7.10.2005

Einer zu viel

Die „Frankfurter Rundschau“ widmet sich heute dem 22. Hanauer Theaterfestival, das am vergangenen Mittwoch begonnen hat. Den Auftakt machte eine Produktion des Bad Nauheimer Theaters Alte Feuerwache, die im April Premiere hatte. Das Stück „2 Berliner“, gemeint sind Kurt Tucholsky und Rio Reiser, wurde damals von der lokalen Presse sehr positiv besprochen. Auch die „FR“ scheint von Idee und Umsetzung des Stückes angetan, bringt in ihrem Artikel aber einen Klops, der Seltenheitswert hat:

Zudem wird in dem Stück die Entwicklung der beiden Berliner skizziert. Während Tucholsky mit den Jahren und geprägt von den zwei Weltkriegen zunehmend sarkastischer wird, glaubt man bei Reiser vermehrt den Poeten zuhören.

Dass Tucholsky den Zweiten Weltkrieg hat kommen sehen, ist hinreichend bekannt. Aber dass er als Toter über dessen tatsächlichen Schrecken noch sarkastischer wurde, dürfte selbst in seinem Falle sehr unwahrscheinlich sein.

13.8.2005

Literarische Kneipentour

Vor einigen Wochen hat Harald Martenstein in der „Zeit“ bekannt, dass Tucholsky ihm wegen seines Alkoholproblems menschlich immer besonders nahe gestanden habe. Eine Behauptung, die wohl unter die Rubrik „dichterische Freiheit“ fallen dürfte. Vielleicht hat sich davon aber der Berliner „Tagesspiegel“, dessen Chefreporter Martenstein ist, zu einem heute erschienenen Text inspirieren lassen. Tobias Schwartz schreibt in seinem Artikel „Blaue Runde“:

Dichter trinken gut und gern. Das könnte, nüchtern betrachtet, der Grund dafür sein, dass sich Kneipen und Wirtshäuser nach Literaten benennen. Mittlerweile schreibt die Berliner Gastronomieszene regelrecht Literaturgeschichte.

Klar, dass auch das Restaurant Tucholsky an der Tucholsky-Straße erwähnt wird.

Reichlich ist die klassische Moderne vertreten: Da sind das Ringelnatz, das Tucholsky und der Brecht-Keller. Vor kurzem hat noch das Horváth eröffnet.

9.8.2005

Auf Sand gedichtet

Brandenburg hat nicht nur viele Seen und Sandkörner, sondern auch ein gutes Dutzend literarischer Gedenkstätten zu bieten. Das scheint verwunderlich, hat es doch sogar Theodor Fontane nicht besonders lange in seinem Heimatort Neuruppin ausgehalten. Wenn man aber bedenkt, dass sich auch das Tucholsky-Literaturmuseum nicht in Tucholskys Heimatstadt Berlin, sondern in dessen Kurzurlaubsziel Rheinsberg befindet, kommen schon etliche Gedenkorte zusammen. Einen Überblick über diese Stätten hat nun das Literaturbüro Brandenburg veröffentlicht. Die „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ haben sich diesen literarischen Reiseführer angeschaut und ihn recht positiv rezensiert. An der Aufmachung des 70-seitigen Büchleins gab es aber einiges auszusetzen:

Von dem wenig lockenden Einband mit dem unscharfen Bild einer unbestimmten märkischen Wald- und Seenlandschaft sollte man sich also nicht abschrecken lassen. Auch nicht von den ebenso verwaschen en Fotos der Erinnerungsstätten im Buch selbst, die dazu keine besonders ästhetischen Ausschnitte zeigen. Und warum hängt eigentlich das Literaturbüro weiterhin an der alten Rechtschreibung? Obwohl doch die neue seit Sommer für alle brandenburgischen Schüler verbindlich ist? „Schloß“ statt „Schloss“. Wer will denn das noch lesen? Auch an dem sehr kleinen Schriftbild könnte man mäkeln.

Etwas zu mäkeln gibt es allerdings auch an der Rezension. „Große Literaten der Mark im Taschenbuch“ lautet die Überschrift, was den Eindruck erweckt, als handele es sich bei dem Buch um eine Anthologie brandenburgischer Autoren.



