9.4.2019

Die Weltbühne und das Bauhaus

Im April 2019 jährte sich zum 100. Mal die Gründung des Bauhauses in Weimar. Gut ein Jahr vorher, im April 1918 und noch mitten im Ersten Weltkrieg, hatte die frühere Theaterzeitschrift „Die Schaubühne“ ihren neuen Namen „Die Weltbühne“ erhalten. Sowohl die Zeitschrift als auch die Kunstschule stehen auf ihrem Gebiet exemplarisch für einen weltoffenen und modernen Geist im Deutschland der Weimarer Republik. Die „Weltbühne“ für einen linksintellektuellen, der Völkerverständigung und dem Pazifismus verpflichteten Journalismus, das Bauhaus für einen Aufbruch in der Architektur hin zu mehr Funktionalität, Einfachheit und Sachlichkeit. Beide Ikonen der Weimarer Republik sind mit dieser untergegangen und haben als ihr eigener Mythos die Zeiten überdauert.

Überdauert haben glücklicherweise auch die 45.000 Texte der „Schau“- und „Weltbühne“. Angesichts der Rolle des Bauhauses in der Weimarer Republik wundert es nicht, dass sich diese Bedeutung in vielen Texten widerspiegelt. Dabei geht es nicht nur um ästhetische Fragen oder um Architekturkritik. Auch die soziale Bedeutung des Bauens in der Weimarer Republik und die Pädagogik der Bauhauses spielten eine wichtige Rolle. Und natürlich die politischen Debatten über die diversen Versuche, die Schule an ihren Standorten in Weimar, Dessau und Berlin zu bekämpfen. Darüber hinaus gab es sogar einen gegenseitigen Austausch, der über die kritische Analyse und Würdigung des Bauhauses in der „Weltbühne“ hinausging.

In den gut 14 Jahren zwischen der Gründung des Bauhauses und dem Verbot der Zeitschrift durch die Nationalsozialisten im März 1933 sind in der „Weltbühne“ knapp 40 Texte erschienen, in denen das Bauhaus ausführlich diskutiert oder zumindest am Rande erwähnt wurde. Bemerkenswert in diesem Fall: Sowohl der erste Text aus dem September 1923 als auch der letzte aus dem Januar 1933 stammen von Adolf Behne, der mit mehr als 70 Artikeln der führende Architekturkritiker der Zeitschrift war. In den zehn Jahren dazwischen befassten sich der ungarische Schriftsteller und Kunstkritiker Ernö (Ernst) Kállai, der Stadtplaner und Architekturkritiker Werner Hegemann, die Künstlerin Dora Wentscher, der Filmkritiker Rudolf Arnheim, der Kunsthistoriker Ferdinand Eckhardt sowie der Architekt und frühere Bauhäusler Ernst Blumenthal intensiver mit dem Bauhaus an seinen drei Standorten.

Doch nicht nur das. Die „Weltbühne“ verstand sich in gewissem Umfang auch als Mitteilungsblatt der Schule. So hieß es im August 1928 in der Rubrik „Antworten“:

„Das Bauhaus, Hochschule für Gestaltung in Dessau, beginnt sein diesjähriges Wintersemester am 30. Oktober, Anträge zur Aufnahme in das erste Semester können schon jetzt gestellt werden. (…) Lehrkräfte: L. Feininger, W. Kandinsky, Paul Klee, Hannes Meyer, Oskar Schlemmer, J, Albers, H. Scheper, J. Schmidt, Gunta Stölzl, Hanns Wittwer, Mart Stam, zwei Ingenieure, drei Dozenten im Nebenamt und zwei Dozenten für Sport. Aufnahmegebühr 10 RM., 1. und 2. Semester je 60 RM, Nähere Bedingungen durch das Bauhaus-Sekretariat, Dessau (Anhalt).“

„Antworten“, Nr. 33, 14.8.1928, S. 266

Offenbar war der damalige Chefredakteur Carl von Ossietzky der Ansicht, dass unter den „Weltbühne“-Lesern potenzielle Bauhaus-Schüler zu finden seien.

Das dachte wohl auch das Bauhaus selbst. Denn am 28. April 1925 fand sich folgende Kleinanzeige in der Zeitschrift:

Leider sind die vollständigen Umschläge der „Weltbühne“ mit ihren Anzeigen nicht digitalisiert worden, so dass sich nicht ermitteln lässt, wie regelmäßig solche Anzeigen erschienen. Über deren Erfolg lässt sich nur spekulieren.

