27.1.2005

Von Journalisten und Gesamtschülern

Wenn Hugo Müller-Vogg aus dem journalistischen Nähkästchen plaudert, gibt es sicherlich einige interessante Sprüche aufzuschnappen. Die „Frankfurter Rundschau“ ließ sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen und hörte dem ehemaligen Herausgeber der Stadt- und Bundeskonkurrenz „FAZ“ bei einem Vortrag in der Evangelischen Kirche in Bad Homburg aufmerksam zu.

Es ging um Journalisten. „Kaum einer dieser Leute beherrscht den Konjunktiv und die richtige Zeiten-Abfolge!“ klagte eine Dame aus dem Publikum. Ja, greulich mit ä, bekräftigte Hugo Müller-Vogg am Stehpult. Heutzutage kämen Gesamtschul-Absolventen in den Beruf. Und die Korrektoren seien arbeitslose Germanisten . . .
Solche Sottisen machten dem Referenten sichtlich Spaß. Sie bannten die rund 200 Zuhörer gut zwei Stunden lang. Der Referent zitierte Tucholsky: „Man muss den Journalisten nicht bestechen. Man muss ihn nur einladen und wie eine Macht behandeln.“ Und Karl Kraus: „Keinen Gedanken zu haben und den ausdrücken zu können – das macht den Journalisten aus“. Der Journalist Müller-Vogg machte nicht den Anschein, er fühle sich selbst gemeint.
Klaus Nissen: „Ach, die Journalisten …“, in: Frankfurter Rundschau, 27.1.2005, Regionalausgabe R7, S. 35

Dass das Kraus-Zitat von Karl Kraus stammt, ist sicher. Wo das Tucholsky-Zitat herkommt, weiß vermutlich nur Müller-Vogg selbst, oder wenigstens Klaus Nissen. Aber es trifft zumindest die Intention dessen, was Tucholsky an verschiedenen Stellen über die Bestechlichkeit deutscher Journalisten geschrieben hat:

Unsere Korruption sieht anders aus; unsere Journalisten haben andere Fehler und andere Untugenden, hierzulande sind die Leute billiger und schwerer zu bestechen, beeinflußt wird hier, nicht gezahlt – wenn einer von uns Geld nähme, verfiele er einfach der Lächerlichkeit; hier ist es gar nicht pikant, bestochen zu sein – es ist nur dumm. Hier lassen sie sich zum Abendbrot einladen; wenn sie dreimal durch Dahlem getrudelt sind, sind sie nicht mehr dieselben (…)
Peter Panter: „Berliner Theater“, in: Die Weltbühne, 12.11.1929, S. 738

Und was immer den Hinauswurf von Müller-Vogg bei der FAZ begründet haben mochte, Bestechung war sicher nicht im Spiel.

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