Brief an Marierose Fuchs (28.7.1930)

An Marierose Fuchs

Post: Weltbühne

28.7.1930
Verehrteste,
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – … – – – – – – – – – – – – – – – – – … – – – – – und aus diesen Gründen konnte ich nicht eher schreiben.
Ernsthaft: Ich hoffe, daß es Ihnen wesentlich besser geht als mir. Damit mag ich Sie nicht langweilen; Männer, die sich um ihre Gesundheit haben, sind ein restlos komischer Anblick. Es ist auch schon besser. Ich bin – viel zu spät – in einen Salatkasten gegangen, und hier haben sie mich – bei Luzern – ein wenig aufgemöbelt. Nun aber zu Ihren Briefen:
Dank vor allem für alle Ihre guten Wünsche! Ich hoffe vor allem, daß es Ihrer Frau Mutter besser geht. Und wie ist es denn mit dem Garten geworden?
Ich picke, wie die Hühner im Salatgarten, in Ihren Briefen. «Marosie» dürfen leider nur Sie zu sich sagen – also, geehrtes Frollein: wenn ein Mann «immer» sagt, ist das «immer» faul. Ich sags nicht mehr. Bei Sachen manchmal und sehr vorsichtig; bei Menschen kaum noch. Und ohne alle Bitterkeit nicht. Wodurch einem mitunter sehr wohlschmeckende Dinge entgehen. Aber mitnichten: «Sie ist» steht irgendwo, «vielen Männern nacheinander treu.» Das gibts.
Um zu Ernsthafterem überzugehen: Was Sie da von dem Stadion schreiben, war sehr hübsch – noch hübscher und ganz reizend die kleine Scene auf dem Wohltätigkeitstee in der Wilhelmstraße. So sollten Sie schreiben! Schade, daß ich das nicht gesehen habe; ich hätte da gern ein klein Blümlein an den Rand gesetzt. Zu herzig, diese Wohltätigkeit!
Wobei ich denn gleich anmerke: Sie schießen manchmal, aber nur manchmal, in Ihren Briefen an mich zu tief. Ich freue mich natürlich sehr, wenn Sie so viel gute Laune aufbringen, wenn Sie von dem katholischen Kitsch sprechen – aber nie, nie fiele es mir ein, solche Bonbonbilder mit der Idee dieser Religion zu identificieren. Es ist ein bißchen reichlich davon da, was ich den «Vulgärkatholicismus» nennen möchte – aber das hat doch mit den Visionen des Loyola und den großen Päpsten kaum noch etwas gemein. So simpel wollen wir uns das nicht machen. Ob diese Bilder einmal besser werden oder nicht …
Das ist es nicht. Es ist etwas andres.
Es ist immer wieder das Politische. Wenn ernste und große katholische Männer über ihre Religion sprechen und nur über diese, so schweige ich. Ich bin nicht einverstanden – insbesondere finde ich, daß zum Beispiel Nietzsche bei Euch gradezu gotteslästerlich flach abgetan worden ist, nein, nicht abgetan – kaum begriffen … ich kann auch nicht mitspielen, wenn ich in einer Arbeit über den Hinduismus lesen muß, daß jede Religion auf der Welt naturaliter catholica sein soll – aber das ist ein geistiger Kampf.
Hingegen zu sehen, wie in den kleinen Ortsparlamenten das Mulmigste, Muffigste, Dämlichste und Dummdreisteste sehr oft aus dem Zentrum kommt, von einem stramm katholischen Bäckermeister und diesen fürchterlichen Bürgerweibern, die durch die Aufhebung der segensreichen Familienbäder die Sittlichkeit retten … also das spiele ich nicht mit. Sie vielleicht –?