Eine erste Begegnung mit dem Bauhaus erfuhren die „Weltbühne“-Leser am 20. September 1923. Anlass für die umfangreiche Würdigung der ersten vier Jahre durch Behne war die erste Bauhaus-Ausstellung von August bis September 1923 in Weimar, eingeleitet durch eine „Bauhaus-Woche“. Behne war voll des Lobes für die Arbeit von Bauhaus-Gründer Walter Gropius:

„Diese Bauhausarbeit zu unterschätzen, wäre ungerecht, fragen wir, wo in Deutschland seit Kriegsende eine neu aufbauende, kühne und zähe, eine vorurteilslose und großgesinnte Arbeit im Gebiet der bildenden Künste geleistet wurde, so werden wir außer dem Weimarer Bauhaus nicht viel finden. (…) Es ist hier an vielen Dingen Kritik möglich, aber die große und entscheidende Leistung von Gropius zu verkennen, wäre unverantwortlich. Nicht das Weimarer Bauhaus, wie es ist, aber das Weimarer Bauhaus, daß es ist und arbeitet, hat Deutschlands künstlerische Ehre in schwierigster, aber auch wichtigster Zeit verteidigt. In einer Zeit allgemeinster künstlerischer Indolenz an allen offiziellen Stellen war das Bauhaus ein Platz unabhängiger Arbeit, und dafür muß ihm gedankt werden. (…) Wir wiederholen: die Leistung ist trotz starker Einwände wichtig und bedeutend. Und wenn es Gropius gelingt, zu einer strengsten Klarheit … nicht von den Richtungen und den Personen, sondern von der Sache her zu kommen, so wird das Bauhaus bei der Zähigkeit und der großen Gesinnung von Gropius eine unschätzbare Arbeit leisten.“

Adolf Behne: „Das Bauhaus Weimar“, Nr. 38, 20.9.1923, S. 289

Kritisch sah Behne beispielsweise die Entscheidung, ein Einfamilienhaus „in den Mittelpunkt der Ausstellung“ zu stellen.

„Es wäre besser gewesen, eine ganz bestimmte und begrenzte Aufgabe zu wählen, eine, die nicht von der Stellung zu vorausgehenden Problemen abhängig ist. Das Wohnhaus ist verknüpft mit Dienstbotenfragen, mit Erziehungsfragen, mit oekonomischen und sozialen Problemen.“

Ebd.

Eher kritisch befasste sich die Künstlerin Dora Wentscher im Februar 1924 mit dem Ausbildungskonzept des Bauhauses.

„Wer erzieht uns eine Jugend, die dieser mechanischen, entgotteten Zeit neue lebendige Kräfte löse? Das Bauhaus in Weimar bemüht sich und rühmt sich, das zu tun. Es wäre das Wichtigste, ja das einzig Wichtige, was jetzt auf der Erde zu geschehen hat. Sehr ungern setzt man ein großes Fragezeichen hinter solches Streben.“ Laut Wikipedia hatte Wentscher selbst im Jahr 1922 einen Studienplatz in Weimar erhalten, ihn wegen einer Erkrankung der Mutter aber nicht antreten können. Daher scheint nicht ganz klar, inwieweit sie die folgende Kritik aus eigener Anschauung heraus formuliert: „Man gibt in Weimar den jungen Leuten ein halbes Jahr lang aller Art Materialien in die Hände: Ton, Blech, Holz, Farben, Fäden, Papier, Eisen, Gewebe. Wie junge Wilde formen sie daraus, was der Geist ihnen eingibt. Man sucht ihren Sinn auf das Wesentliche und Lebendige zu richten. So spielend sollen sie allmählich finden, in welchem Material sie am leichtesten sich auszudrücken vermögen. Dann erst wählen sie ein Handwerk, und die Ausbildung beginnt.
Ein höchst lebendiger Gedanke, ein vorzüglicher Auftakt zu persönlicher Arbeit scheint diese Probezeit. Dennoch ist dem Bauhaus seine schöne Absicht, das Elementare aus der Seele herauf in der Hände Arbeit zu fördern, bisher nicht geglückt.
Woran liegt das?
Zunächst wohl an der ewigen Unzulänglichkeit aller Reformer, die an Stelle des gewollten Ursprünglichen nur das Neue und Sonderbare geben.“

Dora Wentscher: „Erziehung zu schöpferischem Leben“, Nr. 09, 28.2.1924, S. 269

Wentscher empfahl statt dessen das Konzept der von Albrecht Merz in Stuttgart gegründeten Werkschule für Kinder und Arbeiter. „Sie scheint Das zu können, was das Bauhaus will: pro­duktive Kräfte im Menschen befreien“, schrieb die Künstlerin.

