14.3.2008

Das Lesen geht weiter

Der Einsatz der Bürger im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg hat sich gelohnt. Die Kurt-Tucholsky-Bibliothek im Bötzoviertel wird nicht geschlossen, sondern voraussichtlich vom 1. April an von ehrenamtlichen Mitarbeitern weitergeführt. Für den Verein Pro Kiez Bötzowviertel ist das nur „reine Notwehr“. „Wir sehen das nicht als Modell für andere Bezirke und für weitere Stellenreduzierungen“, sagte Klaus Lemnitz vom Verein Pro Kiez der Nachrichtenagentur ddp. Bleibt nur zu wünschen, dass die Bibliothek irgendwann wieder von bezahlten Bibliothekaren betrieben werden kann.

29.2.2008

Ein Kassenbuch für Verzweifelte

„“Dankbarkeit und Weizen gedeihen nur auf gutem Boden“, lautet ein deutsches Sprichwort. Die Mark Brandenburg war noch nie dafür bekannt, Weizen im Überfluss zu produzieren. Und mit der Dankbarkeit scheint es in der Streusandbüchse zuweilen auch nicht weit her zu sein. So ist den Stadtvätern von Rheinsberg offenbar nicht bewusst, wie viel die Bekanntheit ihres Städtchens dem „Bilderbuch für Verliebte“ verdankt, das Tucholsky 1912 veröffentlichte. Anders ist wohl kaum zu erklären, dass einer der Stadtverordneten jüngst vorschlug, das dortige Kurt Tucholsky-Literaturmuseum nicht mehr zu unterstützen. „Wenn wir uns so etwas nicht leisten können, müssen wir uns davon trennen“, sagte Wilfried Schmidt (Allianz) zur finanziell schwierigen Situation, wie die „Märkische Allgemeine“ berichtete. Doch soweit wird es vorerst offenbar nicht kommen:

Das wollte Erich Kuhne (CDU) dann doch nicht gelten lassen. „Ist uns eigentlich bewusst, was wir mit der Musikakademie, der Kammeroper und dem Kurt-Tucholsky-Museum für Schätze haben?“, fragte er seine Abgeordnetenkollegen. Der Stadtverordnetenvorsteher wies darauf hin, dass die Stadt und das Umland nicht wenig von diesen Kultureinrichtungen profitieren.

Für Museumsleiter Peter Böthig ist es deprimierend genug, bei allen möglichen Stellen um Geld betteln gehen zu müssen. Dazu noch ohne Erfolg, wie aus dem Bericht hervorgeht:

Böthig berichtete, dass alle geführten Gespräche mit dem Kreis über einen Trägerwechsel erfolglos verlaufen sind. Deshalb habe er auch die Fördersumme verdreifacht, was wie bekannt nichts geholfen hat. Außerdem informierte der Leiter, dass er in einem Brief an Kulturministerin Johanna Wanka um einen Betriebskostenzuschuss gebeten hat. Auch dieser Antrag sei abgelehnt worden. Selbst das Bemühen, mit Hilfe eines Finanzdienstleisters, der sich deutschlandweit um Sponsoringverträge kümmert, ins Geschäft zu kommen, hätten keinen Erfolg gebracht.

Die Suche nach einem neuen Träger, der die Finanzierung des Museums auf eine solide Basis stellt, wird wohl noch eine Zeitlang dauern. Und Böthig wird mit Tucholsky weiter klagen dürfen: „Was mich in der ganzen letzten Zeit so maßlos bedrückt und mir meine Laune völlig verdirbt, ist die Sache mit dem Geld.“

7.1.2008

Der archivierte Tucholsky

Seit dem Wegfall des Urheberschutzes gibt es eine Flut von neuen Tucholsky-Ausgaben auf dem Buchmarkt. Nach „Mit Tucholsky die Frauen verstehen“ und „Weihnachten mit Tucholsky“ ist nun auch „Tucholsky in Berlin. Gesammelte Feuilletons 1912-1930“ erschienen, herausgegeben von Nele Lenze im Berlin Story Verlag. Nicht nur der Vorwärts, auch ein im Internet erscheinendes Berlin-Magazin hat sich den Band angesehen. Über die dortige Rezension „Tucholsky in Berlin“ sollte man eigentlich den Mantel des Schweigens breiten oder sie Korrektur lesen lassen. Folgende Passage, die sich sinngemäß auch im Vorwärts findet, ist dennoch höchst amüsant:

Nele Lenze hat für den Berlin Story Verlag als Herausgeberin die Tucholskytexte neu editiert. Schon seit ihrer Jugend beschäftigt sich die studierte Judaistin, Jahrgang 1981, mit Tucholsky und der Berliner Geschichte. Sie stieg tief in die Archive ein, um die besten und interessantesten herauszusuchen.

