5.2.2006

Blasphemische Verse

Die Welt blickt heute aus gegebenem Anlass auf die Geschichte juristsch verfolgter Gotteslästerung in Deutschland zurück. Autor Uwe Wittstock weist zu Beginn seines Textes darauf hin, dass die liberalen europäischen Traditionen längst nicht so tief verwurzelt seien, wie von vielen geglaubt werde. Seine Reihe von Beispielen, die diese These belegen sollen, führt von Heinrich Heine über Oskar Panizza bis George Grosz, auf dessen Fall sich Tucholsky in dem Text „Die Begründung“ bezog. Doch der Fall Grosz sei nicht der einzige derartige Fall in der Weimarer Republik gewesen:

Kurt Tucholsky mußte sich vor Gericht wegen eines angeblich gotteslästerlichen Gedichtes verantworten, Franz Masareel wegen der Holzschnittfolge „Die Kirche“, Kurt Weill wegen einer religionskritischen Oper. Carl Einstein wurde für „Die schlimme Botschaft“, eine Parodie auf die christliche Passionsgeschichte, trotz 14 Verteidigungs-Gutachten – darunter eines von Thomas Mann – mit seinem Verleger Ernst Rowohlt zu Geldstrafen oder mehrwöchiger Haft verurteilt.

Was Tucholsky betrifft, so bezieht sich Wittstock sich auf dessen Gedicht „Gesang der englischen Chorknaben“, das im August 1928 in der kommunistischen Arbeiter Illustrierte Zeitung erschien. Ein Ingolstädter Journalist stellte damals Strafantrag gegen Tucholsky sowie den Drucker wegen Gotteslästerung nach Paragraph 166 Strafgesetzbuch. Da Tucholsky zu diesem Zeitpunkt meist im Ausland lebte, wurde er erst im März 1929 in Berlin vernommen. Anschließend wurde das Verfahren eingestellt. Tucholsky hatte bei der Vernehmung erklärt, dass das Gedicht aus Anlass eines englischen Bergarbeiterstreiks enstanden sei und sich daher ausschließlich auf die anglikanische Kirche beziehe. Außerdem habe er auf die in England übliche Praxis anspielen wollen, die Glauben „wie eine Zahnpasta anzupreisen“.

4.2.2006

Satirischer Mehrwert

Am Ende der ersten unfreiwilligen europäisch-islamischen Satriewoche versucht Irmtraud Gutschke im Neuen Deutschland Bilanz zu ziehen. In „Wer möchte, dass die Lunte brennt?“ fragt Gutschke brav nach dem cui bono und gibt die Antwort: „Den Medien sowieso“. Aber nicht nur denen könnte die Debatte nützen:

Stell dir vor, übermorgen stürmt eine aufgebrachte Menge die USA-Botschaft in Teheran. Fotos von Ermordeten gehen um die Welt. Der amerikanische Präsident … Nein, man soll den Teufel nicht an die Wand malen. Aber der historisch versierte Leser weiß, wie Kriege oft beginnen.
Andererseits gereicht der Konflikt auch den islamischen Fundamentalisten zum Vorteil.

Wenn die Geschichte des nächsten Golfkriegs einst geschrieben wird, wird man sich an die warnenden Worte des Neuen Deutschland erinnern. Aber was steckt eigentlich hinter dem Ganzen? Gutschke kennt auch ihren Tucholsky und weiß von ihm, dass Satire übertreiben muss und in ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht ist. Sie aber hätte aus „Anstand“ auf die Veröffentlichung der Karikaturen verzichtet, denn sie hat es offenbar nicht nötig, zum Zwecke „einer kurzfristigen Befreiung von eigenen inneren Bedrückungen“ blasphemisch zu werden. Das scheine aber bei vielen Journalisten und Künstlern der Fall zu sein, so dass man die Debatte eigentlich nur mit psychologischen Maßstäben beurteilen könne. Und wie bekommt man jetzt die Kurve zum historischen Materialismus?

Auch das gehört zur Scheinwelt, von der wir umgeben sind: In der Gesellschaft des Kapitals ist nichts, aber auch gar nichts mehr heilig. Marx und Engels haben es ja im Kommunistischen Manifest vorausgesagt. Was Menschen hier schon weh tut, auch wenn sie es verdrängen und unter dem Begriff Freiheit verbuchen, wie sehr mag es jene treffen, die sich in anderen Wertzusammenhängen befinden und den westlichen Kapitalismus nicht akzeptieren wollen, an dessen Reichtum sie nicht teilhaben.

Na geht doch.

Wie schön war doch die Zeit, als anständige Sozialisten entscheiden durften, was in den heiligen Parteiblättern zu stehen hatte.

3.2.2006

Post vom Sudelblog

Lieber Franz Josef Wagner,

es freut uns natürlich sehr, zu lesen, dass Sie in Ihrer heutigen „Post von Wagner“-Kolumne Kurt Tucholsky als den „größten deutschen Satiriker“ bezeichnen. Ebenfalls sind wir froh darüber, dass Sie sich in letzten Sinnfragen mit der Religion als Opium begnügen und nicht verzweifelt zu anderen Drogen greifen müssen.

