19.10.2010

Der Gendarmeriekommissar von Hildburghausen

In seiner Zeitgeschichte-Rubrik Eines Tages hat Spiegel Online erläutert »Wie Hitler Deutscher wurde«. Autorin Johanna Lutteroth schreibt darin über die Einbürgerung Adolf Hitlers:

Hitler aber war staatenlos, nachdem er 1925 auf seine österreichische Staatsbürgerschaft verzichtet hatte. Sechsmal hatte er seitdem versucht, in den Besitz des deutschen Passes zu kommen. Jedes Mal war er am Widerstand der demokratischen Institution gescheitert […]. Mittlerweile [Anfang 1932] hatte auch die Presse Wind von den verzweifelten Einbürgerungsversuchen Hitlers bekommen und machte sich gehörig darüber lustig.

Das klingt so, als hätten die deutschen Behörden jahrelang das Richtige gemacht, um den Aufstieg Hitlers nach ihrer Möglichkeit einzudämmen. Auch scheint es, als habe die Presse vorher davon nichts erfahren und kaum darüber berichtet. Das trifft beides nicht zu. Denn die Behörden hätten noch ganz anders mit Hitler umgehen können. Darauf wies die Weltbühne schon kurz vor der Posse von Hildburghausen hin. Herausgeber Carl von Ossietzky fragte im Juni 1930:

Warum hat eigentlich noch keine deutsche Regierung daran gedacht, Herrn Adolf Hitler aus Braunau (Tschechoslowakei) endlich des Landes zu verweisen? […] Wie hart können die Behörden nicht sonst gegen Ausländer sein, wenn es sich um kleine Paßvergehen oder um bescheidene politische Betätigung handelt. Nur der große Adolf darf seit zehn Jahren unbehindert Aufruhr und Hochverrat predigen und praktisch ausüben und die Losungen ausgeben für die Bluttaten, die sich tagtäglich auf der Straße und in Versammlungen wiederholen. […] Hitler selbst versucht ja seit Jahren mit den verschiedensten Mitteln seine Einbürgerung durchzusetzen, es ist ihm immer wieder mißlungen, und selbst sein Freund Frick hat es nicht schaffen können. Die Regierungen drücken sich davor, Herrn Hitler zum deutschen Staatsbürger zumachen, was ihn erst zur politischen Betätigung qualifizieren würde. Eine wenig tapfere Halbheit. Man wagt ihn weder auf Schub zu bringen noch als Mitbürger anzuerkennen; man läßt den Landfremden ungestört herumtoben und für sich und seine Komitatschis Ansprüche auf Alleinherrschaft proklamieren. Das Gesetz ist nur gegen Schwache schrecklich. Hat Einer seine Prügelgarden hinter sich und eine große nationale Schnauze, so ist er gegen das gemeine Schicksal gefeit.
»Der Pabst«, in: Die Weltbühne, 26. Jg., Nr. 26 (24.6.1930), S. 937–939

Auf die Möglichkeit der Ausweisung pochte die Zeitschrift noch einige weitere Male. Ossietzkys Begründung lautete: »Diejenigen, die immer Zucht und Disziplin und Unterwerfung auch unter die rigorosesten Gesetze fordern, sollen selbst einmal das vom Staate spüren, was sie gegen andre verlangen.« Doch der Staat dachte nicht daran, seine eigenen Gesetze im Falle Hitlers anzuwenden.

Im Februar 1932 kam auch Ossietzky auf die Posse um den Gendarmeriekommissar von Hildburghausen zu sprechen. Anders als in Hitlers Kalkül, der seine österreichische Staatsbürgerschaft auch deshalb zurückgegeben haben soll, um nicht in sein Heimatland abgeschoben werden zu können, dachte Ossietzky über die Ausweisung Staatenloser wohl anders. In seinem Leitartikel »Der Staatenlose« schrieb er:

Das Reichsinnenministerium hat der Öffentlichkeit ein paar Dokumente übergeben, aus denen ersichtlich wird, in welcher Weise Herr Frick als thüringischer Minister seinem Chef das deutsche Staatsbürgerrecht verschaffen wollte. Frick hat vom münchner Polizeipräsidium her noch einige Übung in solchen Dingen. Adolf Bonaparte sollte als Gendarmeriekommissar in Hildburghausen anfangen.

Das ist gewiß recht komisch, denn selten deckten sich Mann und Amt so sehr. Aber der Heiterkeitserfolg wird bald verrauscht sein, und wenn diese Zeilen im Druck erschienen sind, wird sich das Braune Haus vielleicht schon durch eine Enthüllung über seine Gegner revanchiert haben, und dann lacht halt die andre Seite, und wir sind nicht viel weitergekommen.

Denn auch diese Einbürgerungskomödie zeigt nur die Schwäche und Inkonsequenz der Reichsregierung. Dieser Herr Hitler ist staatenlos, gehört also einem sonst ganz besonders unseligen Menschenschlag an, der das ewige Freiwild der internationalen Polizei ist und für jede Amtsperson, wie in frühem Zeiten die Dirne, die rote Lilie auf der Schulter trägt. Und dieser eine Staatenlose wirft sich zum Parteihaupt auf, er unterhält eine Privatarmee von 300 000 Mann, er schickt Emissäre in fremde Hauptstädte, welche die offizielle Außenpolitik zu durchkreuzen suchen, man verhandelt mit ihm als gleichberechtigter Macht, er versichert seine Legalität, während seine Anhänger Pläne zur Abschlachtung einiger zehntausend deutscher Staatsbürger entwerfen, er frühstückt mit den Reichswehrgewaltigen, er wird vom Reichspräsidenten empfangen. Eine anständige Karriere für einen Menschen ohne Staatszugehörigkeit.

Ich glaube, es gibt hier nur zwei Möglichkeiten: Hitler wird entweder eingebürgert oder ausgewiesen. Was das Reichsinnenministerium unternimmt, ist nur eine kleine Neckerei und durchaus nicht geeignet, die Autorität wieder aufzurichten. Herr Hitler wird an ein kleines Manko in seinen Papieren erinnert. Ein Manko, das sich mit hundertsechs Parteigängern im Parlament und einer einexerzierten Halsabschneidertruppe schon ertragen läßt.

Wenige Tage später, am 26. Februar 1932, war Hitler dieses Manko los. Aber kaum vorstellbar, dass er auch ohne deutschen Pass jemals ausgewiesen worden wäre. Die Weimarer Republik bezahlte ihre »Schwäche und Inkonsequenz« lieber mit ihrem Ende.

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