7.10.2005

Einer zu viel

Die „Frankfurter Rundschau“ widmet sich heute dem 22. Hanauer Theaterfestival, das am vergangenen Mittwoch begonnen hat. Den Auftakt machte eine Produktion des Bad Nauheimer Theaters Alte Feuerwache, die im April Premiere hatte. Das Stück „2 Berliner“, gemeint sind Kurt Tucholsky und Rio Reiser, wurde damals von der lokalen Presse sehr positiv besprochen. Auch die „FR“ scheint von Idee und Umsetzung des Stückes angetan, bringt in ihrem Artikel aber einen Klops, der Seltenheitswert hat:

Zudem wird in dem Stück die Entwicklung der beiden Berliner skizziert. Während Tucholsky mit den Jahren und geprägt von den zwei Weltkriegen zunehmend sarkastischer wird, glaubt man bei Reiser vermehrt den Poeten zuhören.

Dass Tucholsky den Zweiten Weltkrieg hat kommen sehen, ist hinreichend bekannt. Aber dass er als Toter über dessen tatsächlichen Schrecken noch sarkastischer wurde, dürfte selbst in seinem Falle sehr unwahrscheinlich sein.

Und es geht doch

Es war in jenen goldenen Jahren, als sich die Bundesregierung vom Rhein an die Spree begab, um fürderhin Deutschland noch besser zu regieren. Zeitgleich mit den Berlin-Seiten renommierter Zeitungen startete in der neuen Hauptstadt ein Restaurant, das mit Namen und Stil sogar an die legendären zwanziger Jahre anknüpfen wollte. Im August 1999 also öffnete die „Weltbühne“ erstmals ihre Türen, – um sie zwei Jahre später für immer zu schließen. Allerdings nicht ohne zuvor von David Wagner auf den „Berliner Seiten“ der FAZ, die ein Jahr später ebenfalls eingestellt wurden, als das leerste Lokal Berlins beschrieben worden zu sein. Wer nun glaubt, der Name Weltbühne sei für gastronomische Experimente für alle Zeit verbrannt, der hat diesen Artikel aus dem „Hamburger Abendblatt“ vermutlich noch nicht gelesen.

Gib’s ihnen!

Endlich hat jemand den großen deutschen Tageszeitungen, die den 100. Geburtstag der „Weltbühne“ so schmählich übergangen haben, ordentlich die Leviten gelesen. Otto Köhler erledigte dies im heutigen „Freitag“, wo dem ehemaligen „Konkret“-Redakteur und jetzigen „Ossietzky“-Mitherausgeber viel Platz freigeräumt wurde. Daher kann Köhler die Schelte mit einer ausführlichen Darstellung der „Weltbühne“-Geschichte verbinden. Die Hauptzielscheibe seiner Kritik sind aber nicht die „Kompetenzmedien“, wie Köhler sie tituliert, sondern der Historiker Hans-Ulrich Wehler. Dieser hat der „Weltbühne“ bei verschiedenen Gelegenheiten „prinzipielle Staatsfeindlichkeit“ attestiert und sie für den Untergang der Weimarer Republik mitverantwortlich gemacht hat. Köhler hat Wehler für diese Einschätzung bereits ausführlich in einem Sonderheft angegriffen, das die Zeitschrift „Ossietzky“ im März dieses Jahres aus Anlass des „Weltbühne“-Jubiläums herausgegeben hat.

Obwohl Köhler sehr kundig über die Geschichte der Zeitschrift schreibt, sind ihm einige Ungenauigkeiten unterlaufen:

  • Die Zabern-Affäre kann nicht Anlass dafür gewesen sein, dass die „Schaubühne“ sich politischen Themen öffnete. Letzteres wurde im September 1913 angekündigt, während die Affäre im Oktober 1913 ausgelöst wurde.
  • Erich Dombrowski benutzte nicht das Pseudonym Felix Pinner. Dahinter steckte der Journalist Frank Faßland.
  • Carl von Ossietzky und Berthold Jacob wurden Ende 1927, nicht 1929, gemeinsam verurteilt.
  • Ossietzky wurde 1931 nicht wegen Landesverrats, sondern wegen Verrats militärischer Geheimnisse verurteilt.
  • Der Friedensnobelpreis wird nicht in Stockholm, sondern in Oslo verliehen.

6.10.2005

Journalismus an und für sich

In diesem Jahr reiht sich ein 60. Zeitungsgeburtstag an den anderen. Nach „Berliner Zeitung“ und „Frankfurter Rundschau“ war heute die „Süddeutsche Zeitung“ dran. Und die „SZ“ zeigt der Konkurrenz natürlich, was eine richtige Zeitung ist. Ihre Jubiläumsbeilage umfasst beinahe hundert Seiten, von denen 32 immerhin noch deutschlandweit verbreitet wurden.

Bei so viel Platz lässt sich Journalismus fast aus jedem beliebigen Blickwinkel betrachten. Die politischen Journalisten sind dabei eher für das Grundsätzliche zuständig, – die Möglichkeiten von Journalismus an und für sich. Der Ressortleiter Innenpolitik und Tucholsky-Preisträger Heribert Prantl stellt sich die berechtigte Frage nach der Sinnhaftigkeit des politischen Journalismus. Warum das politische Geschehen kommentieren, wenn selbst Größen wie Tucholsky und Joseph Roth mit ihren Analysen zwar ins Schwarze trafen, aber nichts bewirken konnten? Eine Antwort darauf hat Prantl einmal von einem Feuilletonredakteur erhalten, und man muss vermutlich einer dieser völlig uneitlen Feuilletonredakteure sein, um auf einen solch trivialen Gedanken zu kommen:

Als ich die Frage einmal einem geschätzten Kollegen vom Feuilleton stellte, war dessen Antwort verblüffend. Warum schreibt man einen Kommentar? Antwort: Dass ihn kein anderer schreibt.

Der 2003 verstorbene Herbert Riehl-Heyse befasst sich mit der Frage, wie das „Schreiben im Jahr 2045“ aussieht. Der hypothetischen Antwort nähert er sich dadurch, dass er sich den Journalisten in 40 Jahren vorstellt. Und gerät dabei ins Schwärmen über die gute, alte Zeit:

Sie alle und später Kurt Tucholsky und Karl Kraus, Theodor Wolff und Egon Erwin Kisch, Alfred Polgar und Carl von Ossietzky haben in Zeitungen und Zeitschriften berichtet und kritisiert und sich eingemischt in eine öffentliche Debatte, die ohne Zeitungen überhaupt nicht stattgefunden hätte. Auf diesem Fundament gründet noch heute, was sich an Demokratie und Meinungsfreiheit in Deutschland durchgesetzt hat gegen den Obrigkeitsstaat, der vor nichts so sehr Angst hatte und hat wie vor dem freien Wort.

Riehl-Heyse blendet dabei jedoch aus, die oben genannten Namen alles andere als repräsentativ für den Gesinnungs-Journalismus der damaligen Zeit waren. Daher kann er zu dem folgenden, recht negativen Schluss kommen:

Im Übrigen haben heute die Käuflichen und Feiglinge und Sprachverhunzer auch deshalb mehr Chancen, in den Beruf zu kommen, weil der Bedarf an Journalisten immer größer geworden ist, weshalb der Medienbetreiber vielleicht nicht immer so genau hinschauen kann, wen er sich da ins Blatt geholt hat oder in den Sender.

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