Da sitzt es. Von der Haltung der Partei den Hitlerleuten gegenüber will ich gar nicht reden. Wären die nicht so gottverlassen dumm, ein «Rom» zu bekämpfen, das sie gar nicht kennen – es sähe anders aus. Denn liest man schon mal was in den Zentrumsblättern gegen den Kaiser und die Zeit vor dem Kriege, dann steht da bestimmt an irgend einer Stelle das kleine Wörtlein «protestantisch» – es ist böseste Vereinsmeierei. Und wenn ich das sage, dann kriege ich ein Kreuz um die Ohren – also: nein.
Ja, also so sollten Sie schreiben wie in diesen Briefen – das über den katholischen Kitsch ist beinah druckreif. (Keine Sorge. Ich werde niemals irgend etwas, was Sie mir schreiben, drucken lassen.) Was Sie in die Zeitung setzen lassen – ja – hm – schlecht ist es nicht. Aber es ist viel verschwommener, als die Briefe. Wäre ich Redakteur, so erlaubte ich nicht, daß eine bei mir «Menschlicher Ausklang» schreibt. «Menschlich» ist ein Modewort und heißt alles und nichts. Nun – ich bin nicht Ihr Schulmeister.
Über vieles andere kann ich nicht schreiben; darüber müßte man sprechen. Das ist nun nicht ganz leicht. Ich gehe von hier entweder in die hohen und allerhöchsten Berge, zwecks Nachkur – oder nach Frankreich oder direkt zurück nach Schweden. Sollte ich über Berlin kommen, was ich nur tue, wenn ich muß, und sollte ich mich da aufhalten, dann melde ich mich bei Ihnen. Händedruck für die «Angst» – nein, Angst sollen Sie gewiß nicht um mich haben; die Ärzte haben sich hier sehr verständig benommen und etwas von Drüsentätigkeit gemurmelt, aber jedenfalls etwas gebessert.
Ich habe dieser Tage das Buch von Hoeber über Sonnenschein gelesen. Ich werde es besprechen. Sie werden damit nicht zufrieden sein. Das Buch hat Pech gehabt: daneben lag eines von Barbusse über Georgien. Liebe Fuchs – «Wohltaten in einem wohlgeordneten Staate sind nicht angebracht» spricht Multatuli. Und es erscheint mir größer, die Ausbeutung zu verhindern als dann, wenn sie geschehen ist, betteln zu gehen und – in allerreinster, in allerbester, in alleredelster Absicht – zu helfen. Wenn es meist zu spät ist. Besser als nichts ists schon. Aber den Arbeitern wird nicht mit Wohltätigkeitstees geholfen. Das hat Sonnenschein gewußt. Wie ich überhaupt immer den Eindruck habe: wenn der kein Priester gewesen wäre, hätte er die socialen Zusammenhänge zu Ende gedacht. Dies bricht immer in der Mitte ab. Hunger – Not lindern – keine Seelen fangen – Güte – Milde – keine Weichlichkeit – … alles gut und schön. Aber nie, nie ein Wort gegen den Hüttenbesitzer und die tausend untätiger Erben, die den Grund und Boden besitzen, nur, weil sie ihn besitzen. Das war wohl nicht seine Aufgabe …
Ich wünsche Ihnen einen guten Sommer. Und gute Erholung. Und gutes Wetter. Und Stille innen und draußen.
Und denken Sie auch mal
an Ihren Sie herzlichst grüßenden
Tucholsky.

