5.1.2015

Die Rettung des Schwejk

Kurt Tucholsky gehörte zu den frühen deutschsprachigen Fans des Schwejk, den er in Auszügen schon in einer Humoranthologie Roda Rodas (Band 6) entdeckt hatte:

Hervorzuheben die kleine Erzählung eines Tschechen: Hascheks, ich habe den Namen nie gehört. Sie ist das Muster einer politischen Satire, von einer Bitterkeit, die doppelt wirkt, weil sie eingemummelt ist in sanfte Blödheit, die scheinbar von nichts nicht weiß. Was ist das für ein Mann -?

schrieb er im Dezember 1925 in der Weltbühne. Hätte Tucholsky das Konkurrenzblatt Tagebuch gelesen, wäre ihm 1923 vielleicht schon der Nachruf Egon Erwin Kischs auf den früh gestorbenen Schwejk-Erfinder Jaroslav Haschek aufgefallen. So aber stellte ein Weltbühne-Leser den Autor und dessen Hauptwerk im April 1926 mit den Worten vor:

Seit Jahrzehnten ist kein tschechisches Buch so gelesen und so gekauft worden. Es ist kaum zu übersetzen, und das ist schade. Denn aus diesem Buch kann man den Krieg kennen lernen, wie er wirklich gewesen ist. Karel [sic] Haschek war ein Vollblut-Tscheche und eine Vollblut-Europäer.

in: »Antworten«: Peter Panter, Die Weltbühne, 6.4.1926, S. 557 f.

Richtig populär wurde der »brave Soldat« auch in Deutschland, als der erste von vier Bänden übersetzt wurden. Die Übersetzerin Grete Reiner hatte ihr Werk zuvor schon den Lesern der Weltbühne angekündigt und sehr selbstbewusst der Einschätzung des zitierten Lesers widersprochen:

Der Schreiber dieser begeisterten Zeilen hat nur zum Teil recht, nämlich in Bezug auf die einzigartige Bedeutung dieses Werkes. Dagegen irrt er ein wenig, wenn er dieses köstliche Buch für unübersetzbar hält und bedauert, dass es dem deutschen Publikum dauernd entzogen bleiben soll. Ich habe es übersetzt und soeben im Verlag A. Synek zu Prag erscheinen lassen.

in: »Antworten«: Grete Reiner in Prag, Die Weltbühne, 27.4.1926, S. 676

Keine Frage, dass sich Tucholsky alias Peter Panter sogleich auf die Übersetzung stürzte und sie wenige Wochen später ausführlich rezensierte.

Obwohl er kein Tschechisch konnte, war er von der Leistung Reiners nicht überzeugt:

Das Buch ist aus dem Tschechischen ins Deutsche übertragen worden – soweit ich das beurteilen kann, nicht sehr glücklich. Vielleicht ist es gut übersetzt, aber der Eindruck dieses Jargons, den Schwejk spricht, ist nicht lustig. Seine Grammatik ist farblos und steht in gar keinem Verhältnis zu den herrlichen Sachen, die er zusammenphilosophiert – man ahnt, was einem da Alles verloren gegangen sein mag. Ich gebe zu: dergleichen überträgt sich nicht. »Du bist woll mit de Muffe jebufft?« heißt nicht: »Hat Sie Jemand unsanft mit einem Pelzmuff angerührt?« – sondern etwas anders. Und das bleibt freilich am Bodensatz des Dialekts kleben, es kommt nicht herauf, und hier steckt die Tragik des Buches.

Auch den zweiten Band nahm er sich direkt nach dem Erscheinen vor. Darin kanzelte er Reiner noch schärfer ab:

Gott weiß, was uns durch diese unmögliche Übersetzung verloren geht – aber es bleibt noch genug.

Dieses »genug« reichte immerhin aus, dass bis vor kurzem keine weitere deutsche Übersetzung des Schwejk gegeben hat.