Vor dem geistigen Auge taucht dabei die Herausgeberin auf, wie sie in ganz Deutschland herumreist, um in literarischen Archiven wie in Marbach die verstreuten Tucholsky-Texte zu sichten. Hin und wieder stößt sie dabei voller Freude auf einen Artikel, in dem es irgendwie um Berlin geht.

Vielleicht war sie aber schlauer, setzte sich einfach in die Bibliothek und blätterte die Tucholsky-Gesamtausgabe von vorne bis hinten durch. Man möchte aber nicht hoffen, dass sie die CD von Band 15 der Digitalen Bibliothek eingelegt und dort in der Volltextsuche „Berlin“ eingegeben hat. Dann hätte sie in den Texten und Briefen Tucholskys nämlich 1391 Fundstellen bekommen. Bis man die alle durchgeklickt hat…

Stellt sich die Frage, wer neben Nele Lenze noch so alles in den Archiven unterwegs war und uns demnächst mit einem Tucholsky-Band erfreuen wird. Kleiner Tipp: Bei „Paris“ gibt es nur 1110 Fundstellen.

Nachtrag: Auf der Website des Buches ist auch das Vorwort zu lesen, in dem es heißt:

Alle Beiträge in diesem Buch stammen aus den ursprünglichen Quellen, also aus der Weltbühne, der Vossischen Zeitung, dem Vorwärts oder der Schaubühne. Wir haben dazu umfangreiche Quellenstudien in Archiven betrieben, die Originale gesucht und lesefreundlich neu gesetzt. Es liegt hiermit also ein ganz urspünglicher, nicht bearbeiteter, reiner Tucholsky vor.

Dazu ist nur zu sagen: Auch die Gesamtausgabe gibt zunächst die ursprünglichen Texte an, was die Quellenstudien auf einen Gang in die Bibliothek reduzieren könnte. Und was machen die Gesammelten Werke? Darin sind die Texte in der Fassung wiedergegeben, die Tucholsky zuletzt bearbeitet hat. Das war bei Artikeln der Fall, die er für seine Sammelbände Mit 5 PS, Das Lächeln der Mona Lisa und Lerne lachen ohne zu weinen zusammengestellt hat. Was nun der reinere Tucholsky davon ist, wissen wohl nur die Götter oder Frau Klementine.

25.12.2007

Weihnachtspost an Köhler

Nicht nur an Weihnachten erfreut Bundespräsident Horst Köhler sein Volk mit einer Rede. Auch an erstaunlich vielen anderen Tagen im Laufe eines Jahres lässt er uns an seinen gesammelten Weisheiten und denen seiner Reden- und Grußworteschreiber teilhaben. Aus Anlass der Wiedereröffnung der Anna-Amalie-Bibliothek in Weimar erfuhren die Zuhörer beispielsweise, dass es auch in Umberto Ecos Roman Der Name der Rose irgendwie um Bücher geht. Aber Köhler erinnerte in seiner Rede am 24. Oktober auch an aktuelle Probleme der Bildung:

Die Chance zur kulturellen Teilhabe, das heißt der Zugang zu Kunst und Kultur, zur Geschichte und zu wissenschaftlichem Denken, ist das Recht eines jeden Heranwachsenden. Neben den Schulen sind die öffentlichen Bibliotheken entscheidende Bildungsorte. Entsprechend müssen wir sie ausstatten – und entsprechend müssen sie in der Lage sein, Freude und Lust an der Kultur, am Wissen, am Lernen zu vermitteln.