1.8.2005

Juden in Rheinsberg

Vor einigen Monaten war das Städtchen Rheinsberg häufig in den Medien, weil eine Dönerbude zum vierten Male innerhalb von zwei Jahren angezündet worden war. Ob es solche Formen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit schon früher gegeben hat, ist auch Gegenstand eines Buches, das der „Nordkurier“ heute seinen Lesern präsentierte. In ihrer Untersuchung „Juden in Rheinsberg. Eine Spurensuche“ kommen die Historikerin Stefanie Oswalt und der Literaturwissenschaftler Peter Böthig zu Ergebnissen, die auch den „Nordkurier“ etwas beunruhigen:

60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mag man fragen: Ist das noch nötig? Die Antwort ergibt sich allein schon aus diesem Wunsch: „Die heute noch in Neuruppin lebenden Nachfahren jüdischer Vorfahren möchten … aus Furcht vor der Verfolgung durch die heutigen Nazis nicht namentlich genannt werden.“

Ein schönes Lob erhält dagegen Tucholsky, der mit seinem „Bilderbuch für Verliebte“ die Stadt literarisch verewigte:

Heutige Tourismus-Manager am Südzipfel der Mecklenburgischen Seenplatte können dem jüdischen Schriftsteller, dessen 70. Todestag Ende 2005 begangen wird, gar nicht genug danken, mit einem derartigen poetischen Pfund wuchern zu dürfen. Denn nach dem Machtantritt der Nazis wäre ein solches Buch gar nicht mehr möglich gewesen, weil Juden „unter den Nationalsozialisten in den Ferienorten und Naherholungsgebieten nicht mehr willkommen“ waren, wie Stefanie Oswalt schreibt.

28.7.2005

Eine Marke für sich

Wenn Tucholsky geahnt hätte, dass sein Antlitz dereinst hochpostoffizielle deutsche Briefmarken zieren würde, wäre er mit Beamten und Verwaltung vielleicht sanfter umgesprungen. Aber seit 20 Jahren gehört er tatsächlich zu den zahlreichen Berliner Berühmtheiten, die mit ihm diese Ehre teilen. Und weil diese Briefmarken so toll seien, habe ein Sammler sie in einer Ausstellung versammelt, wie die „Welt“ zu berichten weiß. Allerdings nicht nur im Original:

Horst Zeisig aus Unterhaching bei München hat die Porträt-Galerie zusammengestellt. „Mein Anliegen ist es, das unscheinbare Medium Briefmarke mit seiner millionenfachen Verbreitung so zu präsentieren, daß auch Nicht-Briefmarkensammler, die aber kultur- und geschichtsinteressiert sind, auf ihre Kosten kommen.“ (…) Zeisig begeistert sich auch deshalb für die Marken, weil die Designer die Motive mit großer Akribie gestalten. „Durch die Vergrößerungen ist deren immenses Können erst richtig zu erkennen“, begeistert sich der pensionierte Feinoptiker und Elektronik-Ingenieur.

Was Tucholsky zu seiner eigenen Marke gesagt hätte? Vermutlich etwas Ähnliches wie das Folgende:

Also für die Lachlust in diesem Winter ist ausgesorgt: kein Artikel eines preußischen Kunstkonservators, keine deutsche Briefmarke, kein deutscher Juristentag ist vonnöten, um ungeheure Heiterkeit zu erregen (…)
Ignaz Wrobel: „Schwejk der Zweite“, in: Die Weltbühne, 21.12.1926



23.7.2005

Am weiten Strand der Spree

Wenn es in einem Artikel um die gegensätzlichen Ansprüche an die Stadtplanung geht, darf die von Tuchosky formulierte ideale Lage nicht unerwähnt bleiben. „Vorne die Friedrichstraße, hinten die Ostsee“, zitiert daher auch die „taz“ die berühmte Passage aus dem Gedicht „Das Ideal“. Bei dem Gebrauch des Zitates in dem Text „Wo Staat und Stadt auf Distanz zueinander gehen“ stört dabei weniger die Tatsache, dass Autor Uwe Rada das Original komplett verdreht hat.

Schwerer wiegt dagegen, dass Rada den Eindruck erweckt, die Metapher Ostsee stehe bei Tucholsky für eine Pfütze Wasser mit einem bisschen Park drumherum. Daher ist reichlich übertrieben, zu schreiben:

Tucholskys Traum von der Friedrichstraße allerdings ist seiner Realisierung ein Stück näher gerückt, nur dass die Ostsee hier Spree heißt und der Sandstrand allenfalls per Lkw herangekarrt wurde.

