30.5.2008

Barock around the clock

Tucholsky hat in seinem Leben etliche Texte zusammengeklappert oder geschmiert, wie er es bisweilen ausdrückte. Neben journalistischen Arbeiten gehörten dazu Erzählungen, Gedichte, Chansons, aber auch eine nie aufgeführte Revue, ein selten gespieltes Theaterstück („Christoph Kolumbus“) sowie ein unverfilmtes Drehbuch („Seifenblasen“). Nicht überliefert ist dagegen, dass er sich einmal an einem Opernlibretto versuchte. Was auch daran gelegen haben mag, dass er nicht als besonderer Freund des klassischen Musiktheaters bekannt war: „Ich bin unmusikalisch. (…) Musik läßt mich aufhorchen; wenn ich sie höre, habe ich ein Bündel blödsinniger Assoziationen – und dann verliere ich mich im Gewirr der Töne, finde mich nicht mehr heraus … Und um rat- und hilflos zu sein, dazu brauche ich schließlich nicht erst in eine Oper zu gehen“, bemerkte er einmal einem spöttischen Text über „Die Musikalischen“.

Tucholsky-Fans horchen daher auf, wenn eine Opernsängerin ankündigt, Tucholsky-Texte als barocke Arien zu singen. Am 23. Mai präsentierte die Sopranistin Kirstin Hasselmann ein solches Programm in Berlin. Begleitet wurde sie von dem Jazzgitarristen Takashi Peterson auf einer E-Gitarre, was eine gewisse Brechung des Operngenres versprach.

Bei solchen Experimenten stellt sich natürlich immer die Frage, ob es „funktioniert“. Ob es möglich und sinnvoll ist, die Texte einmal anders als in der üblichen Holländer-, Nelson- oder Eisler-Vertonung oder in moderneren Fassungen zu hören. Wobei die Tatsache an sich, diese Konventionen einmal zu brechen und sich auf neues Terrain zu wagen, schon zu begrüßen ist.

Tucholsky selbst war generell durchaus kritisch, was den Bühnenvortrag von Texten betrifft, die ursprünglich nicht für Hörer, sondern für Leser gedacht waren:

Die meisten Verse, die ich geschrieben habe, sind für das Auge geschrieben – sie klingen nur so, als wirkten sie auch gesprochen. Das tun aber manche mitnichten, ich weiß es. Die für das Ohr geschrieben sind, veröffentliche ich selten, denn sie erschienen wieder dem Auge leer. Lesend verstehn wir sehr rasch – hörend viel, viel langsamer. In einer zu singenden Strophe ist nur für einen einzigen Gedanken Platz – in einer gedruckten darf, ja, sollte jede Zeile etwas Neues enthalten.
Peter Panter: „Otto Reutter“, in: Die Weltbühne, 16.2.1932, S. 254ff.

Was dieses Problem betrifft, so kann sich Tucholsky in vorliegenden Fall nicht postum beschweren. Im Gegenteil. Die Arien geben den Texten sehr viel Raum. Hasselmann beschränkt sich darauf, einzelne Sätze eines Textes oder Strophen eines Gedichtes vorzutragen. Was diesen von Natur aus eine gewisse Schwere und Bedeutung verleiht, die sie innerhalb des gesamten Textes sonst nicht hätten. Ergänzt werden die Arien durch Vorträge einzelner Texte wie „Zur soziologischen Psychologie der Löcher“ oder „Der Mann im Spiegel“. Der rote Faden, der sich durch das einstündige Programm zieht, ist Tucholskys Leben. Wobei man in diesem Fall besser von einem schwarzen Faden sprechen sollte, denn Hasselmann beginnt mit dessen vorweggenommenen Ende, dem satirischen „Requiem“ von 1923, das Tucholsky für sein Pseudonym Ignaz Wrobel geschrieben hatte. In der ersten Hälfte des Abends kommt der politische und satirische Tucholsky zu Wort beziehungsweise zu Gesang. Nach einer Zäsur, die von Peterson in einer großartigen Improvisation über ein Bach-Menuett markiert wird, schildern die Arien dann eher den melancholischen und selbstbezüglichen Schriftsteller, der sich über die Grenzen seines Schaffens klar zu werden versucht. Ebenso wie Tucholsky am Ende nur noch „Schnipsel“ veröffentlichte, fallen auch aus den Requisiten die Papierschnipsel, als löse sich das Werk des Autors in seine Bestandteile auf.

Hat der Abend also „funktioniert“? An der musikalischen Leistung von Hasselmann und Peterson, sofern dies ein unmusikalischer Menschen beurteilen darf, gibt es nichts auszusetzen. Das gilt auch für die Inszenierung, die im Robert Stolz Verein mit wenigen Mitteln auskommen musste. Aber die Kombination von Musik und Text, die laut Programm durch „wechselseitige Spiegelungen“ neue Wahrnehmungen öffnen soll? Im Journalismus ist von Text-Bild-Scheren die Rede, wenn die Bildunterschrift sich mit dem Foto beißt. Vielleicht gibt es in der Musik analog Text-Musik-Scheren. Es ist für das Ohr schon sehr ungewohnt, Musik von Bach, Telemann, Händel und Gluck mit modernen Gedanken und Begriffen in Verbindung zu bringen. Vor allem, wenn es sich dabei nicht um eine Parodie handelt. Es ist aber auch gut möglich, dass gerade dieser Gegensatz einiges vom Wesen Tucholskys einfängt. Denn Tucholsky war ein eher barocker, sinnenfroher Mensch, der sich in der schnelllebigen Moderne und in der politisch aufgeheizten Epoche der Weimarer Republik im Grunde unwohl fühlte. „Mich haben sie falsch geboren“, lautete ein häufiges Lamento seit 1924. Wenn er in der richtigen Zeit gelebt hätte, hätte er bestimmt auch mal ein Libretto geschrieben.

Weitere Vorstellungen am 6.6., 4.7., 25.7. um 20 Uhr im Robert Stolz Verein, Langenscheidtstr. 11 in Schöneberg (U 7 Kleistpark)

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