8.3.2006

Extreme Historie

Etliche Wochen nach der FAZ hat nun auch die Frankfurter Rundschau ein Buch des Historikers Riccardo Bavaj rezensiert, das sich mit „linkem, antiparlamentarischem Denken in der Weimarer Republik“ beschäftigt.

Sowohl die FAZ als auch die FR tun sich schwer damit, das Buch einzuordnen. Bavaj lasse zwar keinen Zweifel daran, dass die Weimarer Republik im wesentlichen von rechts zerstört wurde. Mit der Einschränkung:

Doch auch von links suchten extremistische Kräfte, der ersten Demokratie ein Ende zu bereiten. Auch diese Seite brachte einen Extremismus hervor, der beständig gegen die Weimarer Republik agitierte, sie bekämpfte, sie mit ideologischer Energie zu überwinden trachtete.

Nun sollte einen wundern, dass sich Bavaj in seinem Buch überhaupt mit der Weltbühne beschäftigt. Wenn Journalisten wie Carl von Ossietzky oder Kurt Tucholsky des Linksextremismus bezichtigt werden, stellt sich in der Tat die Frage, was die normale Linke gewesen sein soll. Etwa die SPD? Auch der FR gefällt diese Einordnung nicht:

Erstens verwendet Bavaj den nicht leicht universalisierbaren Terminus des Linksextremismus für die Weimarer Republik, ohne ihn näher zu erläutern. So läuft er Gefahr, manche durchaus ambivalente Position von vornherein zu stigmatisieren und zu enthistorisieren. Andere Begriffe wie Linkskommunismus, -sozialismus und -radikalismus, die oftmals nur in Nuancen zu variieren scheinen, kann er nicht von ihren Unschärfen befreien.

Festzuhalten bliebe, dass Bavaj die Weltbühne zu den Vertretern des Linkssozialismus innerhalb des damaligen Kulturlebens rechnet. Was durchaus zutreffend ist, wenngleich es nichts darüber aussagt, welche Stellung die Zeitschrift zu Demokratie und Parlament bezog.

Ein wenig merkwürdig erscheint, wie sehr sich FAZ-Rezensent Joachim Radkau auf Aussagen Tucholskys und Ossietzkys stürzt, als gäben die beiden besonders gute Beispiele dafür ab, wie die Weimarer Republik von links unterminiert wurde. Wobei er später zu dem Schluss kommt:

Nicht jede Kritik am aktuellen Parlamentsbetrieb zeugt von Demokratiefeindschaft, ganz im Gegenteil: Die Demokratie braucht solche Kritik.

Wie überraschend.

Bei der FR schafft es Tucholsky mit dem Begriff „Ri-Ra-Rücksichten“ sogar in die Überschrift der Rezension. Es ist aber bezeichnend, wie der Ausdruck innerhalb des Textes Verwendung findet:

Ihr Hass galt zuvorderst Parlament und Parteien, deren Partikularinteressen, Kompromisslertum und „Ri-Ra-Rücksichten“, wie Tucholsky einst spottete.

Im Original hat die Rücksichtnahme überhaupt nichts mit Hass oder Spott zu tun. Als Chefredakteur der Satirebeilage Ulk gebrauchte Tucholsky den Ausdruck in einem Brief vom 27.12.1918 (!) an den Schriftsteller Hans Erich Blaich:

Mit den Zeichnern will ich versuchen, was ich machen kann. Es ist zur Zeit sehr schwer – und künstlerisch ist die ganze Aufgabe ja überhaupt nicht lösbar, wegen der Ri-Ra-Rücksichten. Aber gründet vielleicht ein idealer Billionär ein gutes, großes, deutsches Witzblatt und stellt mich als Redaktionssekretär ein? Mit nichten.

Wenn das Jammern über fehlende künstlerische Freiheit schon als linksextremer Antiparlamentarismus ausgelegt wird, dann hat die Diskussion um die Mohammed-Karikaturen den zukünftigen Historikern viel Stoff für dicke Wälzer geliefert.

Nebenbei bemerkt: Laut FAZ schmähte Ossietzky mit Heinrich Brüning „den letzten parlamentarisch gewählten Reichskanzler der Weimarer Republik“. Räusper. Laut Artikel 53 der Weimarer Verfassung wurde der Reichskanzler nicht vom Reichstag gewählt, sondern vom „Reichspräsidenten ernannt und entlassen“. Das galt auch für Brüning. Und im Gegensatz zu der großen Koalition unter Hermann Müller (SPD) stützte sich die Regierung Brüning eben nicht mehr auf die Mehrheit des Reichstages, sondern nur noch auf das Vertrauen des Reichspräsidenten, der nun einmal Paul von Hindenburg hieß.

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