Ein Makel, den nun der 1962 in Prag geborene Übersetzer Antonín Brousek beseitigt hat. Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg sind zwar schon im vergangenen Jahr bei Reclam erschienen, werden aber weiterhin fleißig in den Feuilletons besprochen. Darin geht es unter anderem um die Frage, wie »kongenial« Reiners Übersetzung war, oder, besser gesagt, wie sehr sie das Werk verfremdete und umdeutete. Reiner ließ den Schwejk »böhmakeln«, laut Wikipedia ein »gesprochenes Deutsch mit auffallendem ›böhmischen‹ Akzent«. Als deutscher Leser nimmt man nun mit Erstaunen zur Kenntnis, dass eine solche Sprechweise überhaupt nicht dem Original entspricht. Mit den Worten Brouseks:

Grete Reiner hat sich mit ihrem »Böhmakeln« etwas Neues ausgedacht. Dabei hat sie das Buch nicht übersetzt, sondern interpretiert und umgeschrieben und damit ein eigenständiges Werk geschaffen. Das bedeutet, die deutsche Fassung entsprach nicht nur nicht der tschechischen, sondern war auch noch eine eigenständige neue Interpretation, die mit dem Original nur bedingt etwas gemeinsam hat. […]

Hašeks Roman ist im Original in einem modernen Umgangstschechisch geschrieben. Es musste also ein modernes Umgangsdeutsch her. Das Buch enthält teilweise altertümelnde Begriffe, aber in der Regel reden alle Leute völlig normal. Das heißt, es ist genau umgekehrt zu Grete Reiner. […]

Alle Dialoge sind in einem normalen Umgangstschechisch verfasst, das auch »Schwejk« spricht. Die einzigen, die im Roman komisch sprechen, sind die Deutschen, denn diese können kein richtiges Tschechisch – und sobald sie versuchen Tschechisch zu sprechen, hört sich dies lächerlich an.

Brousek gibt im Interview mit Radio Prag der Kritik Tucholskys an der merkwürdigen Sprache der Protagonisten ausdrücklich recht:

Ich finde es erstaunlich, dass Tucholsky damals fast als Einziger dies bemerkte, obwohl er kein Tschechisch sprach. Den meisten gefiel Reiners Übersetzung bei der Veröffentlichung. Bert Brecht fand die Übersetzung beispielsweise urkomisch. Doch Kurt Tucholsky hat es richtig beschrieben, die Übersetzung ist in gewissem Sinne »unmöglich«.

Gut möglich ist aber, dass Reiner auch inhaltlich in den Roman eingriff. So schimpft Schwejk bei Brousek über die Deutschen: »Das sind solche Drecksäcke, wie sonst keiner auf der Welt.« Diese Passage zu Beginn des Buches findet sich bei Reiner nicht, wie die Berliner Zeitung kritisch bemerkt:

Bisher war dieser Satz, gesprochen zum Auftakt des Romans im Wirtshaus Zum Kelch, allen Lesern des Svejk bekannt – nur den titulierten Drecksäcken nicht. Denn in der einzigen deutschen Übertragung des Romans von 1926 und sämtlichen Neuauflagen fehlen diese Worte.

Kein Wunder, dass die Rezensenten die neue Übersetzung als »bahnbrechend« (Berliner Zeitung) und »überfällige Rettung eines modernen Klassikers aus dem K.-u.-k.-Komödienstadel« (Tagesspiegel) loben.

Umso besser, dass Brousek die Lorbeeren für sein Werk noch zu Lebzeiten ernten kann. Nicht nur die Schwäbische Zeitung hat ihn mit einem Namensvetter verwechselt und bereits 2013 sterben lassen. Auch der Katalog der Deutschen Nationalbibliothek schreibt dem gleichnamigen Dichter und Literaturkritiker Brousek die neue Schwejk-Übersetzung zu. Wie quicklebendig der Übersetzer und laut Reclam in Berlin lebende Richter Brousek ist, zeigte er auch auf einer Lesung während der Leipziger Buchmesse 2014.

Startseite

Powered by WordPress