4.2.2007

Falsch zitieren ist eine Schande

In Brandenburg wogt zurzeit eine heftige Debatte darüber, ob ein Sexualstraftäter nach dem Verbüßen seiner Haftstrafe wieder frei gelassen werden darf. Wobei das Problem im Falle Ostdeutschlands auch darin besteht, dass für Vergehen, die vor dem 1. August 1995 begangen wurden, keine nachträgliche Sicherungsverwahrung verhängt werden darf. Im Berliner Tagesspiegel beschäftigte sich Steffen Hudemann mit dem Thema und analysierte ausführlich die Problematik. Dabei kam auch Tucholsky kurz zu Wort:

„Sicherungsverwahrung ist eine Schande“, schrieb Kurt Tucholsky 1928 in der „Weltbühne“. „Sie darf in keiner Form Gesetz werden – in keiner.“

Auch Tucholsky hatte sich damals recht ausführlich mit dem Thema auseinandergesetzt. In dem dreieinhalbseitigen Artikel „Die Sicherungsverwahrung“ vom 4. Dezember 1928 wandte er sich vor allem gegen Überlegungen, die Todesstrafe durch eine Sicherungsverwahrung zu ersetzen und somit eine echte lebenslange Haftstrafe einzuführen. Daher auch sein Einwurf:

Der Kuhhandel: hie Todesstrafe – hie Sicherungsverwahrung ist eine Schande.

Dass Hudemann das Zitat „Der Kuhhandel (…) ist eine Schande“ nicht in seinem Text stehen haben wollte, ist durchaus verständlich, schließlich geht es darin nicht einmal peripher um Landwirtschaft. Aber so ist er ein guter Kandidat für das Satrire-Ressort von Spiegel-Online unter der Rubkrik „Aus dem Zusammenhang gerissen und falsch zitiert“. Hinzu kommt, dass die „Sicherungsverwahrung“, die Tucholsky nie Gesetz werden lassen wollte, eher an die willkürliche „Schutzhaft“ der Nationalsozialisten erinnerte.

Denn warum Tucholsky sich damals so vehement gegen die Sicherungsverwahrung einsetzte, machen folgende Stellen deutlich:

Die Delikte ›Hochverrat‹, ›Landesverrat‹, ›Störungen der Beziehungen zum Ausland‹ und ›Angriffe gegen die Wehrmacht oder die Volkskraft‹ haben nicht nur den von den Franzosen erfundenen Begriff ›potentiel de guerre‹ in das neue Strafgesetz eingeschmuggelt, sondern sind derartig formuliert, daß ihre zu befürchtende Anwendung zu einer völligen Knebelung der freien politischen Meinung führen wird, soweit die noch frei ist. Es ist für jeden Reichsgerichtsrat eine Spielerei, aus einem konsequenten Politiker einen ›Gewohnheitsverbrecher‹ zu machen und damit einen, den man – hei! – lebenslänglich einsperren kann. Er kann froh sein, wenn man ihn nicht, wie Herr Böters das neulich im ›Berliner Tageblatt‹ vorgeschlagen hat, kastriert.

   Auf diese Richter ist nicht der leiseste Verlaß. Eine solche unerhörte Erweiterung ihrer Ermächtigung ist unangebracht, gefährlich und ein Verbrechen an der politischen Entwicklung Deutschlands, die, wenn es mit diesem Gesetz ernst wird, damit aufgehört haben wird, zu existieren. Dann ist es aus.

   Über die ›Begründung‹ dieses Anschlags ist, wie über die gesamte Begründung des Entwurfs, kein ernsthaftes Wort zu verlieren. Seine Begründung begründet gar nichts – in traurigem Deutsch wird dort der Gesetzestext wiederholt, breitgewalzt, kommentiert –: von einer echten Begründung ist auch nicht ein Hauch zu spüren. Die ›Sicherungsverwahrung‹ darf in keiner Form Gesetz werden – in keiner.

Was diese Debatte noch mit der heutigen zu tun, „weiß“ wohl nur Herr Hudemann.

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