Einer Auffassung, der Behne nur wenige Wochen später entschieden widersprach:

„Was Herr Merz in Stuttgart macht, ist, wenn er verstehen wird, sich vor falschem Ambitionen zu hüten, nett und lobenswert. Die Arbeiten seiner Kinder beweisen wieder einmal, daß die Kunstgewerbeschulen mit ganz wenigen Ausnahmen ein kulturelles Verbrechen begehen, und daß man sie abbauen soll (oder man mache das Lehramt an ihnen erblich und überlasse sie ihrem Schicksal). Aber man verstehe doch endlich, daß aus dem glücklichen Spiel des Kindes schlechterdings keine Brücke zur Gestaltung einer modernen Stadt führt. (…) Nicht das also ist die Aufgabe moderner Erziehung, das Kind zu konservieren, sondern es zur Reife zu entwickeln. Nur keine Sentimentalitäten! Das Problem, das sich das Bauhaus – hoffentlich immer klarer! – stellt, ist bei Herrn Merz vorläufig noch gar nicht berührt.“

Adolf Behne: „Hoffmann, Taut, Gropius, Merz“, Nr. 15, 10.4.1924, S. 471

Der nächste Text Behnes ist hochaktuell und verdient es, in voller Länge dokumentiert zu werden. In „Abbau der Kunst“ vom 13. Januar 1925 kommentierte Behne die Vertreibung des Bauhauses von Weimar nach Dessau als Versuch der „Reaktion“ gegen eine ihr ungenehme Kunstrichtung:

„Jedes Kunstwerk spiegelt in der Ordnung seiner Elemente die allgemeinen Ordnungsprinzipien seiner Zeit. Deshalb steht heute mit Notwendigkeit das abstrakte Bild und jede elementare künstlerische Gestaltung im Mittelpunkt eines erbitterten Kampfes, denn sie sind Prototypen einer allgemeingültigen Ordnung von betont sozialem Charakter. Deshalb gilt der abstrakten Kunst, dem Neo-Plastizismus, wie ihn Mondrian unerschüttert vertritt, der erbitterte Kampf aller am Kapitalismus Interessierten. Deshalb sieht das abstrakte Kunstwerk gegen sich in gemeinsamer Front Fascisten, Nationalisten und Demokraten.“

Adolf Behne: „Abbau der Kunst“, Nr. 02, 13.1.1925, S. 57

Vielleicht hätte die derzeitige Leiterin der Dessauer Bauhaus-Stiftung, Claudia Perren, den Artikel Behnes gelesen haben sollen, bevor sie in der Debatte um einen Auftritt der linken Punkband Feine Sahne Fischfilet erklären ließ: „Wir als Bauhaus sind ein bewusst unpolitischer Ort.“ Behne schrieb dem damaligen Bauhaus-Chef Gropius ins Stammbuch, der ebenfalls unpolitisch sein wollte:

„Alle politische Enthaltsamkeit hat dem Bauhaus nichts genützt. Und wie könnte es auch anders sein? Es ist Utopie, in einer politisierten Umwelt apolitisch sein zu wollen. Wer nicht aktiv politisch sein will, muß es passiv sein. Und wenn Politik ein Übel sein sollte, so ist passive Politik das größere. Das Schicksal des Bauhauses ist dafür Beweis. Es war schließlich nur noch ein Spielball zwischen den politischen Parteien, und es findet sein Ende nicht in einem offenen Kampf um künstlerische Prinzipien, wie es das als ein ehrenhaftes Ende gewiß für möglich gehalten hat, sondern Politiker treiben es aus politischen Gründen zur Selbst-Auflösung.“

Ebd.