Ein wenig traurig stimmt uns dagegen, dass Sie Tucholskys Ansichten über die Satire, wie es häufig geschieht, auf den Satz zusammenschnurren lassen, wonach diese „alles“ dürfe. Völlig unverständlich erscheint uns außerdem der direkte Haken, den Sie von der Satire zu Aids-, Säufer- und Jenseits-Witzen schlagen.

Vielleicht hätte es Ihnen geholfen, sich Tucholskys Originaltext „Was darf die Satire?“ durchzulesen, bevor Sie sich zu diesem schwierigen Thema äußerten. Dann hätten Sie sicherlich einen gewissen Unterschied zwischen dümmlichen Witzeleien und echter Satire erkannt und vielleicht auch verstanden, warum Tucholsky vor keiner sprachlichen Waffe zurückgeschreckt hätte, wenn es darum gegangen wäre, die Auswüchse von religiösem Fanatismus und dogmatischer Borniertheit auf Erden anzuprangern. Religion ist leider nicht nur „Dialog mit dem Jenseits“, wie Sie so schön schreiben, sondern war auch diesseitige Kreuzzüge, Hexenverbrennung, geistige Unterdrückung und gesegnete Kanonen.

Allerdings konnte Tucholsky auch unterscheiden zwischem dem, was die Satire darf, und dem, was sie kann: „Satire hat eine Grenze nach oben: Buddha entzieht sich ihr“, schrieb er 1932. Und was die von Ihnen beklagte Witzelsucht des Westens angeht, hatte er ebenfalls einen Rat zur Hand:

Nur ein wirklich frommer Mensch darf so gute Witze über die Religion machen wie dieser hier. »Die Allmacht Gottes im Donnerwetter wird nur bewundert entweder zur Zeit, da keines ist, oder hintendrein beim Abzuge.«
Peter Panter: „Schrei nach Lichtenberg“, in: Vossische Zeitung, 25. Januar 1931, Nr. 42

Und weil die „Bild“-Zeitung so unglaublich fromm ist, ist ihr natürlich einer der besten religiösen Witze aller Zeiten gelungen.

Nachtrag 24.2.2006: Die Titanic schrieb ihrem Leser Franz Josef Wagner ebenfalls einen netten Brief.

Was dürfen Gegner religiöser Satire?

Karikaturenstreit und kein Ende. Tucholskys Diktum, wonach Satire „alles“ dürfe, wird von vielen Kommentatoren zum Aufhänger genommen, sich mit den möglichen Auswirkungen der Debatte auf Kunst- und Pressefreiheit auseinanderzusetzen. Die Nachrichtenagentur dpa verbreitete einen historischen Abriss über Streitfälle zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechten vor deutschen Gerichten. Darin heißt es:

Was Kurt Tucholsky 1919 über die Satire geschrieben hat, gilt auch für die Karikatur: «Die Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht.» Die Schlussfolgerung des Schriftstellers und promovierten Juristen – Satire dürfe alles – würden deutsche Richter allerdings nicht unterschreiben.

Auch Gerhard Mumme von der Frankfurter Neuen Presse bezieht sich in einem engagierten Kommentar auf den Text von 1919:

Was darf Satire?, fragte sich einst Kurt Tucholsky. Und er antwortete kurz und bündig: Alles! Auch wenn es, wie Syriens staatliche Nachrichtenagentur Sana im akuten Fall konstatiert, «die heiligen Prinzipien hunderter Millionen Araber und Moslems verletzt»? Man kann sich kaum vorstellen, dass der Schriftsteller, dessen Werke von den Nazis verbrannt und der schon 1933 aus Deutschland ausgebürgert wurde, darauf mit Nein geantwortet hätte. Und jetzt erst recht nicht mehr!

Sein etwas pessimistisches Resümee am Schluss lautet:

Was darf Satire? Wohl bald nicht mehr viel, wenn sie auf die Toleranz des Islam und die Prinzipienfestigkeit der westlichen Eliten vertrauen muss.

Der lustigste Philosoph der Welt

Aus Anlass einer Chaplin-Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen wird hier und da darauf hingewiesen, dass Tucholsky ein glühender Verehrer des englischen Komikers war. In dem Text „Der berühmteste Mann der Welt“ empfahl er seinen Lesern von 1922:

Er ist, wie alle großen Komiker, ein Philosoph. Versäumen Sie nicht, ihn sich anzusehen. Sie lachen sich kaputt und werden ihm für dieses Lachen dankbar sein, solange Sie leben.