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1.1.2004

Brief an Marierose Fuchs (28.7.1930)

An Marierose Fuchs

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Verehrteste,
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Ernsthaft: Ich hoffe, daß es Ihnen wesentlich besser geht als mir. Damit mag ich Sie nicht langweilen; Männer, die sich um ihre Gesundheit haben, sind ein restlos komischer Anblick. Es ist auch schon besser. Ich bin – viel zu spät – in einen Salatkasten gegangen, und hier haben sie mich – bei Luzern – ein wenig aufgemöbelt. Nun aber zu Ihren Briefen:
Dank vor allem für alle Ihre guten Wünsche! Ich hoffe vor allem, daß es Ihrer Frau Mutter besser geht. Und wie ist es denn mit dem Garten geworden?
Ich picke, wie die Hühner im Salatgarten, in Ihren Briefen. «Marosie» dürfen leider nur Sie zu sich sagen – also, geehrtes Frollein: wenn ein Mann «immer» sagt, ist das «immer» faul. Ich sags nicht mehr. Bei Sachen manchmal und sehr vorsichtig; bei Menschen kaum noch. Und ohne alle Bitterkeit nicht. Wodurch einem mitunter sehr wohlschmeckende Dinge entgehen. Aber mitnichten: «Sie ist» steht irgendwo, «vielen Männern nacheinander treu.» Das gibts.
Um zu Ernsthafterem überzugehen: Was Sie da von dem Stadion schreiben, war sehr hübsch – noch hübscher und ganz reizend die kleine Scene auf dem Wohltätigkeitstee in der Wilhelmstraße. So sollten Sie schreiben! Schade, daß ich das nicht gesehen habe; ich hätte da gern ein klein Blümlein an den Rand gesetzt. Zu herzig, diese Wohltätigkeit!
Wobei ich denn gleich anmerke: Sie schießen manchmal, aber nur manchmal, in Ihren Briefen an mich zu tief. Ich freue mich natürlich sehr, wenn Sie so viel gute Laune aufbringen, wenn Sie von dem katholischen Kitsch sprechen – aber nie, nie fiele es mir ein, solche Bonbonbilder mit der Idee dieser Religion zu identificieren. Es ist ein bißchen reichlich davon da, was ich den «Vulgärkatholicismus» nennen möchte – aber das hat doch mit den Visionen des Loyola und den großen Päpsten kaum noch etwas gemein. So simpel wollen wir uns das nicht machen. Ob diese Bilder einmal besser werden oder nicht …
Das ist es nicht. Es ist etwas andres.
Es ist immer wieder das Politische. Wenn ernste und große katholische Männer über ihre Religion sprechen und nur über diese, so schweige ich. Ich bin nicht einverstanden – insbesondere finde ich, daß zum Beispiel Nietzsche bei Euch gradezu gotteslästerlich flach abgetan worden ist, nein, nicht abgetan – kaum begriffen … ich kann auch nicht mitspielen, wenn ich in einer Arbeit über den Hinduismus lesen muß, daß jede Religion auf der Welt naturaliter catholica sein soll – aber das ist ein geistiger Kampf.
Hingegen zu sehen, wie in den kleinen Ortsparlamenten das Mulmigste, Muffigste, Dämlichste und Dummdreisteste sehr oft aus dem Zentrum kommt, von einem stramm katholischen Bäckermeister und diesen fürchterlichen Bürgerweibern, die durch die Aufhebung der segensreichen Familienbäder die Sittlichkeit retten … also das spiele ich nicht mit. Sie vielleicht –?
Da sitzt es. Von der Haltung der Partei den Hitlerleuten gegenüber will ich gar nicht reden. Wären die nicht so gottverlassen dumm, ein «Rom» zu bekämpfen, das sie gar nicht kennen – es sähe anders aus. Denn liest man schon mal was in den Zentrumsblättern gegen den Kaiser und die Zeit vor dem Kriege, dann steht da bestimmt an irgend einer Stelle das kleine Wörtlein «protestantisch» – es ist böseste Vereinsmeierei. Und wenn ich das sage, dann kriege ich ein Kreuz um die Ohren – also: nein.
Ja, also so sollten Sie schreiben wie in diesen Briefen – das über den katholischen Kitsch ist beinah druckreif. (Keine Sorge. Ich werde niemals irgend etwas, was Sie mir schreiben, drucken lassen.) Was Sie in die Zeitung setzen lassen – ja – hm – schlecht ist es nicht. Aber es ist viel verschwommener, als die Briefe. Wäre ich Redakteur, so erlaubte ich nicht, daß eine bei mir «Menschlicher Ausklang» schreibt. «Menschlich» ist ein Modewort und heißt alles und nichts. Nun – ich bin nicht Ihr Schulmeister.
Über vieles andere kann ich nicht schreiben; darüber müßte man sprechen. Das ist nun nicht ganz leicht. Ich gehe von hier entweder in die hohen und allerhöchsten Berge, zwecks Nachkur – oder nach Frankreich oder direkt zurück nach Schweden. Sollte ich über Berlin kommen, was ich nur tue, wenn ich muß, und sollte ich mich da aufhalten, dann melde ich mich bei Ihnen. Händedruck für die «Angst» – nein, Angst sollen Sie gewiß nicht um mich haben; die Ärzte haben sich hier sehr verständig benommen und etwas von Drüsentätigkeit gemurmelt, aber jedenfalls etwas gebessert.
Ich habe dieser Tage das Buch von Hoeber über Sonnenschein gelesen. Ich werde es besprechen. Sie werden damit nicht zufrieden sein. Das Buch hat Pech gehabt: daneben lag eines von Barbusse über Georgien. Liebe Fuchs – «Wohltaten in einem wohlgeordneten Staate sind nicht angebracht» spricht Multatuli. Und es erscheint mir größer, die Ausbeutung zu verhindern als dann, wenn sie geschehen ist, betteln zu gehen und – in allerreinster, in allerbester, in alleredelster Absicht – zu helfen. Wenn es meist zu spät ist. Besser als nichts ists schon. Aber den Arbeitern wird nicht mit Wohltätigkeitstees geholfen. Das hat Sonnenschein gewußt. Wie ich überhaupt immer den Eindruck habe: wenn der kein Priester gewesen wäre, hätte er die socialen Zusammenhänge zu Ende gedacht. Dies bricht immer in der Mitte ab. Hunger – Not lindern – keine Seelen fangen – Güte – Milde – keine Weichlichkeit – … alles gut und schön. Aber nie, nie ein Wort gegen den Hüttenbesitzer und die tausend untätiger Erben, die den Grund und Boden besitzen, nur, weil sie ihn besitzen. Das war wohl nicht seine Aufgabe …
Ich wünsche Ihnen einen guten Sommer. Und gute Erholung. Und gutes Wetter. Und Stille innen und draußen.
Und denken Sie auch mal
an Ihren Sie herzlichst grüßenden
Tucholsky.

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