22.5.2007

Was nicht drin steht

Der „Spiegel“ mokiert sich darüber, dass der Bundestag nicht die Bestechung von Abgeordneten unter Strafe stellen möchte. Anders als bei Beamten, heißt es in dem Artikel „Beeinflusst, nicht bestochen“ (Heft 21, Seite 38), greife der einschlägige Paragraph 108e StGB1 bisher nur in ganz seltenen Fällen bei Parlamentariern. Am Endes des Textes heißt es spiegelhaft süffisant:

Die Abgeordenten stellen sich taub. Es scheint, als glaube das Berliner Parlament fest, was der Satiriker Kurt Tucholsky 1932 schrieb: „Ich höre immer: Korruption. In Deutschland wird nicht bestochen. In Deutschland wird beeinflusst.“

Da sieh einer an. Da waren die Politiker 1932 schon genau so ehrlich wie heute und hatten es auch damals gar nicht nötig, ihr dickes Diätenkonto aufbessern zu müssen.

Aber Moment. Tucholskys Artikel „Zyniker“, aus dem das Zitat entnommen ist, befasst sich ja gar nicht mit Politikern. Sondern – mit der Presse. Und warum erwähnt der „Spiegel“ das nicht? Auch das hat sich seit 1932 nicht geändert. Tucholskys nächster Satz nach dem Zitat lautet:

Und was in der Zeitung steht, ist nicht halb so wichtig wie das, was nicht drin steht.

P.S.: Der frühere Bundestagsabgeordnete Oswald Metzger (Grüne) hat die „Spiegel“-Geschichte in seinem Blog bei „Focus“ (!) umgehend aufgegriffen und bewiesen, dass er Tucholsky-Zitate fehlerfrei abschreiben kann. Passend zu Thema Beeinflussung ein Kommentar des Nutzers Bernhard Meier:

Herr Metzger – sie schreiben den Blog hier doch auch nicht für lau. Die Inhalte erinnern mich irgendwie immer stark an ihre Mitgliedschaft bei der INSM. Die scheinen auch gut zu zahlen.
Mit Korruption möchte ich das nicht vergleichen wohl eher Beeinflussung.

PPS: „Spiegel“-Chefredakteur Stefan Aust lässt sich von solch kleinen Aufmerksamkeiten deutscher Unternehmen sicherlich nicht beeinflussen.


1(1) Wer es unternimmt, für eine Wahl oder Abstimmung im Europäischen Parlament oder in einer Volksvertretung des Bundes, der Länder, Gemeinden oder Gemeindeverbände eine Stimme zu kaufen oder zu verkaufen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wegen einer Straftat nach Absatz 1 kann das Gericht die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, und das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, aberkennen.

20.5.2007

Wir sind alle Zitatgeber

Dass Zitate falsch zugeschrieben werden, passiert alle Tage. Seltener – und daher auch eine Berichterstattung wert – geschieht dies an bleibender Stelle. So in Geretsriet im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen, wo zur Einweihung des Karl-Lederer-Platzes eine Säule mit vermeintlichem Goethe-Zitat enthüllt wurde: „Wir sind alle Ausländer, fast überall.“ Die Goethe-Forscher indes sind sicher: von Goethe stammt der schöne Spruch nicht. Und so bringt der Münchner Merkur auch Kurt Tucholsky als möglichen Urheber ins Spiel.
Doch auch hier muss die Forschung den Kopf schütteln. Allerdings wohlwollend, denn inhaltlich passt der Satz natürlich gut, ein Tucholsky-Original heißt: „Man ist in Europa ein Mal Staatsbürger und zweiundzwanzig Mal Ausländer. Wer weise ist: dreiundzwanzig Mal.“ (Peter Panter in der „Weltbühne“, 25. November 1924)

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