Brief an Marierose Fuchs

DIE WELTBÜHNE
Begründet von Siegfried Jacobsohn
Geleitet von Carl v. Ossietzky

Berlin-Charlottenburg
Kantstraße 152
Fernsprecher: Steinplatz 7757

14.8.29

Frau Marierose Fuchs
Redaktion der Germania
Berlin

Sehr verehrte gnädige Frau, Sie hatten die Freundlichkeit, in einer Buchbesprechung Journalistik im Buch in der Germania vom 14.7. d. J. auch etwas über meine Arbeiten zu schreiben. Erlauben Sie mir bitte dazu ein Wort.

Wer in der Öffentlichkeit Kegel schiebt, muß sich von jedem sagen lassen, wieviel Punkte er geworfen hat – darüber ist nicht zu reden. Wenn aber zwei Elemente zusammenstoßen, so ist der Klang, den das gibt, ein Produkt beider; man kann nicht sagen, daß nur eines daran schuld sei. Was mich bewegt, von einem Grundsatz: nämlich zu schweigen, eine Ausnahme zu machen, ist ein Satz, den Sie geschrieben haben: „Aber da ist, wesentlicher, ein anderes: Ein erschreckender Mangel an Ehrfurcht vor fremder Überzeugung.“
Wenn das in der Germania steht, so kann sich dieser Vorwurf in erster Linie nur auf die Religion beziehen. Und das halte ich nicht für gerechtfertigt.
Bin ich ein so schlechter Schriftsteller, daß […] Spürt man nicht hinter der Frechheit […] Mentalität? Ist nicht überall sauber unterschieden zwischen der Kirche als Hort des Glaubens, über den ich mich niemals lustig gemacht habe – und der Kirche als politische Institution im Staat?
Über die letztere allerdings … da gibt es wohl keinen guten Witz, den ich jemals ausließe. Wie! „Herumreiterei auf der Rolle der Kirchen im Weltkrieg, ohne tiefer zu schauen“ – gnädige Frau, haben Sie einmal tiefer geschaut, zum Beispiel in ein Massengrab? Ich aber. Was sollen mir spitzfindige Erklärungen; was die unbestreitbar saubere Haltung vieler Geistlicher, besonders der katholischen, die ihre protestantischen Kollegen – hier wie auch sonst – um ein vielfaches überragt haben – was soll mir alles das, wenn im entscheidenden Augenblick die Kirche in Paris und die Kirche in Berlin die Leute zum Mord antreibt? Gegen ihre eigene Lehre? (Was man da herumtiftelt, verfälscht Christus, die einzig wahre Gotteslästerung, die mir bekannt ist.) Nein, was mich betrübt und schmerzt, weil ich die Suchenden in allen Lagern spüre und selber zu ihnen gehöre -: was mich schmerzt, ist die Tatsache, daß die katholische Kirche fatal protestantisch geworden ist. Wäre sie nur so, wie Sie glauben, ich sähe sie – aber so ist sie nicht. Fragen Sie ein wenig in der Jugend Ihrer Partei und Ihrer Religion – die werden das verstehen.
Ich antworte Ihnen nicht öffentlich; denn Sie haben das Recht, alles, was Sie für richtig halten, über mich zu schreiben. Ich gebe Ihnen privat zu bedenken: nicht alle Wege führen über Rom. Wir andern – auch wir suchen. Und lachen nur über die, die versuchen, die Lehre eines [großen Revolutionärs] und reinen Menschen mit den Bedürfnissen spießiger [Kleinbürger] in Einklang zu bringen.
Mit den besten Empfehlungen Ihr sehr ergebener
Dr. Tucholsky

Startseite

Powered by WordPress

1.1.2004

Brief an Marierose Fuchs

DIE WELTBÜHNE
Begründet von Siegfried Jacobsohn
Geleitet von Carl v. Ossietzky

Berlin-Charlottenburg
Kantstraße 152
Fernsprecher: Steinplatz 7757

14.8.29

Frau Marierose Fuchs
Redaktion der Germania
Berlin

Sehr verehrte gnädige Frau, Sie hatten die Freundlichkeit, in einer Buchbesprechung Journalistik im Buch in der Germania vom 14.7. d. J. auch etwas über meine Arbeiten zu schreiben. Erlauben Sie mir bitte dazu ein Wort.

Wer in der Öffentlichkeit Kegel schiebt, muß sich von jedem sagen lassen, wieviel Punkte er geworfen hat – darüber ist nicht zu reden. Wenn aber zwei Elemente zusammenstoßen, so ist der Klang, den das gibt, ein Produkt beider; man kann nicht sagen, daß nur eines daran schuld sei. Was mich bewegt, von einem Grundsatz: nämlich zu schweigen, eine Ausnahme zu machen, ist ein Satz, den Sie geschrieben haben: „Aber da ist, wesentlicher, ein anderes: Ein erschreckender Mangel an Ehrfurcht vor fremder Überzeugung.“
Wenn das in der Germania steht, so kann sich dieser Vorwurf in erster Linie nur auf die Religion beziehen. Und das halte ich nicht für gerechtfertigt.
Bin ich ein so schlechter Schriftsteller, daß […] Spürt man nicht hinter der Frechheit […] Mentalität? Ist nicht überall sauber unterschieden zwischen der Kirche als Hort des Glaubens, über den ich mich niemals lustig gemacht habe – und der Kirche als politische Institution im Staat?
Über die letztere allerdings … da gibt es wohl keinen guten Witz, den ich jemals ausließe. Wie! „Herumreiterei auf der Rolle der Kirchen im Weltkrieg, ohne tiefer zu schauen“ – gnädige Frau, haben Sie einmal tiefer geschaut, zum Beispiel in ein Massengrab? Ich aber. Was sollen mir spitzfindige Erklärungen; was die unbestreitbar saubere Haltung vieler Geistlicher, besonders der katholischen, die ihre protestantischen Kollegen – hier wie auch sonst – um ein vielfaches überragt haben – was soll mir alles das, wenn im entscheidenden Augenblick die Kirche in Paris und die Kirche in Berlin die Leute zum Mord antreibt? Gegen ihre eigene Lehre? (Was man da herumtiftelt, verfälscht Christus, die einzig wahre Gotteslästerung, die mir bekannt ist.) Nein, was mich betrübt und schmerzt, weil ich die Suchenden in allen Lagern spüre und selber zu ihnen gehöre -: was mich schmerzt, ist die Tatsache, daß die katholische Kirche fatal protestantisch geworden ist. Wäre sie nur so, wie Sie glauben, ich sähe sie – aber so ist sie nicht. Fragen Sie ein wenig in der Jugend Ihrer Partei und Ihrer Religion – die werden das verstehen.
Ich antworte Ihnen nicht öffentlich; denn Sie haben das Recht, alles, was Sie für richtig halten, über mich zu schreiben. Ich gebe Ihnen privat zu bedenken: nicht alle Wege führen über Rom. Wir andern – auch wir suchen. Und lachen nur über die, die versuchen, die Lehre eines [großen Revolutionärs] und reinen Menschen mit den Bedürfnissen spießiger [Kleinbürger] in Einklang zu bringen.
Mit den besten Empfehlungen Ihr sehr ergebener
Dr. Tucholsky

Startseite

Powered by WordPress