Bei so viel präsidentieller Erkenntnis dürfen auch die Bürger mal zu Wort kommen. Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft hat die Ausführungen Köhlers zum Anlass genommen, ihn auf die Differenzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit hinzuweisen. In einem offenen Brief wendet sie sich persönlich an den Bundespräsidenten und fordert ihn auf, seinen Einfluss geltend zu machen und die Schließung der Tucholsky-Bibliothek im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg zu verhindern.

Bleibt zu hoffen, dass die Forderung des Präsidenten nach guter Ausstattung der Bibliotheken mehr als nur ein frommer Wunsch bleibt. Und das nicht nur an Weihnachten.

4.12.2007

Das Lesen geht weiter

Der Streit um die Schließung der Kurt Tucholsky-Bibliothek im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg hat das überregionale Feuilleton erreicht. Für die Frankfurter Rundschau hat Elke Buhr die Bibliothek besucht und erstaunliche Dinge beobachtet:

Die Senioren sind als erstes gekommen, sie sitzen vorne, erwartungsvoll: Nicht jeden Tag gibt es hier eine Lesung umsonst. Und was für eine. Maike Wetzel, Thomas Hettche, Tim Staffel, Thomas Brussig, sie alle werden an diesem Nachmittag in den kleinen Veranstaltungsraum der Tucholsky-Bibliothek für Kinder im Prenzlauer Berg kommen.

Das alles wird die Schließung der Bibliothek wohl nicht verhindern. Und Buhr deutet an, dass dadurch die schulischen Leistungen der Kinder im Bötzow-Viertel vermutlich nicht sinken werden:

Es gibt Yoga-Kurse für Kinder, Theater für Kinder, Kunst für Kinder, Angebote für Leute, die in die Kreativität ihres Nachwuchses auf hohem Niveau investieren wollen.

Eine Aneinanderreihung von Klischees, zu deren Verbreitung auch dieser Artikel aus der Zeit ein wenig beigetragen haben dürfte.

Dennoch ist es genauso schade, ob im Prenzlauer Berg, in Neukölln oder in Hohenschönhausen Bibliotheken dichtmachen müssen. Aber der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) verliert sein „breites Grinsen“ nicht, wie Buhr bemerkt. Schließlich bekam er gerade vom Bund 200 Millionen für die Sanierung der Staatsoper. Bleibt zu hoffen, dass die kreativen Kinder vom Prenzlauer Berg sich später wenigstens dort austoben dürfen.

Wie es mit den Protesten weitergeht, steht auf der Website von Pro Kiez unter prokiez.wordpress.com.

18.11.2007

Ein ewiger Mittwoch droht

In Berlin gibt es zwei öffentliche Bibliotheken, die den Namen Kurt Tucholskys tragen. Noch. Denn die Bibliothek im Bötzow-Viertel im Prenzlauer Berg soll im kommenden Jahr geschlossen werden. Das teilte der Pankower Kulturstadtrat Michail Nelken (Die Linke) am 14. November in einer Bürgerversammlung in der Bibliothek mit. Wie der Tagesspiegel berichtete, sollen zehn Mitarbeiter der neun Pankower Bibliotheken ihre bisherige Stelle verlieren, so dass zwei Bibliotheken geschlossen werden müssen. In dem Kiez rege sich Widerstand, heißt es in dem Artikel:

Klaus Lemmnitz kann sich in Rage reden, wenn es um die geplante Schließung zweier Bibliotheken im Stadtteil Prenzlauer Berg geht. „Es kann nicht sein, dass die Stadt sich hier völlig der Verantwortung entzieht. Das sind nur noch Streichorgien“, sagt er. Weil er mit den Plänen des Bezirkes Pankow nicht einverstanden ist, hat er mit anderen Anwohnern die Initiative „Pro Kiez“ gegründet.

Auf der Versammlung wurden an den Stadtrat 3000 Unterschriften von Bürgern übergeben, die sich gegen die Schließung wenden. Auch die Kurt Tucholsky-Gesellschaft (KTG) sprach sich bei dem Treffen gegen die Schließung aus. Damit hat es seine besondere Bewandnis: Die Bibliothek hat ihren Namen der letzten Angehörigen der Familie Tucholsky zu verdanken, dem KTG-Ehrenmitglied Brigitte Rothert. Diese hatte sich in den 1980er Jahren dafür eingesetzt, dass die damalige Tucholsky-Bibliothek in Mitte bessere Räumlichkeiten erhielt, die im Juni 1990 schließlich bezogen wurden. Als diese Einrichtung im März 1997 geschlossen werden musste, sorgte Rothert dafür, dass die Bibliothek in der Esmarchstraße vom 11. Juni 1997 an das Andenken an Tucholsky weiterführte.


