3.1.2007

Reich, aber narzisstisch

Bei der Rezension eines Tucholsky-Abends lässt sich in der Regel schwer beurteilen, welche Behauptungen über Tucholsky auf dem Dung des Vortragenden oder der Recherche des Journalisten gewachsen sind. Unfreiwillig komisch wirken auf jeden Fall die begeisterten Passagen, die Sabine Henrichs in der Frankfurter Neuen Presse über ein Tucholsky-Programm los wird. In „Tucholsky als Selbstdarsteller in Perfektion“ berichtet sie über einen Abend mit Oliver Steller und gibt ihr frisch erworbenes Wissen zum Besten:

Seine gute Beobachtungsgabe hatte Tucholsky, der am 9. Januar 1890 geboren wurde, bereits mit seiner ersten Erzählung „Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“ unter Beweis gestellt. Diese wurde über 120 000 Mal verkauft und ließ den Schriftsteller noch ein wenig reicher werden.

Die Betonung sollte dabei auf „wenig“ liegen. Sehr stark sogar. Denn wie schrieb Tucholsky rückblickend über den finanziellen Erfolg seines Buches:

Ich zeigte damals meinen Vertrag, den ersten, den ich in meinem Leben gemacht hatte, dem damaligen Vorsitzenden des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller. Der weinte eine halbe Stunde vor Freude und streichelte mir dann leise den Kopf. Ich weiß bis heute nicht, was er damit hat sagen wollen.
Kurt Tucholsky: „Rheinsberg“, in: Die Weltbühne, 8.12.1921, S. 579

Was Tucholsky damit meinte: Er hatte die Rechte für einen einmaligen Betrag an den Verleger Alex Juncker abgetreten und war somit an dem finanziellen Erfolg des Buches überhaupt nicht beteiligt.

Auch eine weitere Passage der Rezension liest sich sehr schön:

Immerhin hatte er mit 21 Jahren das Erbe seines sechs Jahre zuvor verstorbenen Vaters in Höhe von heute rund 400 000 Euro angetreten. Doch auch dieses Geld hatte sich irgendwann verflüchtigt und so arbeitete Tucholsky als Privatsekretär in einer großen Bank, wie Steller mit dem Tango „Ich bring’s zu nichts“ erzählte.

Diese „Verflüchtigung des Geldes“ wird häufig auch Inflation genannt, und nach dem Ersten Weltkrieg war Tucholsky sicherlich nicht der einzige in Deutschland, der davon betroffen war. Seine Abkehr vom Journalismus hatte aber auch damit zu tun, dass er 1922/1923 unter schweren Depressionen litt und keinen Sinn mehr im Schreiben erkannte. Es gibt daher auch durchaus andere Gründe als reinen Narzissmus, wenn man sich über den Sinn des Lebens Gedanken macht. Nicht so bei Henrichs:

So war Tucholsky überaus selbstverliebt. Das wurde nicht nur deutlich, als er sich über den Tod Gedanken machte und sich fragte, ob er nicht nur sich selbst, sondern auch anderen fehlen würde, wenn er gestorben sei.

In diesem Fall gehört wohl auch eine gewisse Selbstironie dazu.

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