Aber trotz dieser unidealen Lage ist die am Spreebogenpark liegende Immobilie Kanzleramt derzeit sehr begehrt.

19.5.2005

In der Abstellkammer

Die „Berliner Zeitung“ widmet sich auf ihrer wöchentlichen Service-Seite Kultur dieses Mal dem literarischen Berlin. Genauer gesagt den Spuren, die die Literaten an den Häuserwänden hinterlassen haben. Nein, dabei handelt es sich nicht um Graffiti, sondern um Gedenktafeln, die von den Nachgeborenen in Erinnerung an die Wohnorte der Berliner Berühmtheiten angebracht wurden. Zwar hängt zum Glück nicht an jedem Haus, in dem Tucholsky einmal gewohnt hat, eine solche Tafel. Aber an einigen schon, wie in dem Text „Unruhe und Ungeduld“ aufgelistet wird. Interessant auch die folgende, eher unbekannte Tatsache:

Das Literaturhaus Fasanenstraße beherbergt sogar einige seiner Hinterlassenschaften – Möbel und Utensilien Tucholskys aus dem schwedischen Exil – untergebracht in einem Raum von dem Kritiker behaupten, er erinnere eher an eine Abstellkammer als an ein Ausstellungskonzept.

28.4.2005

Mit Florett und Degen

Es gibt wohl kaum ein Tucholsky-Gedicht, das häufiger als „Das Ideal“ zitiert wird. Aber in der Stadtvertretung des Hamburger Bezirks Norderstedt ließ sich damit noch ein Journalist der „Morgenpost“ beeindrucken. So hieß es in der Glosse „‚Münte‘ macht munter“:

Doch die Politikerin griff nicht nur zum verbalen Degen, sie focht auch mit dem Florett. Um den Bau zu Fall zu bringen, zitierte sie Tucholsky, der mit feiner Ironie in seinem Gedicht „Das Ideal“ die widerstreitenden Wünsche an ein Haus kommentierte.

Auf Hamburger Verhältnisse umgemünzt, müsste der häufig abgekürzte Gedichtanfang wohl gelautet haben:
„Ja, das möchste: Vorn die Nordsee, hinten die Reeperbahn“.
In Hamburg eigentlich kein Problem? Tja, irgendein Unterschied muss zwischen Berlin und der schönen Hansestadt wohl bestehen.

20.4.2005

Zwei Berliner in Hessen

Es ist sicherlich eine interessante Idee, einen Abend mit Liedern und Texten der beiden Berliner Kurt Tucholsky und Rio Reiser zu gestalten. Diesen Einfall hatte zumindest das Theater Alte Feuerwache (TAF) in Bad Nauheim. Die Premiere am 23. April ist zwar schon ausverkauft, doch es gibt noch Karten für weitere Veranstaltungen, wie der „Gießener Anzeiger“ und die „Frankfurter Neue Presse“ zu berichten wissen.

16.4.2005

Deutsch als Fremdsprache

Die „Stuttgarter Zeitung“ erinnert in der Glosse „Endzeit“ an den Abend, an dem Tucholsky zum ersten Mal die deutsche Sprache nackt gesehen haben will:

Wie klingt Deutsch in den Ohren eines Menschen, der eine andere Muttersprache hat? Kurt Tucholsky hat das 1926 in Paris erlebt. „Le Lied“ heißt die Reportage über den Auftritt des Komikers „Bétove“, der deutsche Lieder zum Besten gibt.

Anschließend zitiert Autor Thomas Schwarz eine längere Passage aus „Le ‚Lied'“, die mit einem Beispiel dafür endet, wie Deutsch in den Ohren eines Franzosen wohl klingen mag: „A-ha-haa-schaupppttt da-ha-gerrächchzzz -!“

Noch weiß der Leser der „Stuttgarter Zeitung“ allerdings nicht, worum es in der Glosse eigentlich geht. Vielleicht kommt ein amüsantes Beispiel dafür, wie Deutsch sich für einen Italiener anhört. Leider nein. Es folgt eine der typischen Journalistenklagen über Behördendeutsch:

Da war ein Polizeibeamter als Zeuge vorgeladen. Und dieser erklärte, er sei der Endsachbearbeiter im vorliegenden Fall gewesen. Und was er da gemacht habe, als Endsachbearbeiter?

„Ich habe den Fall endsachbearbeitet.“

Das klingt doch eigentlich ganz angenehm.

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