15.1.2005

Ein bisschen Sinn und fertig

Die neue ICE-Strecke zwischen Berlin und Hamburg bringe die beiden Städte auch künstlerisch näher zusammen, glaubt zumindest die „Welt“. Ein erster Ausdruck dieser neu gewonnenen Nähe sei womöglich ein literarisch-musikalischer Abend, der am 15. Januar 2005 im St. Pauli-Theater seine Uraufführung erlebe. Dort erklängen nun „phatte Rhymes aus den zwanziger Jahren“, vorgetragen von Eva Mattes. Die etwas merkwürdige Überschrift erklärt sich dadurch, dass die „Welt“ außerdem glaubt:

Die freche und wunderbar bewegliche Reimkunst eines Friedrich Hollaender, Kurt Tucholsky oder Walter Mehring könnten auch Zuhörer im Rapper-Alter inspirierend finden.

Warum also nicht den Tucholsky-Text „Das Couplet“ als Flyer kopieren und während des Konzerts unauffällig an alle in der Garderobe abgegebenen Basecaps stecken? Schließlich verrät Tucholsky darin einiges über das Dicht- und Reimhandwerk, was für einen Rapper zum Teil nicht uninteressant sein dürfte. Manche Passagen dagegen lassen deutlich die Unterschiede zwischen Couplets und Raps aufscheinen:

Und ehe man Rhythmus und Reim und Gedankengang glücklich vereinigt hat, vergeht manchmal eine ganze Nacht.
Peter Panter: „Das Couplet“, in: Schall und Rauch, April 1920, Nr. 5, S. 1-2

Inspirierender dürften daher vielleicht folgende Zeilen aus der Rezension eines Reimlexikon wirken:

Der Reim – was das für eine ulkige Sache ist! Wie so ein Gleichklang am Schluß dem Ding gleich einen andern Aspekt gibt! „Der Segen, der Degen, allerwegen, wogegen.“ Nun bloß noch ein bißchen Sinn: und das Gedicht ist fertig.
Peter Panter: „Das Reimlexikon“, in: Die Schaubühne, 9.7.1914, S. 35

PS: Dass die „fetten Reime“ aus den Zwanzigern auch heutzutage noch gut ankommen, zeigt der Vergleich eines Liedverses von „2raumwohnung“

denn das viele an dich denken
bekommt mir nicht
am nächsten tag bin ich so müde
Aus: „Wir trafen uns in einem Garten“

mit einem Tucholsky-Gedicht:

Manchmal denke ich an dich,
das bekommt mich aber nich,
denn am nächsten Tag bin ich so müde.
Theobald Tiger: „Sauflied, ganz allein“, in: Die Weltbühne, 12.5.1931, S. 701

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