Foto: Lelikron, Lizenz: CC-by-SA 3.0, Original bearbeitet

Diese Selbst-Auflösung hat es zum Glück nicht gegeben. An seinem neuen Standort in Dessau setzte das Bauhaus noch sieben Jahre seine Arbeit fort. Zunächst unter Gropius, von 1928 an dann unter dem Schweizer Hannes Meyer. Sehr angetan war der damals 22 Jahre alte Filmkritiker Arnheim von den neuen Bauhaus-Gebäuden.

„Der Wille zur Sauberkeit, Klarheit und Großzügigkeit hat hier einen Sieg errungen. Durch die großen Fenster kann man schon von außen den arbeitenden Menschen auf die Finger, den ruhenden in ihr Privatleben sehen. Jedes Ding zeigt seine Konstruktion, keine Schraube ist versteckt, keine schmückende Ziselierkunst verheimlicht, welches Rohmaterial da verarbeitet worden ist. Man ist sehr versucht, diese Ehrlichkeit auch moralisch zu werten.“ In seiner weiteren Beschreibung zeigt sich schon der Einfluss der Psychologie auf den jungen Arnheim: „Während in einem Zimmer, das von schiefen Portieren durchkreuzt ist, in dem ein Sofa über Eck steht und zehn verschieden große, vollbeladene Tischchen wahllos aufgebaut sind, kaum irgendein Zwang dafür besteht, wie eine neue Stehlampe gestellt werden muß, läßt sich in einem solchen Bauhausraum der Platz jedes Dinges beinahe gesetzlich festlegen. Man wird bald auch theoretisch begreifen lernen, daß es sich hier gar nicht um subjektive Geschmacksdinge handelt, sondern daß so ein ‚Gefühl‘ ein sehr sichres und allgemeingültiges psychologisches Phänomen ist, das bei den verschiedenen Menschen zu sehr ähnlichen Resultaten führt. Deshalb kann man selbst bei diesen Aufgaben von ’sachlich zwingenden Lösungen‘ sprechen.“

Rudolf Arnheim: „Das Bauhaus in Dessau“, Nr. 23, 7.6.1927, S. 920

Der Wechsel von Gropius zu Meyer wurde in der „Weltbühne“ nur am Rande erwähnt. „Das Bauhaus konnte sich den Abgang von Gropius leisten, es besteht schließlich kaum erst zehn Jahre, man kann noch gespannt sein, was es nun macht“, schrieb ein Florian am 20. März 1928 in einem Artikel über die Freie Schule Wickersdorf.

Ein Hinweis über eine stärkere Politisierung des Bauhauses zeigt sich in einem kurzen Hinweis in den „Antworten“ vom 24. Dezember 1929: „Bauhaus Dessau. Ihr sucht Verbindung mit jungen und jüngsten Bühnendichtern extremer Haltung; erwünscht sind vor allem Sketchs, kurze Stücke, Szenerien, die sich für Eure Theaterexperimente eignen.“

Gerade die Erwähnungen in den Jahren 1929 und 1930 zeigen, dass das Bauhaus schon als Topos in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen war. So schrieb Kurt Tucholsky im August 1929 in dem Vorwort zu einem Fotoband:

„Gegenüber – auf dem Blatt 52 von Hinnrich Scheper – schwimmt die neue Zeit; selbstverständlich Bauhaus Dessau, eine zweidimensionale Frau … Frau: Platz; Stil: Sieg.“

Peter Panter: „Neues Licht“, Nr. 35, 27.8.1929, S. 323

Arnheim schrieb im Januar 1930 in einer Filmkritik:

„Unsre Manuskriptautoren pflegen ja ihre Werke aus Steinchen zusammenzusetzen, die ein für allemal fest- und zurechtgelegt sind: ein junger ungarischer Offizier, ein Eisenbahnunfall, die Bauhausmöbel im Privatkontor, ein kleines Ladenmädel, ein Porträtmaler, ein Staatsanwalt im Smoking, eine Kaschemme … und daraus zimmern sie sich immer neue Kombinationen.“

Rudolf Arnheim: „Garbo und Feyder“, Nr. 03, 14.1.1930, S. 102

Der Schriftsteller Walter Mehring witzelte im Juli 1930 in seinem satirischen „Aufruf zur Gründung der Neuen Kaiser-Partei (N.K.P.)“:

„Unsre Regierungen gleichen den Bauhausfabrikaten: man weiß nicht, was oben und was unten ist; wo man den parlamentarischen Sitz vermutet, ist der Artikel 48 angebracht; und eh man sich dessen bedient, greift man schon lieber zum alten Plüsch.“