2.2.2006

Der Mann mit den drei Gymnasien

„Über Kurt Tucholskys Berliner Schulzeit von Ostern 1899 bis zumSeptember 1909 wabert immer noch erhebliches Dunkel“, heißt es lapidar in einem Aufsatz, in dem sich der Historiker Kurt Wernicke mit der Schullaufbahn Tucholskys auseinandersetzt (siehe hier). Dieses Dunkel hat die Märkische Allgemeine ein wenig aufzuhellen versucht. Aber es könnte sein, dass sie damit mehr Verwirrung gestiftet als Aufklärung gebracht hat. „Drückte der junge Kurt Tucholsky in Nauen die Schulbank?“ heißt es ein wenig reißerisch in der Überschrift, die selbst in ihrer Fragestellung als gewagt erscheint. Denn die Beweise für die These sind äußerst dürftig:

Im Nauener Museum befindet sich ein kleiner Zettel, wohl eine Zuarbeit für eine frühere Festschrift, darin ist von Kurt Tucholsky die Rede. Der Nauener Bürger Fritz Herold berichtet darin, dass Kurt Tucholsky um 1907 bei Paul Last, Lehrer und Organist, gewohnt haben soll. Er bezieht sich darin auf einen Artikel, den der einstige Museumsleiter Wilhelm Koch Anfang der 40er Jahre geschrieben haben soll. Weiter verfolgt wurde die Spur nicht.

Kein Wunder, dass diese Spekulationen bei Tucholsky-Experten auf große Skepsis stießen:

In der Rheinsberger Kurt-Tucholsky-Gedenkstätte hält man es für sehr unwahrscheinlich, dass die Nauener Episode der Wahrheit entspricht. „Kurt Tucholskys Leben ist gut erforscht, es gibt viele Biografien. Mir ist kein Hinweis auf Nauen bekannt“, sagt Peter Böthig, Leiter der Gedenkstätte, „ich kann das also weder bestätigen, noch ganz ausschließen.“

Ganz auszuschließen ist der Nauener Schulbesuch auch deswegen nicht, weil die dortige Schule ebenso wie das zuletzt von Tucholsky besuchte Berliner Wilhelms-Gymnasium ein Realgymnasium war. Falls die Begebenheit zutrifft, wäre Tucholsky nicht nur der „Mann mit den zwei Einjährigen“, sondern auch das Kind mit den drei Oberschulen gewesen. Denn vor dem Wilhelms-Gymnasium hatte er bereits erfolglos das Französische Gymnasium besucht.

1.2.2006

Beim Barte der Satire

In der Debatte um die umstrittenen Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung Jyllands-Posten ist es wirklich nicht mehr so einfach, den Überblick zu bewahren. Die einen drucken die Karikaturen nach, um für die Pressefreiheit einzutreten, die anderen kritisieren den Abdruck als Missbrauch eben dieser Freiheit und als reine Marketing-Aktion. Kein Wunder natürlich, dass hier und da der Hinweis auf das Diktum Tucholskys auftaucht, wonach Satire „alles“ darf. Da sich nach der Lektüre von „Was darf die Satire?“ die Frage stellt, was die Mohammed-Karikaturen mit derselben zu haben, soll hier der Blick auf einen Text Tucholsky gerichtet werden, der sich stärker mit der Verwendung religiöser Symbole in der Kunst beschäftigt.

Dieser Text zeigt, dass man im Deutschland des Jahres 1929 nicht besonders tolerant war, was die Meinungsfreiheit in religiösen Dingen betraf. In „Die Begründung“ kritisierte Tucholsky ein Urteil gegen George Grosz, der aufgrund einer Christus-Darstellung wegen Gotteslästerung verurteilt worden war. Das Gericht hatte seine Entscheidung damit begründet, dass Grosz eine Einrichtung der christlichen Kirche, die Christusverehrung, angegriffen habe:

Denn richtete sich in den beiden vorgenannten Zeichnungen die Satire des Künstlers gegen einzelne Diener der christlichen Kirche und gegen den Gottesbegriff des ›heiligen Geistes‹, so ist hier in Bild 10 unverkennbar Christus selbst als Träger und Symbol jenes christlichen Glaubens, der bereits in den Zeichnungen 2 und 9 ironisiert wurde, das Angriffsobjekt.

Tucholsky lehnt den Versuch der Kirche, religiöse Gefühle mit Hilfe staatlicher Justiz schützen zu lassen, entscheiden ab. Sein Resümee:

Gegen eine solche unzureichende Begründung aber ist zu sagen, daß die Kirche unsre Gefühle verletzt; daß die aggressive Politik der Katholiken in Bayern und anderswo geeignet ist, unser Empfinden zu verletzen. Dieser Schutz der Kirche ist ein Angriff auf uns.

Grosz wurde nach einem mehrjährigen Berufungsverfahren schließlich vom Vorwurf der Gotteslästerung freigesprochen.

Nachtrag 4.2.2006: Heribert Prantl nimmt in der Süddeutschen den Fall George Grosz als Beispiel dafür, wie in der Geschichte um das gerungen wird, „was Kunst darf und was nicht“.

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