Die Bibliothek in der Esmarchstraße

Nun steht auch diese vor dem Aus, so dass es für Brigitte Rothert eine Ehrensache ist, sich für deren Erhalt einzusetzen. Am 21. November will die Bezirksverordnetenversammlung über die Schließung entscheiden. Die KTG will beantragen, auf der zuvor angesetzten Fragestunde ein Statement abzugeben.

Bislang hat die Bibliothek schon jeden Mittwoch geschlossen. Bleibt abzuwarten, ob ein ewiger Mittwoch droht.

3.8.2007

Déjà-vu in Berlin-Mitte

Manchmal kann es passieren, dass einem Dinge, die man schon mal irgendwo in einem Buch gesehen hat, ganz unvermutet in der Realität begegnen. Eher selten geschieht dies wohl mit Dingen aus Büchern, die schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben, so zum Beispiel Tucholskys Deutschland, Deutschland über alles, erschienen 1929. Darin wird auf Seite 52 gefragt: „Wo steckt Deutschlands Geld?“ Und neben Bildern von Soldaten in Manövern, Panzerattrappen, einem reich gedeckten Tisch und einer Luxus-Boutique ist auf Seite 54 auch folgendes Gebäude zu sehen:

In der Tucholsky-Gesamtausgabe wird der Ort der Aufnahme nicht genannt, da er für das Verständnis des Textes auch nicht von Bedeutung ist.

Fährt man jedoch 80 Jahre später in Berlin-Mitte durch die Französische Straße in Richtung Mauerstraße, muss man einen auffälligen Bogen unterqueren:


Wo immer Deutschlands Geld heutzutage stecken mag, in der Berliner Mauerstraße offenbar nicht mehr. Die Gebäude rechts und links des Bogens gehören übrigens zum Bundeslandwirtschaftsministerium.

In der Gegend Unter den Linden / Behrenstraße fanden sich vor dem Kriege dagegen noch viele repräsentative Bankgebäude, unter anderem die Zentrale der Deutschen Bank. Dass darin wirklich Geld gesteckt haben muss, zeigt ein Text aus der Weltbühne von 1922:

Unter den Schilderungen, die die ausländische Presse in reichlichem Maße von Berlin entwirft, nehmen die Bankbauten unter den Linden und in der Behren-Straße stets einen hervorragenden Platz ein. Man kann es den Fremden nicht verdenken, wenn ihnen beim Anblick dieser Pracht- und Monstrebauten leise Zweifel an der deutschen Not kommen.
Morus: „Schiffe, Preise, Banken“, in: „Die Weltbühne“, 20.11.1922, S. 580

2.8.2007

Nicht sein Sylt

Die Süddeutsche Zeitung hat sich das neue Buch von Fritz J. Raddatz angeschaut, in dem er „sein Sylt“ besingen soll. In ihrer Rezension stellt Regine Leitenstern fest:

Im Duktus mal fröhlich heiter, mal melancholisch wehmütig, mal bissig sarkastisch webt Raddatz einen bunten Teppich aus historischen Fakten, persönlichen Erinnerungen und Anekdoten sowie literarischen Zeugnissen berühmter Schriftstellerkollegen wie Thomas Mann, Kurt Tucholsky oder Max Frisch, die wie er der Insel verfallen waren.