Walter Mehring: „Aufruf zur Gründung der Neuen Kaiser-Partei (N.K.P.)“, Nr. 31, 29.7.1930, S. 160

Allerdings wurde um das Jahr 1930 die Kritik am Bauhaus in der „Weltbühne“ deutlich schärfer. Den Anfang machte der ungarische Schriftsteller und Kunstkritiker Kállai, der zuvor unter Hannes Meyer die Zeitschrift „bauhaus“ geleitet hatte. In seinem Artikel zum zehnjährigen Bestehen des Bauhauses machte er sich über die Rezeption der Kunstschule in der Weimarer Republik lustig:

„Heute weiß jeder Bescheid. Wohnungen mit viel Glas- und Metallglanz: Bauhausstil. Desgleichen mit Wohnhygiene ohne Wohnstimmung: Bauhausstil. Stahlrohrsesselgerippe: Bauhausstil. Lampe mit vernickeltem Gestell und Mattglasplatte als Schirm: Bauhausstil. Gewürfelte Tapeten: Bauhausstil. Kein Bild an der Wand: Bauhausstil. Bild an der Wand, aber was soll es bedeuten: Bauhausstil. Drucksache mit fetten Balken und Grotesklettern: Bauhausstil, alles kleingeschrieben: bauhausstil. ALLES GROSSGESPROCHEN: BAUHAUSSTIL.

Ernst Kállai: „Zehn Jahre Bauhaus“, Nr. 04, 21.1.1930, S. 135

Doch für diese Beliebigkeit des Bauhausstils machte Kállai die Bauhäusler selbst verantwortlich.

„Gropius und seine Mitarbeiter sind selbst schuld daran, daß dem Bauhaus ein wahrer Rattenschwanz von mehr oder minder üblen Kunstgewerblereien anhängt, die alle als Bauhausstil präsentiert werden. Wo hört der echte Bauhausstil auf, wo fängt der falsche an? Das Bauhaus hat ein schöngeistiges A gesagt und muß sich nun gefallen lassen, daß andre das B und alles Weitere dazufügen bis an ein scheußliches Ende.“

Ebd.

Kállai warf dem Bauhaus vor, die Möglichkeiten der modernen Bautechnik nicht wirklich zu nutzen, um beispielsweise die Wohnungsnot zu lindern:

„Es genügt nicht, zwar industrietechnische Massenherstellung zu forcieren, aber dabei im Entwurf ein, wenn auch schematisch reduziertes so doch ästhetizistisch-eigenwilliges Künstlertum über den Ingenieur siegen zu lassen.“

Ebd.

Auch Meyer habe das nach dem Weggang von Gropius und Moholy-Nagy nicht ändern können. Kallai schrieb:

„Doch so viel richtige Einsicht und guten Willen er auch zeigen mochte, zu durchgreifenden Änderungen hat er offenbar weder Sicherheit noch Kraft und Konsequenz genug. Seine Korrekturen sind bis heute Stückwerk geblieben und komplizieren die Lage nur, weil sie an das in Lehrkörper, Geist und Praxis immer noch vorherrschende Erbe des früheren Leiters stoßen, ohne es überwinden zu können.“

Ebd.

Noch schärfer ging der Kunsthistoriker Ferdinand Eckhardt ein Jahr später mit dem Bauhaus ins Gericht. Anlässlich der Deutschen Bauaustellung von 1931 in Berlin warf er dem neuen Bauhausleiter Ludwig Mies van der Rohe vor, sich mit seinen Ausstellungsmodellen nicht am wirklichen Bedarf der Zeit orientiert zu haben. Anstatt günstige Mietwohnungstypen zu präsentieren, habe man

„extravagante Luxuswohnungen in den Mittelpunkt desjenigen Saals gestellt, dem die größte pädagogische Bedeutung zukommt, weil er als einziger den Besucher nicht vor nichtssagende Tabellen oder vor unfertige und zusammenhanglose Waren stellt sondern vor wirkliche Räume und Häuser. Glaubt Mies van der Rohe, den wir bisher doch als einen bedeutenden Architekten schätzten, mit seinem Erdgeschoßwohnhaus, das er unmittelbar daneben von seiner Mitarbeiterin L. Reich wiederholen läßt, einen Zukunftstyp geschaffen zu haben, indem er an den brennendsten Fragen der Gegenwart vorübergeht? Wir brauchen heute keine Ausstellung der Wohnung des Menschen, der zuviel Geld hat.“

