4.7.2008

Kaffka trifft Tucholski

Am 3. Juli war es 125 Jahre her, dass Franz Kafka in Prag geboren wurde. Klaus Bellin hat zu diesem Anlass im Neuen Deutschland mit Recht darauf hingewiesen, dass Tucholsky zu den ersten Literaturkritikern gehörte, die Kafkas Schriften würdigten, darunter die 1919 erschienene Erzählung In der Strafkolonie:

Ganz anders Kurt Tucholsky. Als die Erzählung, leicht gekürzt, im Mai 1919 bei Kurt Wolff erschien, nannte er sie in der „Weltbühne“ eine „Meisterleistung“ und sprach von einer „grenzenlosen und sklavischen Verneigung“ des folternden Offiziers „vor der Maschine dessen, was er Gerechtigkeit nennt, in Wahrheit: vor der Macht. Und diese Macht hat hier keine Schranken.“ Tucholsky gehörte zu den wenigen, die den Rang Kafkas gleich erkannten. Schon 1913 hatte er sich voller Anerkennung über die „Betrachtung“ geäußert.

Kafka war für Tucholsky jedoch schon einige Jahre vorher ein Begriff. Im jüngst erschienenen Band 16 der Gesamtausgabe taucht der Prager Versicherungsbeamte in einem der ersten Briefe auf, die von Tucholsky überhaupt überliefert sind. So hieß es einem Schreiben vom 5. November 1911 an Kafkas Freund Max Brod:

Ich bitte Sie, mich Herrn Dr. Kaffka und Herrn Baum zu empfehlen.

Tucholsky hatte Kafka (die ungewöhnliche Schreibweise von Kafkas Namen tauchte auch 1920 in der Besprechung der „Strafkolonie“ wieder auf) und den blinden Schriftsteller Oskar Baum wenige Wochen zuvor in Prag kennengelernt, als er zusammen mit seinem Freund Kurt Szafranski Max Brod besucht hatte. Nach der Begegnung am 30. September 1911 hatte Kafka in seinem Tagebuch über Tucholsky notiert:

…ein ganz einheitlicher Mensch von 21 Jahren. Vom gemäßigten und starken Schwingen des Spazierstocks, das die Schulter jugendlich hebt, angefangen bis zum überlegten Vergnügen und Mißachten seiner eigenen schriftstellerischen Arbeiten. Will Verteidiger werden, sieht nur wenige Hindernisse – gleichzeitig mit der Möglichkeit ihrer Beseitigung: seine helle Stimme die nach dem männlichen Klang der ersten durchredeten halben Stunde angeblich mädchenhaft wird – Zweifel an der eigenen Fähigkeit zur Pose, die er sich aber von größerer Welterfahrung erhofft – endlich Angst vor einer Verwandlung ins Weltschmerzlerische, wie er es an ältern Berliner Juden seiner Richtung bemerkt hat, allerdings spürt er vorläufig gar nichts davon. Er wird bald heiraten.

Um sich im nächsten Absatz für die falsche Schreibweise zu revanchieren:

Gestern abend auf dem Nachhauseweg hätte ich mich als Zuschauer mit Tucholski verwechseln können. Das fremde Wesen muß dann in mir so deutlich und unsichtbar sein, wie das Versteckte in einem Vexierbild, in dem man auch niemals etwas finden würde, wenn man nicht wüßte, daß es drin steckt.

Eine der letzten Reverenzen Tucholskys an Kafka stammt aus dem Jahre 1930:

Kafka. Ganz großer Mann. Ich habe ihn noch gekannt – aus Berlin und Prag. Willy Haas hat schön über ihn geschrieben. Ein großer Dichter.

schrieb er orthografisch korrekt an die „Katholikin“ Marierose Fuchs. Dem zu diesem Jahrestag wohl nichts hinzuzufügen ist.

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