25.11.2008

Mit Schmus und Zitatenschatz (2)

Wenn es darum geht, in einen Kommentar ein böswilliges Zitat über die SPD einzuflechten, wird man bei Tucholsky schnell fündig. Das dachte sich wohl auch Manfred Bleskin vom Laufbandsender n-tv, der in seinem Beitrag »Der nibelunge nôt« über den drohenden Hinauswurf Wolfgang Clements sinnierte:

Im Prinzip müsste die siebenköpfige Schiedskommission der Bundes-SPD eine endgültige Entscheidung treffen. Doch wie heißt es schon bei Tucholsky: »Wat brauchste Prinzipien, wenn du eenen Apparat hast!«

Bei Tucholsky heißt es aber auch:

Bevor ich berlinere, überlege ich es mir dreimal, und zweimal tue ichs nicht.

Woraus folgen sollte: Bevor man Tucholskys Berlinisch zitiert, schaut man wenigstens einmal nach, ob es auch im Original so steht.

Denn in der Tat gibt es wenige Texte, in denen Tucholsky durchgehend berlinern lässt. Einer davon ist die bekannte Wahlkampfsatire »Ein älterer, aber leicht besoffner Herr«, von der einige Passagen geradezu sprichwörtlich geworden sind. Darunter auch die über die SPD:

Denn wak bei die Sozis. Na, also ick bin ja eijentlich, bei Licht besehn, ein alter, jeiebter Sosjaldemokrat. Sehn Se mah, mein Vata war aktiva Untroffssier … da liecht die Disseplin in de Familie. Ja. Ick rin in de Vasammlung. Lauta klassenbewußte Arbeita wahn da: Fräser un Maschinenschlosser un denn ooch der alte Schweißer, der Rudi Breitscheid. Der is so lang, der kann aus de Dachrinne saufn. Det hat er aba nich jetan – er hat eine Rede jehalten. Währenddem daß die Leute schliefen, sahr ick zu ein Pachteigenossn, ick sahre: »Jenosse«, sahre ick, »woso wählst du eijentlich SPD -?« Ick dachte, der Mann kippt mir vom Stuhl! »Donnerwetter«, sacht er, »nu wähl ick schon ssweiunsswanssich Jahre lang diese Pachtei«, sacht er, »aber warum det ick det dhue, det hak ma noch nie iebalecht! – Sieh mal«, sachte der, »ick bin in mein Bessirk ssweita Schriftfiehra, un uff unse Ssahlahmde is det imma so jemietlich; wir kenn nu schon die Kneipe, un det Bier is auch jut, un am erschten Mai, da machen wir denn ’n Ausfluch mit Kind und Kejel und den janzen Vaein … und denn ahms is Fackelssuch … es is alles so scheen einjeschaukelt«, sacht er. »Wat brauchst du Jrundsätze«, sacht er, »wenn dun Apparat hast!« Und da hat der Mann janz recht. Ick werde wahrscheinlich diese Pachtei wähln – es is so ein beruhjendes Jefiehl. Man tut wat for de Revolutzjon, aber man weeß janz jenau: mit diese Pachtei kommt se nich. Und das is sehr wichtig fier einen selbständjen Jemieseladen!

Kaspar Hauser: »Ein älterer, aber leicht besoff(e)ner Herr« in: Die Weltbühne, 9.9.1930, S. 405

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