Da scheint die Rezensentin aber etwas durcheinander geworfen zu haben. Wie heißt es in Raddatz‘ Buch:

„Sylt ist tausendmal schöner als Wangeroog“, schreibt schon Siegfried Jacobsohn 1920 an Kurt Tucholsky, „und ebenso viel mal mehr Nordsee“; und nach einem Besuch Thomas Manns in seinem Haus in Kampen schreibt der Kritiker, der sommers seine „Weltbühne“ von hier aus redigierte: „Tatsächlich hat ja Westeuropa zwischen Hammerfest und Gibraltar nicht ihresgleichen“ über die Insel, der er „Sonne und Seligkeit“ verdankt; schon die Anreise – damals noch per Schiff – versetzt den gewieften Berliner in eine Art Taumel: „Für die Überfahrt übers Wattenmeer geb ich das ganze Engadin hin und bin meines Handels froh. Ich bin so berauscht, daß ich keine drei Minuten fest auf dem Stuhl sitzen kann.“

Vom Empfänger des Briefes, der während Jacobsohns monatelanger Sommerfrische die Manuskripte nach Potsdam zur Druckerei bringen durfte, ist hingegen nicht bekannt, dass er jemals das Schiff nach Sylt bestiegen hätte. Und einen Hindenburg-Damm hätte Tucholsky wohl aus Prinzip nicht benutzt.

20.5.2007

Wir sind alle Zitatgeber

Dass Zitate falsch zugeschrieben werden, passiert alle Tage. Seltener – und daher auch eine Berichterstattung wert – geschieht dies an bleibender Stelle. So in Geretsriet im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen, wo zur Einweihung des Karl-Lederer-Platzes eine Säule mit vermeintlichem Goethe-Zitat enthüllt wurde: „Wir sind alle Ausländer, fast überall.“ Die Goethe-Forscher indes sind sicher: von Goethe stammt der schöne Spruch nicht. Und so bringt der Münchner Merkur auch Kurt Tucholsky als möglichen Urheber ins Spiel.
Doch auch hier muss die Forschung den Kopf schütteln. Allerdings wohlwollend, denn inhaltlich passt der Satz natürlich gut, ein Tucholsky-Original heißt: „Man ist in Europa ein Mal Staatsbürger und zweiundzwanzig Mal Ausländer. Wer weise ist: dreiundzwanzig Mal.“ (Peter Panter in der „Weltbühne“, 25. November 1924)

22.3.2007

Comeback einiger Klischees

Geschlagene 16 Autoren hat der Spiegel aufgeboten, um in seiner 13-seitigen Titelgeschichte über „Das Comeback einer Weltstadt“ die derzeit gängigen Klischees über Berlin zusammenzutragen. Damit die These bestätigt werden kann, dass es in Berlin heute viel entspannter zugeht als früher, hat sich einer der Autoren wohl daran erinnert, dass Tucholsky sich damals eher kritisch zu seiner Heimatstadt geäußert hat:

Auch Kurt Tucholsky, obwohl Berliner von Geburt an, lebte mit seiner Stadt im Unfrieden. Er vermisste Geist und Großartigkeit. „Der Berliner kann sich nicht unterhalten. Manchmal sieht man zwei Leute miteinander sprechen, aber sie unterhalten sich nicht, sondern sie sprechen nur ihre Monologe gegeneinander“, befand er.

Die ganze Spezies der Stadt behagte ihm nicht: „Der Berliner schnurrt seinen Tag herunter, und wenn’s fertig ist, dann ist’s Mühe und Arbeit gewesen. Weiter nichts. Man kann siebzig Jahre in dieser Stadt leben, ohne den geringsten Vorteil für seine unsterbliche Seele“, schrieb er in einem Manuskript für das „Berliner Tageblatt“, veröffentlicht im Jahr 1919.

Das ist, der berühmten Spiegel-Dokumentation sei Dank, sogar korrekt zitiert und stammt aus dem Artikel „Berlin! Berlin!“, erschienen am 21. Juli 1919.

Weniger Glück hatte der Spiegel dagegen mit seinem Titelblatt, wie der Berliner Tagesspiegel kritisch bemerkt:

Nur beim Titelbild, einer Berlinisierung der berühmten New-York-Grafik Saul Steinbergs von 1976, vorne Manhattan, hinten der Rest der Welt, hätte man sich mehr geografische Sorgfalt gewünscht. Zwar erträumte sich schon Tucholsky als Berliner Wohnung „eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße“. Aber kein Weg führt, wie auf dem „Spiegel“-Titel suggeriert, vom Brandenburger Tor über die Siegessäule direkt in den Pazifik.

Aber selbst der Tagesspiegel weiß nicht, was der Klimawandel noch alles bringen wird.

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