15.12.2007

Texte zum Anprangern

In Stockholm gibt es ein Museum, das sich mit der Geschichte des Nobelpreises befasst. Die Welt hat sich das Nobelmuseum angeschaut. Das Herz der Ausstellung bilde die Sammlung Cultures of Creativity, schreibt Autorin Karin Schumann in ihrem Text „In Stockholm gibt es Genies zum Anfassen“. Obwohl die Friedensnobelpreise in Oslo verliehen werden, widmet sich die Ausstellung auch den Trägern dieses Preises. Und wie:

Das Museum scheut sich dabei nicht, auch Kontroversen aufzuzeigen. So wurde der Friedensnobelpreisträger von 1935, Carl von Ossietzky, schon von seinem Zeitgenossen Kurt Tucholsky als „Märtyrer ohne Wirkung“ angeprangert. Der Publizist von Ossietzky hatte 1931 die verbotene Aufrüstung der Reichswehr aufgedeckt und immer wieder die Weimarer Republik kritisiert. Später starb er an den Folgen seiner KZ-Haft.

Erstmal tief Luft holen – und dann der Reihe nach.

Das Museum schreckt also vor „Kontroversen“ nicht zurück. Aber worin bestand diese Streitfrage im Fall Ossietzky? Vielleicht darin, dass der letzte Herausgeber der Weltbühne sich freiwillig in ein sinnloses Martyrium begeben hat? Und dafür auch noch geehrt werden sollte? Sonst hätte Tucholsky das sicher nicht „angeprangert“.

Nun hat zum einen die Forschung bislang noch gar nicht klären können, ob Ossietzky bewusst in Nazi-Deutschland geblieben ist. Es spricht einiges dafür, dass er einer Flucht nicht abgeneigt war, aber den richtigen Zeitpunkt verpasste.

Zum anderen konnte Tucholsky in seinem damaligen Aufenthaltsort in Zürich sicher nicht wissen, wie freiwillig Ossietzky dieses Martyrium auf sich genommen hat. Er beklagte daher dessen

merkwürdig lethargische Art, die ich nicht verstanden habe, und die ihn wohl auch vielen Leuten, die ihn bewundern, entfremdet. Es ist sehr schade um ihn. Denn dieses Opfer ist völlig sinnlos. Mir hat das mein Instinkt immer gesagt: Märtyrer ohne Wirkung, das ist etwas Sinnloses. Ich glaube keinesfalls, daß sie ihm etwas tun, er ist in der Haft eher sicherer als draußen.

Aber an welchem „Pranger“ hat Tucholsky dies kundgetan? In einem persönlichen Brief an seinen Freund Walter Hasenclever. Es davon auszugehen, dass Schumann und die Welt-Redaktion unter einem Pranger auch eher ein öffentliches Instrument verstehen, um Menschen bloßzustellen. Zwar hat sich Tucholsky bisweilen in Briefen über Ossietzky beschwert. Aber er hat ihn nie als Herausgeber der Weltbühne öffentlich angegriffen oder ihm gar in der Presse vorgeworfen, den Nazis in die Hände gefallen zu sein. Im Gegenteil. Zum einen hat er sich in einem Brief an das Nobelkomitee für die Verleihung des Nobelpreises an Ossietzky eingesetzt. Zum anderen entschied er sich 1935 dazu, sein seit Jahren währendes öffentliches Schweigen zu brechen und sein literarisches Idol Knut Hamsun anzuprangern, weil dieser Ossietzky als Pazifisten attackiert hatte.

Oder besteht die Kontroverse etwa darin, dass Ossietzky „1931 die verbotene Aufrüstung der Reichswehr aufgedeckt und immer wieder die Weimarer Republik kritisiert“ hatte – und trotzdem einen Friedensnobelpreis erhielt? Zunächst gilt dabei festzuhalten, dass der Journalist und Flugzeugkonstrukteur Walter Kreiser bereits 1929 in der Weltbühne den verbotenen Aufbau einer deutschen Luftwaffe aufdeckte und zusammen mit Ossietzky dafür im November 1931 wegen Spionage zu 18 Monaten Haft verurteilt wurde. Warum das Verfahren mehrere Jahre dauerte, ist eine lange Geschichte. Für die Nazis war Ossietzky daher stets der verbrecherische „Landesverräter“, der zurecht in „Schutzhaft“ genommen worden war. Und dass Ossietzky wohl Grund hatte, „immer wieder“ die Weimarer Republik zu kritisieren, zeigt sich schon daran, dass die Nazis schließlich an die Regierung gelangen konnten. Was sie ihm mit brutalsten Schikanen und Misshandlungen in der KZ-Haft dankten.

An deren Folgen er 1938 tatsächlich gestorben ist.

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