Ferdinand Eckhardt: „Epilog zur Bauhausausstellung“, Nr. 31, 4.8.1931, S. 194

Dadurch habe die Ausstellung ihre „große pädagogische Aufgabe“ verfehlt. „Es ist fast erschreckend zusehen, wieviele Menschen täglich dorthin kamen, um sich belehren zu lassen, und wie sie kopfschüttelnd herumirrten. Ist wirklich, wie wir immer geglaubt haben, die Architektur die fahrende Kunst unsrer Zeit? Und wo ist die Werktreue und Sachlichkeit, von der wir so schönes in den Büchern lesen?“, fragte Eckhardt.

Bekanntlich geriet das Bauhaus auch nach der Ablösung des „roten Direktors“ Meyer durch Mies van der Rohe nicht in ruhigeres Fahrwasser. Nach ihrem Wahlsieg in Dessau wollten die Nationalsozialisten eine Schließung des Bauhauses durchsetzen. Der frühere Bauhaus-Student Ernst Blumenthal rechnete aus diesem Anlass im Juli 1932 mit Mies van der Rohe ab. Unter der Leitung dieses „Kommunistenreinigers“ habe eine „folgerichtige Entwicklung zum Fascismus“ eingesetzt. Um nicht auf die Stimmen der Kommunisten im Dessauer Gemeinderat angewiesen zu sein, habe Mies van der Rohe gehofft,

„daß Gruppen, wie etwa die Wirtschaftspartei, für die Erhaltung des Hauses zu bewegen sein würden, wenn es mit eisernem Besen von allem gesäubert würde, was im Verdacht stand, kommunistisch zu sein. Man zog, weil man die wirklichen Gründe nicht offen bekanntgeben konnte, alle mögliche Anschuldigungen an den Haaren herbei, um gegen die als revolutionär bekannten Studierenden vorzugehen“.

Ernst Blumenthal: „Das Schicksal des Bauhauses“, Nr. 28, 12.7.1932, S. 86

So seien 16 Studenten entlassen worden, weil sie eine Einschränkung ihrer Rechte nicht hätten hinnehmen wollen. Blumenthal kam zu dem Schluss:

„Keiner der beteiligten Meister, weder Mies, noch Kandinsky, noch Albers, ist offener Fascist. Indem sie aber dem fascistischen Druck weichen und das Haus den Erfordernissen des Dritten Reiches anpassen, unterstützen sie in Wirklichkeit den Fascismus.“

Ebd.

Die Strategie blieb jedoch erfolglos. In ihrer „Wochenschau des Rückschritts“ hielt die „Weltbühne“ am 26. Juli 1932 fest:

„Im dessauer Gemeinderat hat nunmehr die Nazifraktion einen Antrag auf Schließung des Bauhauses zum 1. Oktober eingebracht. Der Antrag wird vermutlich mit den Stimmen der bürgerlichen Stadtverordneten angenommen werden.“

„Wochenschau des Rückschritts“, Nr. 30, 26.7.1932, S. 141

Wenige Wochen später schrieb Walter Mehring in seinem Artikel „Rückkehr zur Lebensfreude“ einen Satz, der von seiner Aktualität nichts eingebüßt zu haben scheint:

„Mehr und mehr bin ich davon überzeugt, daß die Aufgaben, die einst der augenblicklich jüngsten, spätestens aber der folgenden Generation zufallen werden, nicht so sehr in der Übertrumpfung unsrer Wirtschafts- und Schnelligkeitsrekorde als in der Wiedereroberung der persönlichen Freiheit bestehen werden.“

Walter Mehring: „Rückkehr zur Lebensfreude“, Nr. 33, 16.8.1932, S. 234

Mit Blick auf die Ereignisse in Dessau konstatierte er Mitte August 1932:

„Wie gefährlich die Unterschätzung der kritischen Vernunft, ja auch der Ästhetik war, lehrt jetzt der ‚Aufbauwille‘ der Gegenseite: Niederreißung des Dessauer Bauhauses, Ausschluß aller des Kulturbolschewismus, das heißt: des Denkens Verdächtigen, also – durch Verfolgung – negative Anerkennung vieler Linkskräfte, die bureaukratischer Parteihader dem eignen Lager entfremdet hatte.“

Ebd.

