsangehörigkeit aberkannt – alles, was ich öffentlich für ihn täte, hätte er zu büßen. Ihnen aber darf ich sagen: Sie geben Ihren Preis dem Würdigsten. Ich gehöre nicht zu denen, die in der Verleihung des Preises an Ossietzky in erster Linie eine Demonstration gegen die deutsche Regierung erblicken, denn das ist nicht der Sinn des Preises. Ich erblicke in der Verleihung an ihn eine Erfüllung der Nobelschen Ideen.

Mir sind Ihre Statuten bekannt – ich übe hier keinerlei Vorschlagsrecht aus. Ich genüge einer Freundespflicht.

Ich bin Ihr sehr ergebener

Kurt Tucholsky.

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