Zwei Wochen später hieß es in der „Wochenschau des Rückschritts“:

„Der Gemeinderat von Dessau hat den nationalsozialistischen Antrag auf Schließung des Bauhauses zum 1. Oktober angenommen.“

„Wochenschau des Rückschritts“, Nr. 35, 30.8.1932, S. 329

Doch schon eine Woche stellte der Architekturkritiker Werner Hegemann eine gewisse Reue in der konservativen Presse über die Schließung der Schule fest. „Nicht eine politsche Partei hat gesiegt sondern Kurzsichtigkeit, eine Eigenschaft jener Geister, die in politisch noch nicht geformten Zeiten sich gern als Regierende aufspielen“, zitiert er aus der Deutschen Allgemeinen Zeitung (DAZ). Zwar macht sich Hegemann in dem Text über Hitlers Buch „Mein Kampf“ lustig, „in deren Kloake er alle Lesefrüchte zusammenpanschte, die er halbverdaut wieder von sich geben musste“. Doch hielt er es am Ende für möglich, dass die Nationalsozialisten ebenso wie die Faschisten in Italien und die katholische Kirche für einen modernistischen Baustil entscheiden könnten.

„Wenn Hitler sich sein Präsidenten-Palais in Berlin errichten läßt, wird es sicher von Mies van der Rohe im dessauer Bauhausstil gebaut werden. Vorausgesetzt, daß man ihm ungestört die gesamte politische Macht einräumt, wird Adolf wie Mussolini und Friedrich der Große Geistesfreiheit gewähren.“

Werner Hegemann: „Nazi-Reue über Dessau“, Nr. 36, 6.9.1932, S. 369

Das war eine eklatante Fehleinschätzung, wie sich wenige Monate später herausstellen sollte. Aber schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 erklärte die „Weltbühne“ das Bauhaus für gescheitert. „Aus dem Bauhaus Dessau ist nunmehr ein ‚Unternehmen‘ des Herrn Mies van der Rohe geworden, das zwar aus spekulativen Gründen den Namen Bauhaus führt, von dem Geist dieser Schule aber nichts mehr spüren läßt. Das einzige Recht, das den Studierenden an dieser einstmals freien Schule geblieben ist, besteht darin, daß sie jährlich 300 bis 600 Mark an das Institut abzuführen haben“, schrieb Walther Karsch, der spätere Mitbegründer des Berliner Tagesspiegels. Sein abschließendes Urteil:

„Das Bauhaus galt bisher als die fortschrittlichste Kunstschule der Welt. Das Bauhaus ist tot. Der größte Teil, der Kunstschulen in Deutschland ist heute bereits fortschrittlicher als das Unternehmen Mies van der Rohes in Steglitz.“

„Antworten“, Nr. 51, 20.12.1932, S. 923

Doch damit war für die „Weltbühne“ das Kapitel Bauhaus noch nicht abgeschlossen. Die letzte Erwähnung der Kunstschule findet sich im vorletzten Text Behnes mit dem Titel „Wie werde ich deutsch und lebendig?“. In dem Text vom 17. Januar 1933 geht es um drei Ausstellungen, die die Kunstsammler Grete Ring, Paul Cassirer und Alfred Flechtheim von Dezember 1932 bis Februar 1933 in Berlin organisierten. Behle lobte darin:

„Die erste Abteilung haben sie jetzt mit Baumeister, Belling, Campendonck, Dix, Feininger, Fiori, Garbe, Grosz, Kandinsky, Kirchner, Klee, Levy, Nauen, Purrmann, Röder, Schlemmer, Sintenis und E. R. Weiß eröffnet. Es ist eine durchaus sehenswerte Ausstellung geworden, in der Schlemmers blendende ‚Bauhaustreppe‘ den Ehrenplatz hat.“

Adolf Behne: „Wie werde ich lebendig und deutsch?“, Nr. 03, 17.1.1933, S. 104

Ein durchaus passender Abschluss der kritischen Begleitung des Bauhauses durch die „Weltbühne“. Denn Oskar Schlemmer hat sein berühmtes Gemälde als Protest gegen die Schließung des Bauhauses in Dessau gemalt.

Nun ereilte die Zeitschrift selbst dieses Schicksal. Im März 1933 hätte sie sich selbst in die „Wochenschau des Rückschritts“ eintragen müssen.

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